Geschwindigkeitsverstöße Rechtswidrige Kontrolle in Italien

Foto: Michael Zetzsche
Meinung

Ein deutscher Lkw-Fahrer musste für zwei in Deutschland begangene Verstöße gegen die Geschwindigkeit in Italien ein Bußgeld zahlen. Das widerspricht einem EuGH-Urteil.

Immer wieder bekomme ich von Lkw-Fahrern auch Hinweise auf Kontrollen der Polizei. Diesmal aus Italien. Der langjährige Fahrer einer süddeutschen Spedition, nennen wir ihn hier zu seinem Schutz Horst, war wieder einmal mit seiner Komplettladung auf dem Weg zu einem Kunden in Norditalien. Er war mit dem vorgeladenen Planenzug sogar extra früher losgefahren, um genug Zeit zu haben, an diesem Montag in Ruhe die Rückladung noch zu holen. Das mir bekannte familiär geprägte Unternehmen achtet nach Aussagen der Fahrer darauf, dass diese sich korrekt an die Lenk- und Ruhezeiten halten können.

Und so war sich Horst sicher, dass ihm die „Polizia Locale“ der Provinz Modena, die ihn am 18. Oktober auf einer Landstraße anhielt, bei einer Kontrolle der Fahrerkarte nichts anhaben konnte. Bis die „Dorfpolizei“, im Unterschied zur „Polizia Stradale“, der Autobahnpolizei, offenbar immer weiter forschte und bei einem Ausdruck der, sagen wir locker mal „best of“ der Geschwindigkeitsüberschreitungen der vergangenen 28 Tage aus dem VDO-Tacho zwei Geschwindigkeitsspitzen von 92 km/h am 8. Oktober um 9.06 Uhr und von 95 km/h am 20. September um 15.50 Uhr entdeckte. Auf diesen Ausdrucken ist zwar die Nationalität des aktuellen Fahrerkarteninhabers als „D“ genannt. Nicht aber der Ort, wo diese Verstöße begangen wurden. Diese lassen sich wiederum über die Fahrerkarte oder den Massenspeicher eines Tachos aus dem Jahr 2015 nur vage zurückverfolgen - zwischen den Eingaben „Anfang Land“ und Ende Land“.

Bußgeldbescheid über 1.200 Euro

Zwar versuchte Horst der Polizei zu beteuern, dass er beide Geschwindigkeitsverstöße eindeutig in Deutschland begangen habe. Das aber interessierte die Polizei nicht. Auch die italienisch sprechende Mitarbeiterin der Spedition schaltete sich per Telefon ein. Aber es nützte alles nichts. Horst bekam vor Ort einen Bußgeldbescheid in Höhe von 1249,40 Euro, also je Verstoß 644,70 Euro, der mir in Kopie vorliegt. So viel Geld hatte er nicht dabei. Schließlich, so seine Aussage, habe man gedroht, ihn in Handschellen abzuführen, bis das Geld überwiesen sei. Was die Spedition in ihrer Notlage schließlich auch tat. Alles in allem gingen drei Stunden durch diese Aktion verloren, die genau geplante Rückladung war nicht mehr zu schaffen.

Eigenmächtige italienische Polizei

Andere Italienfahrer haben mir zwischenzeitlich auf Nachfrage bestätigt, dass gerade die „Polizia Locale“ in Italien ab etwa hinter Modena durchaus eigenmächtig handeln würde. Je weiter südlich, umso offensichtlicher funktioniere dort das Prinzip „Kaffeekasse“, dass ich selbst noch aus meiner aktiven Italienzeit kenne – aber die liegt mittlerweile gut 40 Jahre zurück. Michael Zetzsche etwa, dem wir auch das Foto aus seiner aktiven Italienzeit im Tankzug zu verdanken haben, bevor er in den besser bezahlten Werkverkehr wechselte, erzählte mir davon, wie er lieber einmal bewusst fünf Minuten Lenkzeit überschritt, quasi als leicht zu findenden Köder. Danach drückte er dann nach einem „großen gestenreichen Palaver“ ein paar Euro – je nach Lage mit oder ohne Quittung – ab, um weiterzufahren. Der einzige Punkt, der an dieser individuellen Art, mit der uniformierten Staatsmacht umzugehen, legal ist, ist die Tatsache, dass die italienische Polizei in der Tat die in einem anderen Land begangenen Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeiten sanktionieren darf. Das gilt hierbei auch für die französische oder spanische. Aber eben auch nur diese Verstöße.

Ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019

Im Zuge meiner Recherche bin ich zunächst durch Götz Bopp auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gestoßen, das unter dem Aktenzeichen C‑906/19 – siehe das PDF im Anhang - die Rechtsauffassung bestätigt, dass die hier geschilderte Kontrolle zumindest in diesem Einzelfall rechtswidrig war. „Auf der Grundlage des EuGH-Urteils können Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten aufgrund der VO 561/2006, die in Deutschland begangen wurden, etwa auch in Italien oder Frankreich geahndet werden“ so erläutert unser Experte, der Fachanwalt für Verkehrsrecht, Matthias Pfitzenmaier. „Die Vorschrift erklärt dann auch, weswegen deutsche Fahrer, bevor sie ins Ausland fahren, teilweise ihren Tacho auslesen lassen, um eine Ahndung der Verstöße herbeizuführen, damit diese dann nicht im Ausland nochmals bestraft werden können, wo es dann meist zu einer höheren Geldbuße kommt.“

Entscheidend ist hier die rechtliche Grundlage für die grenzüberschreitende Ahndung in Art 19 der VO 561/2006: „Ein Mitgliedstaat ermächtigt die zuständigen Behörden, gegen ein Unternehmen und/oder einen Fahrer bei einem in seinem Hoheitsgebiet festgestellten Verstoß gegen diese Verordnung eine Sanktion zu verhängen, sofern hierfür noch keine Sanktion verhängt wurde, und zwar selbst dann, wenn der Verstoß im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates begangen wurde.“

Keine Rechtsgrundlage für Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen

Heißt: In diesem Urteil stellt der EuGH klar, dass von der Ermächtigungsgrundlage für Behörden, die einen Verstoß, der im Mitgliedstaat B begangen wurde, im Mitgliedstaat A verurteilen, nur Verstöße umfasst sind, die explizit in der VO 561/2006 enthalten sind. „Da in dieser Verordnung Geschwindigkeitsverstöße jedoch nicht erfasst sind“, so Pfitzenmaier, „besteht, zumindest nach dieser Verordnung, keine Rechtsgrundlage für die italienischen Behörden, die Geschwindigkeitsüberschreitung, die in Deutschland begangen wurde, zu ahnden. Die Chance, hier letztendlich beim europäischen Gerichtshof zu obsiegen, wenn sich ein Fahrer oder ein Unternehmen gegen das Bußgeld wehrt, erachte ich als groß.“

Weiter meint der Anwalt in juristischer Dialektik, dass die Ahndung von gebietsfremden Geschwindigkeitsüberschreitungen sich beispielsweise nur dann rechtfertigen lassen würde, wenn in der VO 3821/85 oder der nachfolgenden VO 561/2006 eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage vorhanden wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Dort heißt es im dortigen Art. 19 Abs. 2 lediglich, dass die Mitgliedstaaten sich untereinander Beistand gewähren im Hinblick auf die Anwendung dieser Verordnung und die Überwachung der Anwendung. „Dies reicht aber zum Erlass eines Bußgeldbescheids in Italien für die in Deutschland begangenen Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht aus“, sagt Pfitzenmaier. „Die Italiener verhalten sich in diesem Fall meines Erachtens daher rechtswidrig.“

Problematischer Rechtsweg

Im Prinzip müsste man als Unternehmer laut Pfitzenmaier so einen klaren Fall eigentlich zur finalen Klärung selbst bis zum EuGH bringen. In der Praxis müssten zuvor allerdings die Rechtsmittelinstanzen in Italien ausgeschöpft werden, was wohl zu einer unerträglich langen Verfahrensdauer führen würde. „Da die Ursprungsverfahren in Italien zu führen sind, wird dies auch faktisch nur durch Einschaltung eines italienischen Anwalts möglich sein, respektive eines Anwalts, der sich im italienischen Recht gut auskennt und auch die Sprache beherrscht.“ Das bedeutet zunächst auch, dass das Unternehmen gegen das bereits verhängte und vor Ort bezahlte Bußgeld Einspruch hätte erheben müssen. Das ist aber nicht der Fall. Das ist somit zwar europarechtlich rechtswidrig – aber im vorliegenden Fall rechtskräftig.

Daher haben wir hier für die deutschen Fahrer, die sich mit den Gepflogenheit der italischen Polizei gut auskennen, die italienische Übersetzung des EuGH-Urteils zum Ausdrucken hinterlegt. Vielleicht hilft es ja beim nächsten Mal mit dem konkreten Text und etwas „Palaver“ bei einer Tasse Kaffee ein teures Bußgeld noch vor Ort zu verhindern.

Selbst nach dem neuen Bußgeldkatalog, der am 9.11.2021 nun endgültig in Kraft getreten ist, würde Horst übrigens im Vergleich zur italienischen Geldstrafe in Deutschland weit besser davonkommen.

Hier die neuen Sätze in Deutschland ausschließlich nur für Lkw-Fahrer.

bei außerorts zu schnell kosten seit dem 09.11.2021

  • +11-15km/h 50€
  • +16-20 km/h 140€ zzgl. 1 Pkt
  • +21-25 km/h 150€ zzgl 1 Pkt
  • +26-30 km/h 175€ zzgl 1 Pkt
  • + 31-40 km/h 255€ zzgl 2 Pkt zzgl 1 Monat FV

"Da ein Tatort, also ob Innerorts, Landstraße oder BAB nicht feststeht, wenn der Tacho für die Vergangenheit ausgelesen wird, können eigentlich nur Geschwindigkeiten über 80 km/h geahndet werden", so Pfitzenmaier. Das In Italien verhängte und tatsächlich bezahlte und auf den Tag datierte Bußgeld würde allerdings wohl anerkannt werden.

Download Das EuGH-Urteil zum Download (PDF, 0,16 MByte) Kostenlos
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