Auf deutschen Autobahnrandstreifen herrscht ein hohes Sicherheitsrisiko. Zu 22.000 Einsätzen rückten die orangefarbenen Baubrigaden allein in Hessen im letzten Jahr aus. Dabei kam es zu 300 Unfällen mit den Servicefahrzeugen, die wegen des hohen Tempounterschieds zwischen Arbeitskolonne und fließendem Verkehr oft dramatisch ausfielen. Die Mitarbeiter der Straßenmeistereien leben in ständiger Bedrohung – ihr Arbeitsalltag ist über 13-mal riskanter als in anderen Branchen. MAN hat sich darum im Rahmen des 2014 vom Wirtschaftsministerium geförderten Projekts aFAS (automatisch fahrerlos fahrendes Absicherungsfahrzeug für Arbeitsstellen auf Bundesautobahnen) zusammen mit sieben anderen Industriepartnern um die Problematik der Standstreifen-Crashs gekümmert. Als höchst praxistaugliches Ergebnis der Studien rollt seit Kurzem ein MAN TGM 18.340 mit kleinem, einachsigen Hänger mit überdimensionaler Warntafel im Schlepp über hessische Standstreifen. Der Platz am Steuer bleibt während der Schleichfahrt in bis zu hundert Meter Entfernung hinter dem Arbeitstrupp leer.
"Die Fahrt im Absicherungsfahrzeug ist tatsächlich der pure Stress"
Vergleichbar ist die Steuerung des TGM-Pritschenwagens mit einer Platooning-Ankoppelung in reduziertem Tempo zwischen zwei und zehn km/h. Zwischen dem Leitfahrzeug im Arbeitseinsatz und dem mit Radar und Kameratechnik ausstaffierten Absicherungs-Truck wird im Abstand von maximal zehn Metern eine stabile WLAN-Funkverbindung aufgebaut. Dann kann sich der Fahrer des TGM anderen Aufgaben widmen, sein Truck hält in stoischer Präzision den vorgegebenen Abstand und folgt den Straßenwerkern bis zum Abschluss der Arbeiten. Dort kann der autonom nach Stufe 4 fahrende Zweiachser wieder "eingefangen" und wie ein ganz normaler TGM zum nächsten Einsatzort gelenkt werden. Allein mit einer Spurführungskamera und Abstandradar ist es bei der Steuerung des Prototypen nicht getan. Eine eigens für dieses Anwendungsgebiet entwickelte Umgebungssensorik mit integrierter und absolut zuverlässiger Objekt- und Fahrstreifenerkennung ermöglicht es dem Elektronikgehirn im TGM überdies, Daten zu Streckencharakteristik und Verkehrssituation zu erfassen und zu analysieren. Die Umsetzung der gesammelten Fahrinformationen auf Lenkung, Antrieb und Bremsanlage erfolgt über bewährte Baukomponenten. Ein elektrohydraulischer Stellmotor für die Bedienung der Lenkanlage sowie die intelligente Regelung von Gas und Bremse gehören ebenso zum Technikpaket wie ein doppelt abgesichertes Bremssystem, das den Lkw im Falle eines Funkkontaktverlustes sofort anhält. Auch die Steuerung des autonomen Absicherungsfahrzeugs reagiert sensibel auf Hindernisse im Fahrweg. Taucht eine Person in unmittelbarer Nähe vor dem TGM auf, bremst der Test-Lkw automatisch bis zum Stillstand. Im Praxistest mit einem hohen Anspruch an fehlerfreie Spurhaltung arbeitet das System absolut fehlerfrei. Auch auf der Magna-Teststrecke im österreichischen Steyr überzeugt es mit hohem Reifegrad und feinfühliger Fahrzeugsteuerung.

In diesem Einsatz sei nur eine Nullfehler-Toleranz akzeptabel, sagen die MAN-Entwickler. Projektleiter Walter Schwertberger ist überzeugt, dass die neue Technik nicht nur allein unter Sicherheitsaspekten hochattraktiv ist. Mit dem Einsatz des unbemannten Fahrobjektes auf der Standspur wird schließlich auch eine Arbeitskraft frei, die andere Arbeiten übernehmen kann. "Die Fahrt im Absicherungsfahrzeug ist tatsächlich der pure Stress", berichtet der MAN-Technikexperte. Der Fahrer müsse ständig seinen Blick zwischen Rückspiegel und Fahrbahnrand wechseln, um bei einem potenziellen Unfall reagieren zu können. Allerdings sind die typischen Unfallhergänge mit dem Absicherungsfahrzeug im dichten, fließenden Verkehr kaum zu vermeiden. "Oftmals sind es kolonnenfahrende Lkw, die einen Vorausblick über die Standspur riskieren", so MAN-Mann Schwertberger. Der Aufprall auf die Absicherungsfahrzeuge erfolge dann meist innerhalb kürzester Distanz und mit heftigen Konsequenzen. Rund 44 Prozent aller Lkw-Unfälle mit schwerwiegenden Folgen finden auf der rechten Spur oder der Standspur statt. Für viele Autobahnwerker enden solche Auffahrunfälle mit schweren Verletzungen bis hin zum Tod. Die Kosten eines mit der aFAS-Technik ausstaffierten Fahrzeugs betragen heute noch rund das Doppelte eines konventionellen Trucks. Eine Serienfertigung könnte den Einstandspreis der orangefarbenen Autobahnhelfer aber weiter senken.
Überdies, so argumentieren die Väter des Systems, spare man Arbeitskosten für den im Schneckentempo den Kollegen folgenden Fahrer ein. Und jedes Menschenleben, das man mit dem aFAS rettet, ist sowieso unbezahlbar. Das aFAS-System stellt bislang also mit Sicherheit die sinnvollste und praktikabelste Art dar, ein teilautonomes Fahrzeug einzusetzen. Auch wenn das Platooning-Gespann nur bis zehn km/h schnell unterwegs ist – in den Autobahnmeistereien könnte sich ein solches System dank der hohen Nachfrage nach Sicherheitstechnik geradezu rasant verbreiten.