Autobahnkanzlei: Ein Strohhalm kann teuer werden

Autobahnkanzlei
Ein Strohhalm kann teuer werden

Kleine Dinge haben oft eine große Wirkung. In Rainers Fall sorgen ein paar Strohhälmchen für eine ganze Menge Aufregung.

Ein Strohhalm kann teuer werden
Foto: Autobahnkanzlei

Rainer* legt mir einen Bußgeldbescheid und gleichzeitig die dazugehörige Ladung zum Amtsgericht vor. Er war mit seinem Lastzug voll Stroh unterwegs nach Österreich. Mit zwei Lkw sind sie hintereinanderher gefahren, der Anhänger war offen, nicht verplant. In Thüringen auf der A 38 wurden beide von der Polizei rausgewunken. Etwas ruppig seien die Beamten gewesen. Da habe er besser gar nichts gesagt, erzählt mir Rainer. Sein Kollege Wilfried* hat’s genauso gehalten, der blieb auch still. Die Polizeibeamten hätten darauf bestanden, dass das Stroh mit Planen bedeckt wird. Sie haben dann brav das Stroh unter Planen versteckt.

Das Verfahren wird ausgesetzt

Eigentlich waren sich beide sicher, dass sie die mitgeführten Planen in Deutschland nicht brauchen würden. Jeder Strohballen sei mit einem engmaschigen Netz überzogen. Da könne sich eigentlich so gut wie nichts lösen. Aber was tut man nicht alles, wenn man freundlich gebeten wird, meint Rainer leicht ironisch. Beide haben eine Anzeige bekommen. Die Sache von seinem Kumpel Wilfried sei schon lange entschieden. Der sei punktefrei mit 55 Euro aus der Angelegenheit rausgekommen. Dessen Beschluss hat er mir gleich mitgebracht. Schade ist, dass der Richter auf eine Begründung verzichtet hat. Da waren sich wohl alle einig, dass gegen die Entscheidung nichts gemacht wird. Dann darf nämlich auf richterliche Erläuterungen verzichtet werden. Vor Rainers Termin, der bereits in zwei Wochen stattfinden wird, fordere ich die schnellstmögliche Übersendung der Gerichtsakte an. Gespannt warte ich auf die Darstellung der Polizeibeamten und natürlich auf die Fotos. Die entpuppen sich als Witz. Einzelne kleine Strohhälmchen, zusammen nicht eine Zigarettenschachtel voll, finden sich auf dem Polizeifahrzeug. Wahrscheinlich besonders schmerzhaft für die Ordnungshüter: das Hälmchen am Mercedes-Stern. In der Tat, das ist fast schon Majestätsbeleidigung, nicht nur ein feindlicher Strohhalmangriff auf das heilige Dienstfahrzeug. Nein, gleich dessen Herzstück – der Mercedes-Stern – wurde getroffen. Grinsend und ein wenig peinlich berührt darüber, was in meinem Land zur Anzeige kommt, lege ich die Akte zur Seite.

Die Verhandlung erwarte ich mit Spannung. Die freundliche Richterin hat keine Beamten geladen. Schade, finde ich. Denen hätte ich gern ein bisschen auf den Zahn gefühlt. Zu meiner Überraschung hat sie das nicht etwa getan, weil hier alles sonnenklar für Rainer spricht. Nein, im Gegenteil. Sie weiß nicht so recht, was Rainer und ich hier wollen. Ich ziehe zuerst mal die Vorentscheidung eines anderen Richters, aber immerhin desselben Gerichts heraus und lege sie vor. Die Richterin nimmt’s zur Kenntnis, mehr nicht. Dass das ein fauler Kompromiss sei mit den 55 Euro bei Rainers Kumpel, sei mir auch klar. Darum ginge es nicht, meint die Richterin. Sie würde ihr eigenes Urteil fällen und sich selbst ein Bild machen. Da interessiere sie das herzlich wenig, was ein Kollege in einer ähnlichen Sache vor ein paar Monaten entschieden habe. In der Akte hätte ich außerdem gesehen, dass die Polizeibeamten nicht nur Fotos, sondern auch ein Video gemacht hätten. Das würde ich gern sehen. Ich beantrage also die Beiziehung des Videos mit den fliegenden Strohhalmen. Die Richterin stimmt zu. Das Verfahren wird ausgesetzt. Vier Monate später geht’s weiter. Zu diesem Termin muss Rainer nicht kommen. Die Richterin hat ihn von seiner Anwesenheitspflicht entbunden. Vor dem Gerichtssaal herrscht dieses Mal eine merkwürdige Stimmung. Drei Polizisten stehen dort. Die Verhandlung beginnt.

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