Gesundheit der Lkw-Fahrer FERNFAHRER startet neue Initiative zur Aufklärung

Unfall Foto: Daniel Friedrichs 7 Bilder

Die gesundheitlichen Probleme vieler Lkw-Fahrer sind schon seit Jahren bekannt. Nach einer Reihe von tragischen Unfällen, bei denen sogar relativ junge Männer während der Fahrt einen Herzinfarkt erlitten haben, wird es endlich Zeit, die Zielgruppe besser aufzuklären. Mit Charme und ärztlicher Expertise.

Die Ferntour nach Norwegen, auf die sich der 40-jährige Lkw-Fahrer Martin Tullio, seit zwölf Jahren bei der Kollmeyer Transport GmbH aus Bielefeld beschäftigt, lange gefreut hatte, endete auf der Rückfahrt am 30. Januar gegen elf Uhr am Rande der A 7 bei Bordesholm. "Martin hatte am Vortag über ein komisches Gefühl in der Magengegend berichtet", erzählt sein heute noch betroffener Chef Dirk Kollmeyer auf Nachfrage von FERNFAHRER über einen seiner im Team beliebtesten Mitarbeiter. "Er war kerngesund. Ich habe ihm gesagt, er solle zum Arzt gehen. Aber er wollte es noch unbedingt bis Deutschland schaffen."

Immerhin, so berichtet Kollmeyer, war Martin wohl nicht allein, als er am Steuer einen Herzinfarkt erlitt und trotz notärztlicher Maßnahmen in einer Klinik in Neumünster nicht mehr gerettet werden konnte. Eine Autofahrerin, die wohl den Notruf abgesetzt hatte, war zuletzt bei ihm. Ein schwacher Trost.

Herzinfarkt mit 33

Nur wenige Tage später, am 9. Februar, erlag der nur 33-jährige Lars Rempt aus Ebersdorf bei Coburg am späten Nachmittag ebenfalls einem plötzlichen Herzinfarkt am Rande der A 33 bei Steinhagen. Sein bester Freund, ebenfalls ein Lkw-Fahrer, hatte kurz zuvor noch mit ihm telefoniert, als der eigentlich kerngesunde junge Mann von einem plötzlichen Kribbeln sprach und die Kontrolle über seinen DAF verlor. Viele andere Lkw-Fahrer fuhren an dem Sattelzug, der im Schnee feststeckte, vorbei. Der Blog-Artikel "Aus dem Leben gerissen" hatte unter Fahrern und Unternehmern gleichermaßen für große Anteilnahme gegenüber den Eltern und der Lebengefährtin geführt. Und letzten Endes zu der Frage: Warum? Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe starben allein dieses Jahr sieben Fahrer im Lkw.

"Es gibt eindeutige Anzeichen für einen nahenden Herzinfarkt", warnt die Ärztin und Ernährungsmedizinerin Dr. Hanna Schüssler aus Köln. "Man muss sie rechtzeitig erkennen. Und dann sofort den Notruf 112 wählen. Dazu muss grundsätzlich dringend etwas getan werden, um gerade die Lkw-Fahrer, die oft die ganze Woche unterwegs sind und nicht immer zum Arzt gehen können, besser in gesundheitlichen Fragen aufzuklären."

Neu im FERNFAHRER: Hannas Diagnose

Genau das ist nun der Fall. Ab sofort wollen FERNFAHRER und namhafte Unterstützer das Thema Gesundheit der Lkw-Fahrer in den Vordergrund stellen. Dazu gibt es eine neue Rubrik, die sich jeden Monat mit einem der vielen gesundheitlichen Probleme der mobilen Zielgruppe beschäftigt. Dieses jeweils skizzierte Problem besprechen Dr. Schüssler und Jan Bergrath mit einem Gast jeden letzten Mittwoch im Monat ab 19 Uhr im neuen Format "Hannas Diagnose" – live gestreamt und offen für Fragen der Zuschauer auf der FERNFAHRER-Facebookseite.

In der 26. Sendung von FERNFAHRER LIVE vor einem guten Jahr hatte die 32-jährige Allgemeinmedizinerin unter dem Titel "Hanna und die herzkranken Männer" bereits mit Fahrern gesprochen, die ihre gesundheitlichen Probleme offen diskutierten. Darunter mit Alexander Scheurer (43) aus Aachen und Thomas "Tom" Limmer (61) aus Sonnefeld zwei Kollegen, die bereits einen Herzinfarkt überstanden haben. Während Alexander einen Stent, eine röhrenförmige Gefäßstütze in Gitterform, gesetzt bekam und nach gut acht Wochen Reha seither mit angezogenen Zügeln wieder Lkw fahren darf, hat Thomas, der auch das jährliche Festival der "Franken-Strolche" mitorganisiert hat, einen Defibrillator implantiert bekommen. Damit war für ihn nach mehr als 40 Jahren im Fernverkehr von einem auf den anderen Tag Schluss. "Jetzt versuche ich noch, gegen das leidige Übergewicht anzukämpfen, das natürlich eines der großen Probleme für uns Fahrer ist", so berichtet Alexander ein Jahr später.

Bekannte Risikofaktoren

Die Risikofaktoren sind in der Medizin natürlich alle bekannt: "Ein Herzinfarkt tritt bei Männern häufiger auf als bei Frauen", mahnt Schüssler. Dazu kommt das Alter oder eine familiäre Vorgeschichte von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wichtiger aber sind diejenigen Faktoren, die jeder Einzelne beeinflussen kann: Fettstoffwechselstörungen, ein unzureichend eingestellter Bluthochdruck oder Diabetes können das Risiko für einen Herzinfarkt deutlich erhöhen. Entscheidend ist es, diese Vorerkrankungen frühzeitig, etwa beim regelmäßigen Check-up beim Hausarzt, zu erkennen und konsequent zu behandeln, um schwerwiegende Folgen wie den Herzinfarkt, aber auch Durchblutungsstörungen durch Gefäßverschlüsse in anderen Körperregionen zu vermeiden. "Andere Risikofaktoren wie das Rauchen, Übergewicht, mangelnde körperliche Aktivität und eine ungünstige Ernährung sollten dringend durch anhaltende Lebensstiländerungen angegangen werden."

Im jährlich erscheinenden Fehlzeitenreport der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) rangieren die Mitarbeiter aus der Branche Transport und Verkehr seit Jahren auf Platz vier der Rangliste der Arbeitsunfähigkeitstage. Laut einer bereits 2008 erschienenen Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sind die wichtigsten Ursachen für die Belastung der Lkw-Fahrer bekannt. "Das sind unter anderem langes Sitzen und Bewegungsarmut, ungünstige Arbeitszeiten, soziale Isolation, Stress durch Zeitdruck, Ermüdung durch Monotonie und immer wieder die falsche Ernährung", fasst Schüssler die Studie zusammen. Erschreckend: "Seither ist das Thema Berufskraftfahrer nicht mehr auf der Forschungsagenda der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin", so die knappe Aussage der Pressestelle. Immerhin ist nun eine neue Untersuchung der RWTH aus Aachen zur Belastung von Lkw-Fahrern abgeschlossen.

Gesundheitliche Probleme treffen alle Altersklassen

"Immer wieder erleben Berufskraftfahrer gesundheitliche Probleme", sagt Thomas Rosenberger, Bereichsleiter Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bei Kögel. "Der Stress im Job hinterlässt seine Spuren. Es trifft nicht nur die älteren Kollegen, immer wieder sind leider auch junge Fahrer betroffen. Aus dem Pflichtbewusstsein heraus übersehen sie oft Warnsignale oder unterdrücken sie sogar – bis es zu spät ist und die gesundheitlichen Probleme im schlimmsten Falle während der Fahrt auftreten. Ganz gleich, ob es der Rücken ist oder die Pumpe: Die meisten Probleme kündigen sich an, sofern man sie zu interpretieren weiß. Kögel unterstützt daher die gesundheitliche Aufklärung der Fahrer im FERNFAHRER. Das ist ein Aspekt unserer Unternehmensmaxime ‚Because we care‘ – weil uns auch die Anliegen der Fahrer sehr wichtig sind. Dazu zählt nicht nur ein Trailer, der komfortabel zu bedienen ist, sondern auch die Gesundheitsvorsorge, die niemand auf die leichte Schulter nehmen sollte – gerade nicht die Berufskraftfahrer, die einen ebenso wichtigen wie harten Job ausüben."

In der Tat gibt es zwar die von den Kassen geförderte betriebliche Gesundheitsvorsorge, die vor allem die mittelständischen Firmen wie Gübau in Wolfsburg anbieten. Diese Spedition mit 70 Fahrern stellen wir im Heft 7 vor. Fuhrparkleiter Thomas Schnelle, 44, war selbst 22 Jahre lang Fernfahrer. Bis bei einer Untersuchung festgestellt wurde, dass er an einer Störung des Fettstoffwechsels leidet – die, unbehandelt, im schlimmsten Fall zu einem Herzinfarkt führen kann. Er ist rechtzeitig, wenn auch schweren Herzens vom Lkw runter. Aber bei nur knapp fünf Prozent aller deutschen Unternehmen im gewerblichen Güterverkehr, die mehr als 50 Beschäftigte haben, bleibt diese Form der Prävention für die rund 573.000 Lkw-Fahrer leider auf der Strecke. Das hatte bereits die Untersuchung der BAuA bemängelt.

Docstop sorgt sich um die Fahrer

"Wir erleben auf der Straße jetzt das, was in den letzten 30 Jahren falsch gelaufen ist", sagt auch Transportunternehmer Joachim Fehrenkötter, Vorsitzender des DocStop e. V., der 2007 vom langjährigen Polizeihauptkommissar Rainer Bernickel gegründet wurde. "Es freut mich, dass wir gemeinsam versuchen, an der desolaten Situation im Hinblick auf die Gesundheit der Kraftfahrer etwas zu ändern. Im DocStop-Netzwerk haben wir in ganz Europa über 1.000 Anlaufpunkte. Alleine in Frankreich sind es bereits mehr als 400 Parkmöglichkeiten mit der Option, zum Arzt geshuttelt zu werden."

Wie dringend das gesundheitliche Problem in Deutschland ist, das zeigt die interne Statistik von DocStop, nach der pro Jahr rund 4.000 bis 5.000 Fahrer den Service nutzen. "Und wenn der Arzt einen Fahrer dann aus dem Verkehr zieht", so Fehrenkötter, "dann zieht er ihn eben aus dem Verkehr. Das muss sich langsam auch in der Transportbranche durchsetzen. Denn nur gesunde Fahrer sind auch sichere Fahrer."

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