Markus* ist Fernfahrer mit Leib und Seele. An einem ganz normalen Tag soll er Ware transportieren, das Fahrzeug wird, wie so oft, nicht von ihm selbst, sondern von Lagerpersonal beladen. Die integrierte Waage zeigt keinen auffälligen Wert. Ob sie nicht richtig funktioniert hat oder ob das Fahrzeug samt Anhänger ungünstig stand – wir wissen es nicht. Jedenfalls gab es keinen Hinweis auf eine Überladung.
Auch während der Fahrt fällt Markus nichts auf. Kein schwerfälliges Fahrverhalten, keine Auffälligkeit am Berg. Alles läuft wie gewohnt. Beim Empfänger angekommen, soll entladen werden, doch dort wird er verwogen. Und wie es in dieser Firma üblich ist: Liegt eine Überladung vor, wird sofort die Polizei gerufen.
13 Prozent soll die Überladung betragen haben. Markus versteht die Welt nicht mehr. Er meint, das würde doch keinen Sinn ergeben. Gerade bei dieser Firma, bei der man genau weiß, dass sofort Anzeige erstattet wird. Die Ladung sah für ihn auch absolut in Ordnung aus, und er ist erfahren. Es ist nun mal schwierig, das genaue Gewicht bei diesem Ladegut abzuschätzen, aber in diesem Fall war für ihn nichts erkennbar.
Die Polizei kommt, prüft aber nichts weiter. Sie nehmen den Wiegeschein auf, fertigen einen Vermerk und erstellen eine Anzeige. Markus erhält einen Bußgeldbescheid, weil er angeblich mit überladenem Fahrzeug gefahren sein soll. Der Halter des Fahrzeugs, sein Arbeitgeber, bekommt ebenfalls einen Bescheid: Man habe angeordnet oder zugelassen, dass das Fahrzeug in überladenem Zustand gefahren wurde.
Nach dem Einspruch erhalten wir die Akte. Der Umfang ist recht dünn. Man könnte meinen, man sollte die Einwendungen direkt gegenüber der Behörde oder noch vor dem Gerichtstermin vorbringen. Aber wir entscheiden uns bewusst dagegen. Aus Erfahrung wissen wir: Je mehr man vorab schreibt, je mehr man rügt oder anführt desto mehr wird die Akte "nachträglich" vervollständigt. Dinge, die eigentlich nicht ermittelt wurden, landen plötzlich dokumentiert in der Akte, als sei alles schon ordnungsgemäß geprüft gewesen.
Aber damit nicht genug. Der Gegenseite wird die Verteidigungsstrategie vor der mündlichen Verhandlung genannt. Das heißt, die Gegenseite kann sich bestens auf den Auftritt im Gerichtsverfahren vorbereiten. Also warten wir. Und bereiten uns selbst intensiv auf die Hauptverhandlung vor. Die lässt auch nicht lange auf sich warten. Am Tag der Verhandlung begrüßt mich Markus gut gelaunt vor dem Gerichtsgebäude. "Na, Sofia, ich hoffe, das schaffen wir auch heute!" sagt er lachend. Ich kenne Markus und die Firma schon länger, es wird recht witzig, wenn wir uns treffen. Trotzdem verlieren wir das Ziel nicht aus den Augen: keine Punkte, keine hohe Geldbuße.
Die Gerichtsverhandlung
Unser Richter ist freundlich, aber direkt. Er sagt gleich zu Beginn: Solche Verfahren habe er jeden Tag. Meist sei alles in Ordnung. Er habe weder Zweifel an der Dokumentation noch an den Einschätzungen der Polizei. Weil er so offen spricht, lege ich auch direkt los: In der Akte finden sich nur der Vermerk der Beamten, die Eichung der Waage und der Wiegeschein. Kein Hinweis, wer gewogen hat, wie das Fahrzeug stand, ob alle Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Wiegung eingehalten wurden, ob die Person überhaupt geschult war.
Ich erläutere, dass Markus nicht selbst beladen habe, sondern sich auf das Fachpersonal verlassen hat, Menschen, die das jeden Tag machen. Dass optisch für ihn nichts zu erkennen war, auch während der Fahrt nicht. Dass die Empfängerfirma bekannt dafür ist, sofort die Polizei zu rufen, also hätte er bei irgendeinem Verdacht sicher interveniert.
Der Richter hört zu, nickt und schüttelt am Ende aber den Kopf. Eine Ausnahme wolle er hier nicht machen. Überladungen seien gefährlich, und das müsse man ernst nehmen. Es müsse also Beweis erhoben werden. Der Zeuge wird hereingerufen. Der Polizeibeamte betritt den Saal. Recht forsch, setzt sich, schaut Markus an, und beginnt: Man sei gerufen worden, weil bei der Wiegung eine Überladung festgestellt worden sei. Die Beamten hätten dann den Wiegeschein genommen und Markus ein paar Fragen gestellt, die er nicht habe beantworten wollen. So sei es zur Anzeige gekommen. Der Beamte schaut mich an. Es ist nicht mein normaler Gerichtsbezirk, also kenne ich die Personen hier nicht. Sie mich aber auch nicht. Das eröffnet mir alle Möglichkeiten.
Ich habe das Gefühl, er hält mich also für jemanden, der sich damit nicht so auskennt. Ich muss innerlich schmunzeln, lasse mir aber nichts anmerken. Ich frage zunächst etwas unschuldig die typischen Fragen: "Machen Sie das häufig?" – "Ja, ständig", antwortet er. Hier sei alles korrekt gewesen. Markus habe einfach Pech gehabt. Ich hake nach: "Wurde denn gegen den Verlader vorgegangen?" – "Nein." Der Betroffene habe gar nicht gesagt, dass er nicht selbst beladen hätte. Da müsse man also keine weiteren Nachforschungen anstellen.
Der Beamte wiegt sich in Sicherheit, er wird redseliger, die Antworten länger. Zeit also, zu den wichtigen Fragen zu kommen. "Haben Sie die Unterlagen zur Wiegung selbst geprüft?" – "Ja, natürlich", sagt er. Die Anzeige habe er auch selbst gefertigt. Den Fahrern werde auch direkt vor Ort mitgeteilt, was ihnen vorgeworfen werde. Ich nicke, er lächelt.
Ich hake ein: "Wer hat denn konkret gewogen?" Das wisse er nicht. Aber es sei immer derselbe Wiegemeister, der das regelmäßig mache und auch vereidigt sei. Ob dieser geschult sei, frage ich nach. "Ja, klar!" Die Antwort kommt prompt. "Woher wissen Sie das?" – "Naja", sagt der Beamte, "ich gehe davon aus, dass dort nur geschultes Personal arbeitet." Ich frage, ob er das überprüft habe. Hat er nämlich nicht. Ob er die Schulungsnachweise gesehen habe. Hat er nicht. Ob er weiß, wer konkret an dem Tag gewogen hat. Weiß er nicht. Ob er dabei war. War er nicht. Ob er den Wiegemeister konkret befragt habe. Nein.
Ich lächle. Er sieht es. Und merkt wohl, dass die Luft dünner wird. Er wendet sich von mir ab und bittet den Richter, die Unterlagen nachreichen zu dürfen, dann werde sich alles klären. Er sei sich sicher, dass alles korrekt war. Der Richter schaut mich an: "Haben Sie noch Fragen?" Ich schüttle den Kopf. Nein, alles geklärt. Dann folgt, was wir gehofft hatten: Der Richter entlässt den Zeugen, blickt in die Runde und sagt, dass er nach dieser Beweisaufnahme Zweifel habe. Auch wenn das Fahrzeug wahrscheinlich überladen war, lasse sich das nicht sicher feststellen. Nicht unter den Voraussetzungen, die das Gericht braucht, um zu verurteilen.
Um eine weitere Beweisaufnahme zu vermeiden, schlägt der Richter vor, die Geldbuße auf 55 Euro, also in den Verwarngeldbereich, zu reduzieren. Kein Punkt. Kein Eintrag. Markus lächelt, nickt, sagt: "Dankeschön dafür!" Draußen lacht er: "Na, das passiert denen jetzt aber nicht noch mal, oder?!" Ich lache mit. "Nein, sicher nicht. Und falls doch, kümmern wir uns darum, wenn es so weit ist." Für heute haben wir das Beste rausgeholt.