Neoplan-Innovationsträger Eishockeyspieler testen Skyliner

MAN Neoplan Kiel Tech Seats 2021 Foto: Thorsten Wagner 21 Bilder

Praxistest: Neoplan hat einen Skyliner mit vielen Fahrgastinnovationen auf die Räder gestellt. Wir haben ihn mit zwei Eishockeymannschaften unter die Lupe genommen.

Die Entwicklung neuer Technologien oder auch nur Ausstattungen ist keine einfache Angelegenheit. Ausgedacht ist vieles schnell, aber wie schlägt sich die Technik dann in der Realität? Trifft sie die Kundenansprüche oder hat man am Bedarf vorbeientwickelt? Praxistests sind unerlässlich, um diese Fragen ausreichend beantworten zu können. Und diese sind im echten Einsatz natürlich am besten zu realisieren. Als MAN im September seinen Innovations-Doppeldecker Neoplan Skyliner vorstellte, war in Kooperation mit lastauto omnibus schnell ein geeignetes Praxistestprogramm gefunden: der eher seltene Einsatz als Mannschaftsbus. Denn wer könnte besser die Praxistauglichkeit und die Eignung der Ausstattung beurteilen als Hochleistungssportler, die ihrem Mannschaftsbus ähnliche Performance abverlangen wie ihren gestählten Körpern?

Ein Partner war mit dem Heilbronner Busunternehmen Hochstetter Touristik schnell gefunden. Jens Hochstetter und seine Fahrer bewegen neben anderen den Zweitliga-Eishockeyverein Heilbronner Falken und den Erstligisten Bietigheim Steelers (Penny DEL) zu rund 30 Spielen im Jahr über mehr als 30.000 Kilometer. Und das zumeist im Doppeldecker. "Weil wir einfach viel längere Strecken fahren als zum Beispiel Fußballmannschaften, ist ein Doppeldecker ideal geeignet. Im Oberdeck kann sich die Mannschaft ungestört ausbreiten, und Trainer und Begleitpersonal sitzen unten. Das ist perfekt und hat sich so bei den meisten Eishockeyvereinen fest etabliert", erläutert Hochstetter, der uns auch das komplexe Prozedere von Play-offs und Auswärtsspielen aus dem Effeff erklären kann. Auch in der Befragung hielten 75 Prozent der Nutzer den Doppeldecker für das optimale Reisemittel. Also tauscht Hochstetter "seinen" Skyliner, Baujahr 2018, flugs für zwei Wochen mit dem neuesten Innovationsprodukt aus dem Hause Neoplan. Die Mannschaften sind natürlich mit Feuer und Flamme bei der Sache und beantworten uns unterwegs einen Onlinefragebogen.

Sitze basieren auf dem Kiel Avance X

MAN Neoplan Kiel Tech Seats 2021 Foto: Thorsten Wagner
Die Einzelsitzversion des Kiel Avance X ­bietet verstellbare Kopfstützen und feste, sehr ­bequeme Armlehnen sowie einen sehr ­intuitiven Verstellmechanismus.

Eines der wesentlichen Ausstattungsmerkmale des Innovations-Skyliner, den es in dieser Form noch nicht zu kaufen gibt, sind die hochwertigen Tech-Seats von Kiel, die hier erstmals in einer ungewöhnlichen 2 + 1-Konfiguration im Oberdeck verbaut wurden. Die Sitze basieren auf dem Kiel Avance X und bieten neben einer Sitzheizung in drei Stufen und einer Lüftungsfunktion eine zweifache pneumatische Lordosestütze und eine Massagefunktion. "Die Zweiersitze können auch mit verstellbaren Armlehnen und einer induktiven Ladefunktion für Handys am Sitzrücken geliefert werden. An Beinauflagen arbeiten wir derzeit noch. An deren bisherigem Montagepunkt ist noch die neue Technik verbaut", erläutert Ludwig Wimberger, der früher bei Neoplan in Pilsting tätig war und heute technischer Kundenberater bei Kiel ist. Serienmäßig sind Dreipunktgurte, die Udo Nehr, Geschäftsführer des Busunternehmens "Der kleine Stuttgarter", sehr lobt. "Das sind die ersten Dreipunktgurte, die den Passagier in keiner Weise einengen." Bei anderen Themen gebe es aber noch Luft nach oben, so der Unternehmer, der die Sitze als erster Kunde in einem Tourliner verbaut hat. "Die Bedienung mit der Kiel-Passagier-App funktioniert bei uns noch nicht perfekt, aber wir haben ein Steuerpanel direkt im Cockpit eingebaut, über das der Fahrer jederzeit sehen kann, wer welche Funktion nutzt und wer angeschnallt ist."

Auch die Benutzerführung der App ist noch nicht perfekt, wie UX-Designer und lastauto omnibus-Fahrgastexperte Patrick Lenz konstatiert. "Auch wenn diese frühe Version der Tech-Seat-App an eine Betaversion erinnert, ist sie funktionell durchaus vielversprechend und ein beeindruckender Proof of Concept." Die Komfortfunktionen lassen sich auch mit geschlossenem Gurt direkt vom Fahrer anwählen oder deaktivieren. Bedenken, der Fahrer käme aufgrund dieser hohen Transparenz etwa in Haftungsnöte wegen der Gurtpflicht, räumt Matthias Pfitzenmaier, Verkehrsrechtler aus Heilbronn, aber schnell aus: "Auch ein Erkennen für den Fahrer im Cockpit lässt keine andere Haftung des Busfahrers zu. Wenn Komfortsysteme des Sitzes an ein Anschnallen gekoppelt sind, ändert dies an obiger Lage nichts."

Bedienung der Sitze komfortabel über Tech-Seat-App

MAN Neoplan Kiel Tech Seats 2021 Foto: Thorsten Wagner
Die Tech-Seat-App für Fahrgäste gibt es für iOS und Android. Sie bietet viele neue Features wie einen Notruf.

Generell ist die Bedienung der Sitze über die Tech-Seat-App komfortabler als mit dem unbeleuchteten und etwas überfrachteten Panel am Sitz. Im Endausbau sollen aber sogar die Leseleuchten schaltbar und Getränkewünsche und ein Notruf in der App absetzbar sein. Die generelle Polsterung der Sitze wird von den Testern mit "sehr gut" bewertet, ebenso die Heizungs- und Lüftungsfunktion. Etwas schlechter kommt die Massagefunktion weg, die leider nicht intuitiv in ihrer Intensität zu regulieren ist. Dazu kommt, dass diese Funktion nur im Oberdeck verbaut und mit fest eingebauten, ausladenden Armlehnen verbunden ist. Unverständlich, gibt es doch zumindest die Zweiersitze auch mit verstellbarer Lehne. Was sagt der Sportexperte zu den Komfortfunktionen der Sitze? Pirmin Härle, Physiotherapeut des Erstligisten Bietigheim Steelers, ist begeistert. "In der Ersten Eishockeyliga geht es meist hektisch zu, da bleibt den Jungs wenig Zeit zum Abkühlen in der Kabine. Da ist die Kühl- und Massagefunktion im Bus natürlich Gold wert, denn die eingesparte Energie des Körpers wird dann schneller für die muskuläre und mentale Regeneration genutzt. Bei 26 Spielern kann man sich nicht um alle gleichzeitig kümmern. Da wird einem schon viel Arbeit abgenommen. Und das heutige Ergebnis spricht ja Bände für die Wirksamkeit." Das hieß denn auch 5 : 2 im Derby gegen Villingen-Schwenningen.

Als der Jubel im Bus abgeklungen war, kam die nächste Innovationsstufe des Skyliner zur vollen Entfaltung: die Multimediaausrüstung. Schon die elektronische Ausstattung an den Sitzen bekommt gute Noten, aber der Bus kann noch viel mehr. Erstmals hat MAN hier die große Bosch-Anlage mit 22 Zoll großen HD-Bildschirmen verbaut, die in dieser Auflösung sehr lange auf sich haben warten lassen im Bus. 2022 kommen auch noch 15-Zöller für das Doppeldecker-Unterdeck sowie mächtige 27-Zöller für die Bugkuppel. Das busspezifische System, das so derzeit bei MAN noch nicht zu kaufen ist, besteht aus der Touchscreen-Head-Unit CM-C 19 mit 7-Zoll-Farbmonitor und dem DIN-formatigen Control-Panel CM-X 19 der Coach-Infotainment-Serie und ist "das absolute Flaggschiff der Baureihe", so Guido Soltau, bei Bosch für Customer Support & Special Projects zuständig.

Hochwertige Signalübertragung per Automotive Ethernet

Einer der wesentlichen Vorteile neben der beim Serienradio vermissten getrennten Regelung von Fahrer- und Fahrgastraumquelle und -lautstärke ist die hochwertige Signalübertragung per Automotive Ethernet (OABR) zwischen den einzelnen Komponenten. Bald kommt auch der neue, LTE-fähige Media-Router für mindestens 50 Internetzugänge dazu, der dann auch Internetinhalte verlustfrei streamen kann. Schon jetzt lassen sich per HDMI- und USB-A-Anschluss Medieninhalte direkt unterhalb vom smarten Endgerät auf die Monitore zaubern. Skyliner-Experte Hochstetter fühlt sich trotz der modernen Touchscreen-Bedienung sehr an alte Bosch-Systeme erinnert und glaubt daher, dass viele Busfahrer intuitiv damit umgehen können.

Dank MFI- und "Apple ready"-Zertifizierung zeigt das System auch Titel- und Albuminfos an. Mit Apple Carplay und Android Auto ist aber vorerst laut Bosch nicht zu rechnen, da eine Zertifizierung hierfür zu komplex und teuer sei und Android zudem das werksseitige Navigationssystem mit busspezifischen Daten (sieben Jahre kostenlose Updates durch Tomtom) zwangsweise deaktivieren würde. Völlig neu sind auch die 22-Zoll-Touchscreens in den Tischen der beiden Sitzgruppen unten mit verbundenen Mini-PCs, auf denen Falken-Trainer Jason Morgan mit seinem Team den Spielverlauf des Abends noch einmal analysiert. Leider hapert es hier und da noch ein wenig mit der Konnektivität beim Innovationsträger – etwas Fummelei ist nötig. Aber das Potenzial ist immens für diverse Anwendungen.

Neoplan Tourliner im Fahrbericht
Luxusreisebus mit Euro-6d-Motoren

Nicht unbedingt die allerletzte Innovation ist das Optiview-Spiegelersatzsystem, das zuerst bei Neoplan verbaut wurde und hier mit dem Mobileye-Abbiegeassistenten und einem neuen 360-Grad-Birdview-System kombiniert ist. Sowohl der Autor als auch Praktiker Hofstetter konnte sich bei der Nachtfahrt von der Qualität der Monitore überzeugen, die eine sehr gute Restlichtverstärkung besitzen und jetzt rechts auch durch einen konventionellen Rampenspiegel ergänzt werden. Die Schärfe der Monitore ist noch verbesserungsfähig, auch fehlen Markierungen für den Heckabschluss, die beim Einscheren dienlich sind. Das erledigt dann aber das Birdview-System perfekt, zeigt es doch genau die Position des überholten Fahrzeugs auf dem hellen Monitor. Dort sind allerdings auch noch die alten Maikäferspiegel statt der beinahe genauso breiten Spiegelgehäuse in der Grundansicht hinterlegt. "Beim Rangieren in engen Stadioneinfahrten kann es hier schon mal krachen", fürchtet Hochstetter, zumal die Gehäuse nicht einsehbar seien. Auch hier ist also noch ein wenig Platz für die nächste Innovation übrig.

Fazit

Seit Jahrzehnten hatte sich nicht viel getan im Reisebus, erst mit dem Start der Fern­linien 2013 kam ein stetiger Innovationsschub auf, auch für den Passagierkomfort. „Fresh Travel“ – wie es die junge Messe Bus2Bus nennt – ist in diesem Innovationsbus auf die Spitze getrieben und hat viel Potenzial, nicht nur für Mannschaftsbusse. Schon die Voll-HD-Monitore sind seit Jahren überfällig! Und die Kiel-Tech-Seats sind die Krönung des Sitzkomforts an Bord. Die Bedienung per App ist zudem sehr zeitgemäß – oder wie unser UX-Experte Lenz sagt: „Sie macht Lust auf die Zukunft des Busreisens.“

Interview: „Kosten und Nutzen müssen genau abgewogen sein“

Was genau ist der Zweck eines solchen Innovationsfahrzeugs? Eine direkte Kundenanwendung dürfte sich so schwer finden lassen.

Wir hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Anfragen von Fernbusbetreibern oder auch von neuen Playern, die in den Fernbusmarkt eintreten und sich mit innovativen Konzepten von den Marktführern differenzieren wollten. Weiter haben auch Busunternehmer aus dem touristischen Bereich neue Konzepte angefragt, die über den bekannten Bistrobus hinausgehen. Dies hat uns veranlasst, die Ideen und die technischen Möglichkeiten in Bezug auf Passagierkomfort und Fahreranforderung umzusetzen.

MAN Neoplan Kiel Tech Seats 2021 Foto: MAN
Heinz Kiess leitet das Produktmarketing bei MAN Truck & Bus in München.
Um wie viel teurer ist eine solche Sitz­anlage grob gegenüber einer hochwertigen konventionellen Anlage?

Das Preisniveau der Bestuhlung in 2 + 1 mit den komfortablen Sitzen mit den technischen Ausstattungen wie Belüftung, Massagefunktion und individueller Bedienung ist gegenüber einer klassischen Bestuhlung in vergleichbarer Ausstattung in etwa 2,5-mal so hoch. Deswegen muss natürlich der Nutzen für die Passagiere genau abgewogen werden, damit sich dieser Mehrwert schließlich auch im Preis der Reise wiederfinden kann.

Die Toilette stößt auf sehr großes Lob. Wäre sie auch in Eindeckern möglich, und welcher ­finanzielle Aufwand würde dahinterstehen?

Das Thema WC hat in den Diskussionen mit den Kunden noch viel Potenzial. Der Fokus lag auf hygienischen und hochwertigen Oberflächen sowie einem einladenden Farbambiente. Auch beim Wasserbedarf und -verbrauch haben wir auf nachhaltiges Spülmanagement mit Vakuumtechnik gesetzt, um so wenig Wasser wie möglich aufzuwenden. Die Toilette bieten wir schon seit einigen Jahren bei Skyliner und Cityliner an. Aufgrund der hohen Anschaffungskosten ist die Nachfrage aber leider noch gering.

Können solche aufwendigen Ausbauten künftig auch in Ankara realisiert werden – oder mit welchen Partnern arbeiten Sie aktuell zusammen bei derartigen Projekten?

Selbstverständlich sind wir bei allen Modifikationen aus dem Werk Ankara gut aufgestellt. In kürzester Zeit haben wir die Verlagerung von Plauen nach Ankara erfolgreich vollzogen, und inzwischen wurden bereits einige Fahrzeuge mit sehr komplexen Um- und Ausbauten dort gefertigt. Das bestätigen auch unsere Kunden. Das Feedback zu den Busmodifikationen aus Ankara ist sehr positiv und zeigt die Buskompetenz an unserem türkischen Standort. Zusätzlich werden wir bei Bestandsfahrzeugen und auf individuellen Kundenwunsch natürlich auch weiter auf lokale Ausbauer in den jeweiligen Märkten zurückgreifen und mit diesen partnerschaftlich zusammenarbeiten.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
lao 12 2021 Titel
lastauto omnibus 12 / 2021
11. Dezember 2021
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