Digitaler Tacho Hohe Durchfahrquote

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Seit dem 2.2.22 muss jeder Grenzübertritt manuell im digitalen Tacho dokumentiert werden. Das ist vielen Lkw-Fahrern offensichtlich noch nicht bekannt.

Die deutsch-belgische Grenze an der A 44 bei Aachen-Lichtenbusch ist Teil der Europastraße 40. Sie beginnt in Calais am Ärmelkanal in Frankreich, endet in Ridder nahe der Grenze zu Russland in Kasachstan und ist eine der wichtigsten Transitrouten durch Deutschland. Am mittlerweile fertig ausgebauten Kreuz Aachen kommt noch der nationale und internationale Schwerverkehr von der A 4 hinzu. Am Freitag, dem 4.2.22, waren Christina Petters, die Co-Moderatorin bei FERNFAHRER LIVE, und ich zunächst zufällig einem rumänischen Sattelzug Richtung Belgien gefolgt. Während er auf den alten Zollhof abbog, wurde er gleichzeitig auf der Autobahn von zwei anderen Lastzügen passiert. Auf der belgischen Seite hielt der Fahrer kurz an. Er war auf meine Nachfrage bestens informiert. Denn er gab im digitalen Tacho das Länderkennzeichen für Belgien ein. So wie es seit dem 2.2.22 europaweit im Rahmen des Mobilitätspaketes Pflicht geworden ist.

Foto: Christina Petters
Dieser rumänische Lkw-Fahrer pendelt regelmäßig zwischen Deutschland und Belgien und hat den Grenzübergang bereits vorschriftsmäßig im digitalen Tacho dokumentiert.

Das Foto von der Brücke, welche die beide Grenzareale mit Gastronomie und auf den ersten Blick ausreichenden Lkw-Stellplätzen verbindet, war nur eine Momentaufnahme. Nach einer ersten kumulativen Schätzung haben an diesem Vormittag in gut einer Stunde rund zwei Drittel der Lkw-Fahrer in beiden Richtungen die Grenze ohne Halt passiert. Wenige Kilometer hinter der Grenze folgt der nächste Haltepunkt, ein nicht bewirtschafteter Parkplatz mit maximal zehn Lkw-Stellplätzen. Dort gab es nur eine Lücke. Auch hier fuhren die meisten Lkw vorbei, nur ein ebenfalls vorbildlicher deutscher Fahrer blieb für wenige Augenblicke neben den dort eng parkenden Lkw stehen und stellte ebenfalls den Tacho um. Wie das in wenigen Handgriffen geht, erläutert der Tacho-Experte Tom Döhler als „Zugabe“ am Ende dieses Artikels.

Ein diffuses Gesamtbild

Eins steht fest: Das programmierte Grenzchaos, das der Stuttgarter Experte für alle Fragen zu den Sozialvorschriften und den Tiefen des Mobilitätspaketes, Götz Bopp, und ich bereits im November 2020 in der fünften Folge des Podcast „Sternstunden des Mobilitätspakets“ prognostiziert haben, ist vorerst ausgeblieben – eben auch, weil es bislang noch eine hohe Durchfahrquote an einigen Grenzen gibt. So berichtet etwa Udo Skoppeck von der Deutsch-Schweizer Grenze, dass am Montag dieser Woche zwar viele Lkw stehen. Aber nach seiner Beobachtung hätten wenige Fahrer den Tacho bedient. Jörg Blommel war letzte Woche auf der B 54 von Gronau in die Niederlande gefahren. Da gab es nur eine kleine Parkbucht als Kontrollplatz für die Polizei, aber niemand habe angehalten.

Foto: Jan Bergrath
Auch auf dem nächsten möglichen Halteplatz hinter der deutsch-belgischen Grenze hielten nur wenige Fahrer an, um das Länderkennzeichen D im Tacho einzugeben

Die beiden Fahrer Alexander Scheurer und Torsten Bremser, die beide für niederländische Speditionen arbeiten, haben dagegen bereits beobachtet, dass an den Grenzen die Lkw kurz auf dem Standstreifen halten und dann bei der Wiederauffahrt auf die Autobahn andere Fahrer zum Ausweichen oder Bremsen zwingen. Elmar de Briun, ein Sprecher des niederländischen Verbandes TLN, der bei der EU-Kommission um eine Verschiebung des Datums gebeten hatte, antwortete in einer Mail an mich wortwörtlich: „Noch gab es kein Chaos. Aber wenn alle Fahrer tatsächlich die neuen Regeln einhalten, wird es zu Problemen führen, denn laut der Mautstatistik überqueren pro Jahr 55 Millionen Lkw die deutschen Grenzen.“ Als größtes Transitland Europas hat Deutschland neun Außengrenzen mit unzähligen Grenzübergängen auf Autobahnen und Bundestraßen.

Warum muss der Tacho überhaupt vorerst manuell bedient werden?

Im Trailer zur 76. Sendung von FERNFAHRER LIVE (siehe Terminhinweis) erläutert Bopp zunächst, warum alle Fahrer seit dem 2.2.22. jeden Grenzübertritt manuell im digitalen Tacho dokumentieren müssen. An diesem Datum ist nicht nur die neue Entsenderichtlinie in Kraft getreten, nach der in Zukunft das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ gelten soll, wie ich es bereits in meinem letzten Blog-Artikel zum Mobilitätspaket mit allen Problemen der rechtzeitigen Einführung erläutert habe. Ab dem 2.2.22 sollen zudem nach dem Inkrafttreten des zweiten Teils des Mobilitätspaketes 1 auch die neuen Regelungen für die Kabotage und die Rückkehrplicht der Lkw an den Standort ihrer Zulassung nach spätestens acht Wochen ihre Wirkung entfalten, um endlich den Wettbewerb im Transportgewerbe wieder „fairer“ zu machen.

„In diesem Zusammenhang ist es daher von entscheidender Bedeutung, wann ein Lkw-Fahrer in ein Land eingefahren ist und wann er es wieder verlassen hat“, so Bopp. „Hier besteht allerdings noch dringender Bedarf an Aufklärung für alle Beteiligten der Transportkette.“ Denn der auch in den sozialen Medien oft zitierte intelligente digitale Tacho der zweiten Generation, der die Grenzübertritte der Lkw über GPS vollautomatisch aufzeichnet, muss erst ab August 2023 in Neufahrzeuge eingebaut werden. Spätestens bis zum August 2025 müssen schließlich alle laut EU-Verordnung relevanten Fahrzeuge in Europa damit ausgestattet sein, die Transporter bis 3,5 Tonnen sogar erst bis Mitte 2026.

Wer soll das alles kontrollieren?

Doch wer soll das nun alles kontrollieren? Es ist für den Bereich der Kabotage eigentlich die originäre Aufgabe des Bundesamtes für Güterverkehr, BAG, das dieser Aufgabe seit April 2020 in regelmäßigen Schwerpunktkontrollen auch nachkommt. Nun sind auf Drängen der deutschen Transportverbände zur Unterstützung des BAG seit Oktober 2021 zwar die Mautdaten für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs freigegeben worden. Doch wie ich bereits Ende 2021 in meinen Blog-Artikel „Nur ein Back-up für das BAG“ berichtet habe, ist das noch nicht der Weisheit letzter Schluss, wie mir das BAG seinerzeit auf meine Anfrage geschrieben hat: „Sofern sich im Rahmen von Kontrollen Anhaltspunkte für Zuwiderhandlungen gegen die Kabotagebestimmungen ergeben, wird ein entsprechender Kontrollbericht erstellt und an den Innendienst abgegeben. Der Innendienst hat sodann durch Zugriff auf die Mautdaten die Möglichkeit, eine Zuwiderhandlung ergänzend zu belegen - etwa indem mittels der Mautdaten nachgewiesen wird, dass ein Grenzübertritt nicht oder nicht zum angegebenen Zeitpunkt stattgefunden hat. Ein pauschaler Datenabgleich ist nicht vorgesehen. Grundsätzlich muss nach der Gesetzesbegründung ein Anfangsverdacht vorhanden sein und die Daten nur für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten verwendet werden.“

Bußgeldsätze stehen bereits fest

Der Straßenkontrolldienst des Bundesamtes für Güterverkehr wird im Rahmen seines Überwachungsauftrags ab dem 2.2.2022 zwar auch die durch den Fahrer am Fahrtenschreiber vorzunehmende Eingabe des Symbols des Landes, in das er nach Überqueren einer Grenze eines Mitgliedstaats einreist, kontrollieren. Doch so wie ich das BAG aus Erfahrung einschätze, wird es, ähnlich wie im September 2017 beim Verbot der Verbringung der regelmäßigen wöchentliche Ruhezeit im Lkw, wohl zunächst eine Phase der Kulanz mit Aufklärung und mündlichen Verwarnungen geben. Für später festgestellte Verstöße stehen die potentiellen Bußgelder laut BAG bereits vorläufig fest, wie mir das BAG geschrieben hat: „Der von Ihnen angefügte Teil aus dem Bußgeldkatalog bezieht sich auf die Pflicht gemäß Artikel 34 Absatz 7 Unterabsatz 1 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 165/2014. Da sich die von Ihnen angesprochene neue Verpflichtung aber in Unterabsatz 2 befindet, wird das Bundesamt, solange keine gesetzliche Anpassung der Fahrpersonalverordnung erfolgt, die fehlende Eingabe des Ländersymbols als Verstoß gemäß § 23 Absatz 1 Nr. 2 bzw. § 23 Absatz 2 Nr. 2 Fahrpersonalverordnung werten. Danach handelt ordnungswidrig, wer als Fahrer oder Unternehmer nicht für das einwandfreie Funktionieren des Fahrtenschreibers oder die ordnungsgemäße Benutzung des Fahrtenschreibers oder der Fahrerkarte oder des Schaublattes sorgt.“

Folgende Bußgelder sind danach als Regelbuße vorgesehen: Für den Fahrer jeweils 250 Euro bei Vorsatz bzw. 125 Euro bei Fahrlässigkeit je 24-Stunden-Zeitraum, für den Unternehmer 750 Euro bei Vorsatz bzw. 375 Euro bei Fahrlässigkeit je 24-Stunden-Zeitraum. Das kann in der Summe ganz schön teuer werden. Daher freuen wir uns ganz besonders, dass sich auch der Präsident des BAG, Andreas Marquardt, die Zeit nimmt, mit uns in der 76. Sendung von FERNFAHRER LIVE am 10. Februar 2022 ab 17 Uhr über die „Grenzerfahrungen“ zu diskutieren.

Terminhinweis:

Neben Götz Bopp sind unsere weiteren Gäste: Andreas Marquardt, der Präsident des BAG, das nun die zusätzliche Aufgabe bekommen hat, im Rahmen seiner Kontrollen des Schwerlastverkehrs auch zu kontrollieren, ob die Fahrer dieser Pflicht der Dokumentation überhaupt nachgekommen sind, sowie Ralf Dohmen von VDO, der uns sämtliche Stufen der technischen Intelligenz des digitalen Tachos aus Sicht des führenden Tacho-Herstellers erläutern kann. Die beiden ebenfalls grenzerfahrenen Berufskraftfahrer Jörg Blommel und Udo Skoppeck runden diese Debatte aus Sicht der Fahrerinnen und Fahrer ab.

Zugabe: So stellt ihr den Tacho ein

„Unterschiedliche Aussagen führen immer mehr zur Verunsicherung für die ab 02.02.2022 geltende Regelung, den Grenzübertritt zu speichern“, mahnt der der Tacho-Experte Tom Döhler seit geraumer Zeit in den sozialen Medien. „Bei analogen Fahrtenschreibern gilt dies bereits seit 20.08.2020.“

Mit seiner Erlaubnis darf ich seinen Text zur Bedienung des digitalen Tachos hier übernehmen:

Am ersten möglichen Halteplatz an oder nach der Grenze muss der Fahrer / die Fahrerin das Ländersymbol in den digitalen Fahrtenschreiber eingeben, in das gefahren wird. Dies erfolgt bei VDO unter dem Menüpunkt "Eingabe Fahrer 1" "Beginn Land", bei Stoneridge unter dem Menüpunkt "Ortsangaben". Es muss NICHT das "Ende Land" eingegeben werden! Die Pflicht zur Eingabe des Landes bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende bleibt weiterhin bestehen.

Ein Beispiel:

Bei Arbeitsbeginn: Beginn Land "D"

Grenzübertritt: Beginn Land "A"

Rückfahrt am selben Tag, erneuter Grenzübertritt: Beginn Land "D"

Bei Arbeitsende: Ende Land "D"

Stand heute kann KEIN Fahrtenschreiber (weder VDO 4.0e noch Stoneridge 8.0) dies automatisch speichern. Ab der Version 4.0 e wird lediglich das neue Land automatisch vorgeschlagen. Aber nur, wenn ich den Menüpunkt anwähle. Durch die Durchführungsverordnung (EU) 2021/1228 wurde der Zeitpunkt geregelt, an dem die Version 2 des intelligenten Fahrtenschreibers verbaut werden muss:

Zum 21.08.2023: alle neu zugelassenen Fahrzeuge

Zum 01.01.2025: Umrüstplicht für VDO bis Rel. 3.0, Stoneridge bis Rev. 7.6

Zum 18.08.2025: Umrüstpflicht für VDO 4.0 und 4.0e sowie Stoneridge 8.0

Erst die Geräte der Version 2 können den Grenzübertritt automatisch speichern.

Bei Stoneridge-Geräten werden dann zusätzliche Hinweise auf das Land angezeigt:

  • Beim Einschalten der Zündung und gesteckter Fahrerkarte länger als 180 Minuten erscheint ein Hinweis auf den Beginn einer neuen Arbeitsschicht.
  • Beim Ausschalten der Zündung erscheint ein Hinweis auf das Ende der Arbeitsschicht. (Diesen kann ich bestätigen oder ignorieren)
  • Nach einem Grenzübertritt länger als 120 Sekunden erfolgt die Frage nach dem neuen Land beim ersten Halt.
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