Reichweite ist alles – und das gerade beim Elektrobus, bei dem sie bisher noch den begrenzenden Faktor für den praxisgerechten Einsatz ausmacht. Nicht jeder Betreiber will auf eine Schnellladung mittels Pantografen ausweichen, um die Busse den ganzen Tag laufen lassen zu können. Ganz abgesehen davon, dass die finalen Standardisierungen in den internationalen Gremien noch nicht abgesegnet sind, stehen hohe finanzielle und städtebauliche Hürden im Weg. Trotzdem können Big Player wie Daimler gar nicht anders, als diese zusätzliche Option so schnell wie möglich dem Kunden anzubieten.
Bei genauer Betrachtung zeigt sich noch ein anderer Pfad, um die Reichweite deutlich zu erhöhen: die Heizungs- und Klimatisierungsstrategie. Nach allen bisherigen Studien und Praxiserfahrungen aus dem realen Leben eines Elektrobusses kann je nach regionalem Klima noch mal genauso viel Strom für das passende Klima an Bord verfeuert werden, wie für den Antrieb selbst – im Mittel sind das jeweils eine Kilowattstunde pro Kilometer beim Solobus. Das ist der Grund dafür, warum Daimler beim eCitaro so einen großen Wert auf das Thema gelegt hat, und hier echte Innovationen punktgenau auf den Weg bringt. Gustav Tuschen formuliert es so: „Viele Technik-Features des eCitaro waren vor Kurzem noch nicht lieferbar. Wir haben sie vernetzt, wir haben sie erprobt.“ So wird erstmals eine Klimaanlagen-/Wärmepumpen-Kombination verbaut, die zwar schon lange in Entwicklung ist, aber erst zur Busworld in Kortrijk Serienreife erlangt hat (da die Anlage mit Drücken von 120 bar arbeitet, war die Herausforderung der Dichtigkeit besonders groß). Diese kompakte Anlage kann gleichzeitig kühlen und heizen (siehe Grafiken S. 57) und ist vollständig in die thermischen Gegebenheiten des Gesamtsystems integriert. „Die Vernetzung der HLK-Anlage und der Wärme abgebenden Komponenten bildet die Basis unseres einzigartigen Thermomanagements“, wie es Tuschen ausdrückt. Und damit hat er nicht zu viel gesagt. Die HLK-Strategie wird mit dem eCitaro von der selbstverständlichen Zulieferer-Ausstattung zum Schlüsselfaktor im Kampf um praxisgerechte Reichweiten.
Der Grund für die Bedeutungssteigerung ist einleuchtend, wie Elektronik-Leiter Andreas Mink erläutert: „Das große Thema ist hierbei, dass wir nicht mehr den positiven Nebeneffekt haben, dass der Verbrennungsmotor selbst Abwärme produziert, die man für die Heizung nutzen kann. Die entfällt mit dem batterielektrischen Citaro. Allerdings können wir die Abwärme aus der Batteriekühlung nutzen und in den thermischen Wasserkreislauf einspeisen.“ Daher kommt das Prinzip der Wärmepumpe, die bei Außentemperaturen von bis zu minus zehn Grad noch Wärme aus der Umgebungsluft ziehen kann, gerade recht, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Aber das ist noch nicht alles, wie Andreas Mink verrät: „Die neue Wärmepumpe ist deutlich vernetzter, vor allem, weil das System heizen und kühlen kann und bei sehr hohen Außentemperaturen für die Batterieklimatisierung sorgt. Dadurch kann die Gesamtbilanz viel besser ausbalanciert werden als bisher mit einzelnen, getrennten Kühlsystemen – und die Verluste minimiert werden. Die CO2-Wärmepumpe bringt von vorneherein eine sehr hohe Effizienz mit sich.“
Diese Effizienz zeigt sich in einer einfachen Zahl: der COP oder „Coefficient of Performance“, zu Deutsch „Wirkungsgrad“. Die Anlage kann aus der eingesetzten Energie ein Vielfaches an Heiz- bzw. Kühlleistung herausholen. Wie sorgfältig und detailliert das Thermomanagement ausgearbeitet ist, zeigen gleich mehrere Beispiele im neuen eCitaro. So sind sämtliche wärmeabgebenden Komponenten miteinander vernetzt, um den Energieaufwand für deren Kühlung im Betrieb auf ein Minimum zu reduzieren (hier sind die Batterien besonders wichtig). Da der menschliche Körper Wärme abgibt, kann bei einem besetzten Bus die Heizleistung frühzeitig etwas zurückgenommen werden.
Darüber hinaus variiert Mercedes-Benz die Leistung von Heizung und Klimaanlage in
Abhängigkeit von der Zahl der Fahrgäste an Bord: Der Frischluftanteil im Bus wird optimal an die aktuelle Fahrgastzahl angepasst. Die Auslastung des Busses wird dabei über dessen Achslastsensoren aus dem ECAS-System ermittelt.
Bei sehr niedrigen oder hohen Außentemperaturen wird zudem die Innentemperatur leicht zurückgenommen, weil die Techniker von einer angepassten Kleidung der Passagiere ausgehen. Ein Stadtbus muss ja nicht immer wie ein Wohnzimmer temperiert sein! Der Fahrer kommt natürlich jederzeit in den Genuss maximaler Kühlung und Heizung – das versteht sich im Citaro von selbst. Insgesamt sparen die Maßnahmen der Daimler-Klimatechniker bis zu 40 Prozent der bisher
nötigen Energie ein!
Wie leistungsfähig die Anlage ist, demonstrierte der Hersteller unlängst in seinem Technik- und Innovationszentrum: Bei einer Außentemperatur von etwas über null Grad werden schon nach 30 Minuten im Innenraum 17,5 Grad erreicht, nach 45 Minuten eine Temperatur von 25 Grad. Reife Leistung! Andreas Mink bringt das ausgeklügelte Konzept auf den Punkt: „Konkret heißt das: In den Grenzbereichen des Temperaturbandes fokussieren wir uns darauf, ein Temperatur-Delta zur
Außentemperatur einzuregeln, und reduzieren damit den Energieverbrauch.“
Und auch bei einem weiteren, neuralgischen Punkt geht Daimler bei dem Thema in Führung: Die neue Klimaanlage ist die weltweit erste Serienanwendung für Nutzfahrzeuge, die mit CO2 oder R744 als Kältemittel arbeitet, statt des bisher gebräuchlichen R134a. Letzteres muss aufgrund seines hohen Treibhausgaseffektes (GWP = Global Warming Potential) bis 2020 aus neuen Pkws verschwinden, CO2 ist hier mit einem GWP von Faktor 1 weitgehend unbedenklich. Die künstliche Verknappung dieses Kältemittels durch die EU schlägt sich bereits in massiven Preissteigerungen nieder: 100 Euro könnten bald für R134a keine Seltenheit mehr sein – R744 als Kältemittel, von dem acht Kilo für eine Füllung nötig sind, kostet in Industriequalität derzeit ein bis zwei Euro. Zudem besitzt CO2 eine sehr hohe volumetrische Kälteleistung, die aber druckabhängig ist – die Anlage arbeitet mit 120 bar. Die Rohrsysteme von 10–15 Metern Länge müssen daher hermetisch dicht sein, nahezu alle Bauteile werden verlötet statt verschraubt und schon bei der Herstellung akribisch auf Undichtigkeiten getestet. Ein Trockner entfällt konzeptbedingt ebenfalls.
So ist es beileibe keine „heiße Luft“, wenn Daimler vom „besten Elektrobus auf dem Markt“ spricht. Alleine die Klimatisierungsstrategie ist ein echter Meilenstein auf dem Weg zum emissionsfreien Stadtbus.