Urteil nach Untersuchungshaft: Ein kurzer Prozess

Urteil nach Untersuchungshaft
Ein kurzer Prozess

Nach einem tödlichen Rechtsabbiegeunfall in Osnabrück wurde ein Lkw-Fahrer aus Belarus binnen zehn Tagen Untersuchungshaft verurteilt. Das ist nach der Strafprozessordung durchaus möglich.

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Foto: Heiko Westermann, Heiko Pohlmann, Hasepost

Der tödliche Rechtsabbiegeunfall vom 23. März in Osnabrück folgte einem leider bekannten Muster. Der 43-jährige Lkw-Fahrer aus Belarus fuhr auf der Römereschstraße, der 62-jährige Radfahrer aus Wallenhorst auf dem Radweg. Als der Fahrer seinem Navi folgte und plötzlich nach rechts in den Kiefernweg abbog, übersah er dabei den Radfahrer und erfasste ihn samt Rad.

Nach Zeugenaussagen im schnell einberufenen Verfahren vor dem Amtsgericht Osnabrück am 1. April war der Lkw kurz nach links ausgeschert, um rechts abzubiegen. Nach der Auswertung des Fahrtenschreibers durch einen Gutachter war der Belarusse auf der Straße mit 36 km/h unterwegs und dann mit etwa 14 km/h abgebogen. Der Fahrer konnte sich nicht erinnern, ob er geblinkt hatte. Einen Abbiegeassistenten hatte sein Lkw nicht. In diesem kurzen Prozess wurde der Fahrer aus der Untersuchungshaft heraus zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Wie kann das sein? "Im vorliegenden Fall käme der Haftgrund der Fluchtgefahr infrage, da es sich um einen belarussischen Fahrer handelt, der offensichtlich keinerlei Lebensverbindungen zu Deutschland hat und zudem mit Belarus kein Auslieferungsabkommen besteht", sagt Matthias Pfitzenmaier. "Denn überquert der Fahrer die Grenze, dann kann er nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden, sofern er sich nicht freiwillig dem Verfahren stellt. Ob allein ein Wohnsitz im EU-Ausland Fluchtgefahr begründet, ist in der Rechtsprechung umstritten."

Urteile in beide Richtungen

Es gibt Urteile in die eine und in die andere Richtung. "Möglicherweise wollte man vorliegend die Klärung dieser Frage bei einer Haftprüfung vermeiden und hat deshalb innerhalb von zehn Tagen einen Prozess anberaumt", vermutet Pfitzenmaier. Wahrscheinlich habe der Betroffene auch, um nach Hause zu kommen, der Verkürzung der ansonsten geltenden Ladungsfrist zwischen Anklageerhebung und Gerichtsverhandlung von mindestens einer Woche zugestimmt. Dies ist nach Paragraf 217 StPO möglich. Auch dürfte ein Gutachten, welches die Werte aus dem digitalen Tachographen auswertet sowie eine Rekonstruktion des Unfalls und in Augenscheinnahme des Lkw durchführt, in dieser Zeit grundsätzlich machbar sein.

Neben dem "klassichen" Vorwuf, der Lkw-Fahrer hätte den Radfahrer sehen müssen, kam auch die seit dem 9. November 2021 geltende Neuregelung in Paragraf 9 Abs. 6 StVO zur Geltung. Dort steht folgender Satz: "Wer ein Fahrzeug mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t innerorts führt, muss beim Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn auf oder neben der Fahrbahn mit geradeaus fahrendem Radverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist."