Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass der aufbrausende "Wind of Change" die Busbranche so schnell aufrütteln würde? Die Big Five der amerikanischen Tech-Giganten, die sich voll und ganz auf das Virtuelle oder das gerade entstehende Metaversum eingeschossen haben, werden zu einem Technologietreiber für die eher behäbige Reisebusbranche. Für das Firmenimage und auch als Anreiz für Mitarbeiter, die sicher und komfortabel durch den sechsspurigen Verkehr des Silicon Valley ins Büro kommen wollen, sind elektrische Busse hochwillkommen. Und wenn sie dann den Komfort eines Reisebusses bieten: umso besser! Üppiger Kofferraum spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle, zumeist reichen ja Aktenkoffer und Laptop unter dem Arm. Reinsetzen, einloggen, losarbeiten aufs offizielle Zeitbudget. "Cooles Konzept!", möchte man kalifornisch-jugendlich ausrufen.
Wie viele dieser Busse aber bereits tatsächlich laufen, ist schwer zu sagen, da Verschlusssache. Allein Van Hool hat bereits rund 30 Elektro-Eindecker in die USA verkauft, für den Doppeldecker sind schon ähnlich viele Aufträge unterzeichnet. Auch MCI, New Flyer und Temsa liefern elektrische Reisebusse. Neben den Tech-Unternehmen interessiert sich auch Flixbus/Greyhound immer stärker für das Thema, nachdem der erste Anlauf in Deutschland und Frankreich mit chinesischen Überlandbussen kläglich gescheitert war.
Weitegehend Windstille beim Thema Elektro-Reisebus in Deutschland
In Deutschland herrscht also (wieder) weitgehend Windstille beim Thema Elektro-Reisebus – ja, sogar beim kleinen Intercity-Bruder, der gerade mal zaghaft mildhybridisiert wird. Man gibt sich mit der verspäteten Aufholjagd der Elektrostadtbusse zufrieden und lächelt in den hiesigen Chefetagen zuweilen mitleidig über Anfragen nach elektrischen Reisebussen aus deutscher Fertigung hinweg. Wenigstens weiß man seit Anfang des Jahres nun offiziell, dass die bisherige Elektrobusförderung des Bundes den Reisebus per se nicht ausschließt. Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (BDO) verkündete frohgemut in seinem Newsletter: "Auch wenn der Fokus der Richtlinie auf Bussen im Personenverkehr liegt, sind Reisebusse nicht ausgeschlossen. Bisher scheiterte der Einsatz im Fernbusmarkt allerdings an der fehlenden Verfügbarkeit von Batteriefahrzeugen. Es wird aber davon ausgegangen, dass sich dies im Zeitraum der Richtlinie ändern wird." Da wird sich die Richtlinie aber viel Zeit lassen müssen. Aufgrund der anhaltenden Coronakrise, der kommenden neuen EU-Gesetzgebung (General Safety Regulation ab 2024) sowie der politischen Unwägbarkeiten in Sachen Abgasnorm Euro 7 haben die großen Hersteller derzeit wenig bis gar keine Lust auf große Investitionen im Reisesegment. Man setzt eher auf Konsolidierung.

Das lässt viel Raum für kleine, innovative Hersteller wie Van Hool. Die Belgier sind schon seit 75 Jahren als unabhängiger Busbauer erfolgreich, vor allem im Bereich der alternativen Antriebe. Schon auf der ersten Busworld in Brüssel 2019 zeigte der Hersteller einen veritablen Elektro-US-Eindecker, den CX45E, den er gemeinsam mit dem amerikanischen Start-up Proterra konzipiert hatte – so etwas wie der Tesla des Busbaus, der von Ebusco und VDL fleißig kopiert wird. Mithin ist auch Daimler ein Proterra-Partner, nur hat man seit der IAA 2018 nichts mehr von der vielversprechenden Liaison gesehen außer einem US-Schulbus für Thomas Built Buses.
Fast parallel zum CX45E arbeiteten die findigen Busbauer in Konigshooikt da schon an einem weiteren Aufschlag mit zwei Stockwerken, einem im Wesentlichen baugleichen TDX25E mit klassischer 45-Fuß-Länge und 2,6 Meter Breite. 3.500 Fahrzeuge dieser Klasse hat Van Hool seit 1982 bereits ausgeliefert. Und das, obwohl der Doppeldecker im Vergleich zum Eindecker nicht deutlich mehr Sitzplätze bietet (69 zu 56), weil die Gewichtsbilanz des Fahrzeugs schlicht zu delikat ist – auch wenn die Vorderachse hier 8,2 statt 7,5 Tonnen tragen kann. Ganz bewusst sind die schmalen Batteriepacks, die bei Proterra sonst im Boden der Stadtbusse verbaut sind, in Dreierpacks stehend vor und hinter der Antriebsachse montiert und nicht etwa in den Podesten des Vorderwagens, wo sie zumindest links gut passen würden. Rechts wurde aufgrund der beiden Rollstuhlplätze auf ein Podest verzichtet. Der Kofferraum ist mit rund vier Kubikmetern zwar konzeptbedingt kleiner als im Eindecker (circa 60 statt 90 Liter pro Passagier), aber erstaunlich gut nutzbar – zumal hier laut Van Hool mittelfristig noch etwas Potenzial zu heben ist.
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