Steil geht’s hinauf in dem Steinbruch hoch über dem Lenninger Tal auf der Schwäbischen Alb. Lose ist der Grund auf der staubtrockenen Piste mit ihrer eindrucksvollen Steigung. Die Schwerkraft zerrt mit Macht am voll beladenen Kippsattel. Geschreddertes Schiefergestein, wie es die gigantischen Bohrer in den Tunneln für Stuttgart 21 zu Abertausenden von Tonnen aus dem Berg holen, ist hier abzukippen. Für das ölige und somit grundwasserkritische Material ist ganz oben auf dem Berg eine speziell präparierte Fläche reserviert.
DAF ruft ersten XF mit Vorderradantrieb ins Leben
Gut, einen hydrostatischen Vorderradantrieb in dieser DAF-Zugmaschine zu haben. Hat man den Schalter mit dem Längssperrensymbol aktiviert, beginnen die Säfte im Hydrauliksystem zu fließen, und die Lenkachse liefert prompt zusätzliche Traktion. Doch handelt es sich beim Zusatzantrieb dieses DAF nicht um die bekannte Ginaf-Lösung mit einem Radnabenmotor von Rexroth, sondern um eine ganz neue Variante mit Radnabenmotor von Poclain. Genauer gesagt: Was da den staubigen Stich steil bergan unter die Räder nimmt, ist nichts Geringeres als der erste überhaupt gebaute XF mit diesem Vorderradantrieb, den DAF mit dem Unternehmen Paul in Passau ins Leben gerufen hat. Nicht mehr zwingend nötig ist somit der Umweg über den in den Niederlanden beheimateten Spezialisten Ginaf, der zwar seit Langem zuständig ist für ab Werk nicht lieferbare Sonderwünsche aller Art – aber heutzutage ein Fall für sich ist. Ende des Jahres 2011 wurde das Unternehmen nämlich für bankrott erklärt und hinterher von einem chinesischen Mischkonzern übernommen, der in Textilmaschinen ebenso macht wie in Nutzfahrzeugen. Da kann man nun nie so recht wissen, ob es am Ende nicht so läuft wie bei der Trailermarke Burg Silvergreen oder der Busfabrik von Viseon. In beiden Fällen verloren die chinesischen Eigner urplötzlich die Lust und zogen bei ihren Sprösslingen kaltherzig den Stecker. Nur gut also, dass es in Passau einen Spezialisten hohen Rangs gibt, über dessen Bodenständigkeit aber auch nicht der geringste Zweifel besteht.
Die Rede ist von Nutzfahrzeuge Paul. Bekannt ist das Unternehmen für Um- und Neubauten aller Art. Dem sicherlich üppigen Mercedes-Angebot ringt das Unternehmen locker viele weitere Varianten ab, die es ab Werk nicht gibt. Und die lange Latte der Eigenkreationen gipfelt im sogenannten Heavy Mover, der es als dreiachsiger Allradler auf 3,50 Meter Breite bringt und satte 220 Tonnen Nutzlast gelassen auf seine breiten Schultern nimmt. So hoch wollte DAF mit den Passauern aber nicht hinaus. Der Ehrgeiz ging vielmehr in Richtung einer sozusagen eigenständigen und auch vollständig in die Fahrzeugdokumentation integrierten Lösung für den hydrostatischen Vorderradantrieb, den ja inzwischen mit Ausnahme von Scania jeder namhafte europäische Lkw-Hersteller im Sortiment führt. "PXP" alias "Paul Xtra Power" prangt in königsblauer Schrift auf strahlend gelbem Grund am XF-Vorführfahrzeug mit dem neuen System, das hier seine Qualitäten gleich einmal unter Beweis stellen kann. Pianissimo geht der Einsatz des Hydraulikorchesters nach dem Drücken des für den Vorderradantrieb zuständigen Schalters nun nicht gerade vor sich. Prototypen haben eben oft so ihre Eigenarten, die noch etwas Feinschliff brauchen.

Hubvolumen der Radnabenmotoren fällt größer aus als üblich
Wichtiger ist, dass der neue hydraulische Vorderantrieb des DAF sich in zwei Dingen von den gebräuchlichen Lösungen unterscheidet. Da gilt zum einen: Größer als überall sonst ist das Hubvolumen der Radnabenmotoren dieses neuen DAF. Beträgt es von MAN Hydrodrive bis Volvo X-Track ungefähr einen Liter, so fährt Paul Xtra Power gleich einmal 1.248 Kubikzentimeter auf. Konsequenz daraus: Der Druck im System kann mit ungefähr 360 Bar schön niedrig bleiben, während anderswo gern 400 Bar und darüber als Betriebsdruck herrschen. Zum anderen fällt auf: Das System ist im Gegensatz zu allen sonst gebräuchlichen hydrostatischen Vorderradantrieben offen ausgelegt. Die Hydraulik kann sich also auch noch anderweitig nützlich machen. Beine macht ihr der Nebenantrieb des Motors, womit eine Zugkraftunterbrechung des Fronttriebs beim Schalten kein Thema ist. Nachteil der niederbayerisch-niederländischen Lösung: Der Anbau an den Motor ragt sowohl über die Rahmenoberkante hinaus als auch unter der Kabinenrückwand des langen Space-Cab-Fahrerhauses hervor. Das dürfte die Aufbauer etwas ins Grübeln bringen, wenn’s mal um Motorwagen gehen sollte, zumal mit kurzer Kabine. Für den Kippsattel, auf den das Ganze offensichtlich gemünzt ist, spielt das aber keine Rolle. Und wie gut die Sache dann im echten Serienstadium funktioniert, dem wird sich ein ausführlicher Test in einer der kommenden Ausgaben widmen.