Ein hydrostatischer Vorderradantrieb für den DAF? Das war bis jetzt ein eher ominöses Thema, erforderte es doch den Umweg über die ebenfalls in den Niederlanden beheimateten Spezialisten von Ginaf, seit jeher zuständig fürs Ummodeln in Sonderfahrzeuge, die bei DAF ab Werk nicht zu haben sind. Nun ist Ginaf aber ein Fall für sich. Ende des Jahres 2011 für bankrott erklärt und hinterher von einem chinesischen Mischkonzern übernommen, der in Textilmaschinen ebenso macht wie in Nutzfahrzeugen: Da schwebt nun über allem die leichte Unsicherheit, ob es am Ende nicht so geht wie bei der Trailermarke Burg Silvergreen oder der Busfabrik von Viseon. In beiden Fällen verloren die chinesischen Eigner urplötzlich die Lust und machten den Schuppen dicht. Nur gut also, dass es in Niederbayern einen Spezialisten von anerkannter Güte gibt, über dessen Bodenständigkeit aber auch nicht der geringste Zweifel besteht.
System geht mit Macht zu Werke
Die Rede ist von Paul Nutzfahrzeuge in Passau. Bekannt ist das Unternehmen für Um- und Neubauten aller Art. Dem sicherlich üppigen Mercedes-Angebot ringt das Unternehmen locker viele weitere Varianten ab, die es ab Werk nicht gibt. Und die lange Latte der Eigenkreationen gipfelt im sogenannten Heavy Mover, der als dreiachsiger Allradler mit 3,50 Meter Breite vorfährt – und es mit 220 Tonnen Nutzlast im Maximum aufnehmen kann.So hoch wollte DAF mit den Passauern dann doch nicht hinaus. Der Ehrgeiz zielte vielmehr auf eine sozusagen eigenständige und auch vollständig in die Fahrzeugdokumentation integrierte Lösung für den hydrostatischen Vorderradantrieb, den ja inzwischen mit Ausnahme von Scania jeder namhafte europäische Lkw-Hersteller im Sortiment führt. Erste DAF mit dieser Lösung sind schon unterwegs. FERNFAHRER hatte exklusiv Gelegenheit, das allererste jemals gebaute Exemplar dieser neuen Konstruktion in Augenschein zu nehmen. "PXP" alias "Paul Xtra Power" prangt in königsblauer Schrift auf strahlend gelbem Grund am XF-Vorführfahrzeug, das seine Qualitäten gleich einmal bei einer Fahrt in einem Steinbruch auf der Schwäbischen Alb unter Beweis stellen darf. Geladen hat der 480 PS starke Kippsattel mit Space Cab öligen Schieferschredder, der aus einer der Röhren für die Tunnels von Stuttgart 21 kommt. Für solch heikle Fracht ist ganz oben im Steinbruch eine speziell präparierte Fläche vorgesehen, zu der es über steile und lockere Schotterpisten hinaufgeht. Besser also, den hydrostatischen Vorderradantrieb vorsichtshalber zu aktivieren.

Die Taste mit dem Längssperrensymbol gedrückt, lässt Paul Xtra Power keinen Zweifel daran, dass das System mit Macht zu Werke geht. Etwas Feinschliff kann es schon noch vertragen und wird ihn wohl auch bekommen, setzt das Orchester der Hydraulik doch nicht gerade pianissimo ein. Das Hubvolumen der Radnabenmotoren dieses neuen DAF ist höher als überall sonst. Beträgt es von MAN Hydrodrive bis Volvo X-Track ungefähr einen Liter, so fährt Paul Xtra Power gleich einmal 1.248 Kubikzentimeter auf. Konsequenz daraus: Der Druck im System kann mit ungefähr 360 Bar schön niedrig bleiben, während beim Wettbewerb schon immer gern mal 400 Bar und darüber als Betriebsdruck vorherrschen. Weitere Besonderheit: Das System ist im Gegensatz zu allen sonst gebräuchlichen hydrostatischen Vorderradantrieben offen ausgelegt. Die Hydraulik kann sich also auch noch anderweitig nützlich machen. Beine macht ihr der Nebenabtrieb des Motors, womit eine Zugkraftunterbrechung des Fronttriebs beim Schalten kein Thema ist. Nachteil der niederbayerisch-niederländischen Lösung: Der Anbau an den Motor ragt sowohl über die Rahmenoberkante hinaus als auch unter der Kabinenrückwand des langen Space-Cab-Fahrerhauses hervor. Das dürfte die Aufbauer etwas ins Grübeln bringen, wenn’s mal um Motorwagen gehen sollte, zumal mit kurzer Kabine. Für den Kippsattel, auf den das Ganze offensichtlich gemünzt ist, spielt das aber keine Rolle. Und wie gut die Sache dann im echten Serienstadium funktioniert, das wird ein ausführlicher Test in einer der kommenden Ausgaben im Einzelnen beleuchten.