MAN Hydrodrive contra 8x4-Antrieb Auf Kurz oder Lang

MAN Hydrodrive kontra 8x4-Antrieb Foto: Jacek Bilski 11 Bilder

Der Vierachser zu unwirtschaftlich, der normale Kippsattel zu zahnlos fürs
Gelände – wäre da nicht der Hydrodrive-Sattelzug eine Alternative?

Alles begann mit einer untergeschobenen Anhängerachse. Der Vierachser hatte es nicht leicht, sich durchzusetzen. Denn der Gesetzgeber sah ihn anfangs gar nicht gern. Noch in den 1970er-Jahren durfte er seine Bahn nur mit Ausnahmegenehmigung ziehen. "Übermäßige Straßenbenutzung" unterstellten ihm die Behörden. Deshalb stand er seinerzeit zudem gleich einmal von Freitag 15 Uhr bis Montag früh um 9 Uhr unter Hausarrest. In diesem Zeitraum war der sogenannte Schwerverkehr, zu dem er sich zählen lassen musste, auf Deutschlands Straßen schon gar nicht gelitten.

Rein rechtlich ein Anhänger

Findige Köpfe machten allerdings bald eine kleine Lücke im Paragrafendschungel aus: Auf verschlungenen Pfaden war es möglich, dem Dreiachser eine weitere Achse unterzujubeln. Diese gelenkte Zehn-Tonnen-Achse firmierte rechtlich als Anhänger. Sie verfügte zwar über keine Zuggabel, aber immerhin ein eigenes Nummernschild. "Kuppelgespanne" hießen diese Undercover-Vierachser. Die Anhängerfabrik Theodor Meierling stellte das erste Exemplar dieser Spezies im Jahr 1981 vor. 32 Tonnen Gesamtgewicht waren so auf einmal möglich.

Sich damit ins Gelände zu begeben bereitete jedoch nur in Maßen Freude: Die eine Lenkachse vorn bekam eben gnadenlosen Schub von hinten und zirkelte nicht immer so um die Kurven, wie es der Einschlag des Lenkrads vorgab. Lang schauten die Behörden dem bunten Treiben auch nicht tatenlos zu.

Rote Karte für die Kuppelgespanne

Schon 1984 kam die Rote Karte für die Kuppelgespanne. Drei Meter Abstand zwischen erster Achse des Hängers und letzter Achse der ziehenden Einheit waren nun plötzlich Vorschrift. Und aus der Traum.

Im Gegenzug gab es aber grünes Licht für den Vierachser heutiger Machart mit jeweils zwei Achsen vorn und hinten. Zaghaft gestand ihm der Gesetzgeber erst 30, ab 1986 dann 32 Tonnen zu. So dreht diese relativ junge Fahrzeugspezies heute noch ihre Runden.

Geringe Nutzlast

Ruft damit beim Besitzer aber stets gemischte Gefühle hervor: Was die Nutzlast angeht, ist der Vierachser – verglichen mit dem Kippsattel – ein Zwerg. Beim Verbrauch langt er mit seiner doppelt angetriebenen Hinterachse trotzdem ordentlich zu. Einen Riesen-Wendekreis hat er obendrein. Trotzdem: An steilen Rampen geht es nun einmal nicht ohne ihn. Generell ist seine Geländegängigkeit unerreicht.

Denn gerade in diesem Punkt muss der gemeine Kippsattel nur zu oft passen. Nicht nur, dass er vor steilen Rampen allein schon des limitierten Knickwinkels zwischen Auflieger und Untersatz wegen schnell kapituliert. Es fehlt ihm am Ende vor allem immer dann an Traktion, wenn er seiner Ladung ledig geworden ist. Reicht es voll beladen und daher mit sattem Achsdruck auf der Hinterachse zwar noch locker hinein ins Gelände, schafft das Absacken der Hinterachslast auf weniger als die Hälfte nach dem Kippen schnurstracks Probleme: Oft genug helfen dann nur noch das Auspacken des Stahlseils und der Ruf nach dem Lader.

Allradsattel verbraucht 10 bis 15 Prozent mehr

Ärgerlich ist das. Zeit kostet‘s auch noch. Everybody´s Darling wird man so auf Dauer vor Ort ganz bestimmt nicht. Aber deswegen gleich zum Allradsattel greifen? Das würde wiederum ein happiges Maß an Nutzlastverlust bedeuten und zu 10 bis 15 Prozent Mehrverbrauch obendrein führen. Vom sakrisch hohen Einstieg ganz zu schweigen.

Da stellt der hydrostatische Vorderradantrieb, wie ihn MAN seit 2006 im Sortiment führt, doch eine verlockende Alternative dar. Einstieg wie gehabt, laut MAN ein moderates Mehrgewicht von 200 Kilogramm gegenüber einem konventionellen Hinterachsantrieb – und gut 400 Kilogramm Mindergewicht gegenüber einem konventionellen Allradkonzept. Nicht zu vergessen: auch kein zehnprozentiger Verbrauchszuschlag wie bei einer weiteren angetriebenen Achse à la 4x4 konventionell.

Zwar schaltet sich der zusätzliche Antrieb bei einer Geschwindigkeit von mehr als 28 km/h ab, um eine Überhitzung des Systems zu verhindern, und klinkt sich bei 22 km/h wieder ein. Für den schnellen Dauerbetrieb im Gelände ist der MAN-Hydrodrive also nicht geeignet. Um einem aber mal kurz aus der Klemme zu helfen, eignet sich das System ideal. Neu ist das Prinzip keineswegs: Bei Kranen wird diese Art des Antriebs schon seit einer kleinen Ewigkeit praktiziert. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Lieferant auf den Namen Poclain hört. Der ist auf solche Dinge spezialisiert.

Hydraulikpumpe speist Radnabenmotoren

Im Lkw funktioniert die Sache folgendermaßen: Am Getriebeausgang sitzt eine Hydraulikpumpe, die Radnabenmotoren an der Vorderachse speist. Der Druck in den Hydraulikleitungen reicht bis 420 bar. Das auf diese Weise maximal erzielbare Antriebsdrehmoment liegt im Maximum bei 7.280 Nm pro Rad. Das entspricht einer zusätzlichen Zugkraft von ungefähr 0,75 Tonnen insgesamt.

Klingt nicht nach viel, hilft aber unter Umständen gewaltig: Denn zum einen enthebt der Vorderradantrieb die Hinterachse von vornherein der lästigen Aufgabe, die vorderen Reifen durchs weiche Geläuf schieben zu müssen. Zum anderen bedeutet das für den leeren Sattelzug insgesamt gleich einmal eine Anhebung der Traktionsreserven um immerhin ungefähr 20 Prozent. Drückt die Antriebsachse des leeren Sattelzugs doch nur mit einem Wert irgendwo zwischen drei und vier Tonnen auf den Boden und kann mehr also auch nicht in Traktion umsetzen.

Zuschalten lässt sich der Extra-Vorderradantrieb übrigens auch noch bei durchdrehenden Rädern. Zuständig ist dafür ein Drehschalter, der außerdem eine weitere Raste kennt: Die finale Drehung ganz nach rechts aktiviert zusätzlich zum hydrostatischen Zusatzantrieb die Quersperre der Hinterachse – als Ultima Ratio.

Leichte und kompakte Kombination

Wer eine besonders leichte und kompakte Kombination mit dennoch viel Nutzlast sucht, der greift in Fragen des Anhangs am besten zum Zweiachs-Kippsattel mit Zehn-Tonnen-Achsen. Gerade mal 13.180 Kilogramm bringt das Gespann aus Hydrodrive-Sattelzugmaschine mit L-Fahrerhaus und dem Meiller-Kippsattel mit seinen 5.320 Kilogramm Leergewicht auf die Waage. Macht beim damit zulässigen Zuggesamtgewicht von 38 Tonnen exakt 24.820 Kilogramm Nutzlast. Mit kurzer MAN-Kabine an der Zugmaschine sowie Aufliegerbereifung 385/65 R 22,5 statt der im Test gefahrenen Größe 425/65 R 22,5 dürften sogar ziemlich genau stolze 25 Tonnen Nutzlast möglich sein.

Zum Vergleich: Der Vierachser mit M-Kabine bringt es bei 14.160 Kilogramm Leergewicht auf gerade mal 17.840 Kilogramm Nutzlast. Knapp 40 Prozent mehr Nutzlast hat der Hydrodrive-Sattel somit zu bieten. Wozu allerdings zu sagen wäre: Die korrekten Achslasten zu erwischen erfordert bei dieser Kombination doch einiges Geschick von den Herrschaften hinter der großen Schaufel.

Verbrauch steigt auf leichten Strecken kaum

Es ist erstaunlich, wie wenig dieses höhere Gesamtgewicht von 38 Tonnen bei der Fahrt auf leichten Strecken in den Verbrauch eingeht. Die leicht hügelige Autobahn zwischen Weilheim am Albaufstieg Aichelberg und Esslingen jedenfalls nimmt der Hydrodrive-Sattel voll beladen mit moderaten 34,4 Litern auf 100 Kilometer unter die Räder. Der vierachsige Kollege mit doppelt angetriebener Hinterachse genehmigt sich auf dieser Strecke (ebenfalls voll beladen) mit 34,9 Litern auf 100 Kilometer einen halben Liter mehr und wiegt dabei nur 32 Tonnen. Fast schon frappant der Unterschied bei Leerfahrt: Mit 25,0 Litern pro 100 Kilometer schluckt der Vierachser gar gleich 1,2 Liter mehr auf 100 Kilometer als der vierachsige Sattelzug (23,8 l/100 km).

Das Blatt wendet sich allerdings, sobald der Albtrauf zu erklimmen ist. In brachialer Steilheit windet sich die an Spitzkehren reiche Teststrecke auf die Hochfläche empor. Exakt 314 Höhenmeter hat die Fuhre auf dem rund 15 Kilometer langen Testparcours zu bewältigen. Das schlägt natürlich auf den Verbrauch: Rund 91 Liter pro 100 Kilometer verbrennt der Vierachser auf 
dieser strapaziösen Strecke. Der Sattel mit seinen 38 Tonnen schlürft dabei dann aber glatt knappe 102 Liter je 100 Kilometer aus dem Tank.

Zwei Minuten Zeitverlust, aber sieben Tonnen mehr transportiert

Er nimmt sich auch ein bisschen mehr Zeit für seine Tour: Ungefähr zwei Minuten später als der Vierachser trudelt er auf dem Steinbruch ein, in dem die beiden Testkandidaten sich ihrer Ladung entledigen. Doch was sind zwei Minuten Verzug schon angesichts von sieben Tonnen mehr an transportiertem Aushub? Unter diesem Aspekt fällt auch das bisschen mehr an Dieseldurst erst recht nicht ins Gewicht. Zumal der Sattel bei der Leerfahrt talwärts schon wieder deutlich günstiger läuft als der Vierachser.

Dessen Verbrauchs-Handicap besteht ja nicht aus den zwei angetriebenen Hinterachsen allein. Dazu gesellt sich der Rollwiderstand von insgesamt zwölf Reifen statt nur deren zehn wie beim Hydrodrive-Sattelzug. So kommt es, dass die Verbrauchsdifferenz zwischen Vierachser und Sattel nach der Leerfahrt zurück an den Fuß der Schwäbischen Alb schon wieder auf rund vier Liter pro 100 Kilometer geschrumpft ist.

Doch zurück hinauf auf die Alb und in den Steinbruch, wo beide Kandidaten ihre Offroad-Eigenschaften unter Beweis zu stellen haben. Es gilt: Je steiler die Rampe, desto weniger hat der Sattel etwas auf ihr verloren. Packt der voll beladene Vierachser bei geländetypischem Reibbeiwert von 0,3 µ in der gefahrenen Spezifikation noch Steilstücke bis ungefähr 19 Prozent, muss der Hydrodrive-Sattel schon bei rund 14 Prozent passen. Zum Vergleich: Ein gewöhnlicher Sattel mit Achsformel 4x2 wird schon bei etwa neun Prozent das Handtuch werfen.

Hydrodrive kraxelt 21 Prozent Steigung hoch

Richtig zur Entfaltung kommen die Talente des Hydrodrive-Sattels aber erst dann, wenn er seiner Ladung ledig ist. Da meistert er dank seines zusätzlichen Vorderradantriebs – nach wie vor bei einem Reibbeiwert von 0,3 µ – locker noch gut 21 Prozent, während für den Vierachser bei leerer Kippbrücke schon bei ungefähr 15 Prozent der Vorhang fällt. Nochmals zum Vergleich ein simpler 4x2-Sattel ohne Hydrodrive: Für den sind gut acht Prozent Steigung bei Leerfahrt bereits das Ende der Fahnenstange.

Unglaublich wendig ist die Kombination aus zweiachsiger Hydrodrive-Zugmaschine und Zweiachsauflieger obendrein: Mit einem Wendekreis von nur 15,5 Metern dreht das Gefährt schon fast auf dem Handteller, während der Vierachser doch eher sperrig um die Ecken zirkelt (Wendekreis 21,3 Meter).

Da obendrein die Einstandskosten sowohl für den Vierachser als auch für den hier gefahrenen Sattelzug als Ganzes auf gleicher Höhe liegen, liefert der Hydrodrive-Sattel unterm Strich einen starken Auftritt ab: Wenn er gegenüber dem Vierachser mal bei Verbrauch oder Fahrleistung ein wenig hinterherhinkt, dann macht er dies durch seine fast 40 Prozent höhere Transportleistung gleich mehr als wett.

Hydrodrive-Kipper nur mit Handschaltgetriebe

Einziger Nachteil bis auf Weiteres: MAN kann die Hydrodrive-Kipper grundsätzlich nur mit Handschaltgetriebe liefern. Grund dafür ist: Den Nebenabtrieb der AS-Tronic-Schaltbox besetzt nun einmal die Kipphydraulik. In diesem Punkt hinkt das sonst so fortschrittliche Konzept der Zeit hinterher. Und da MAN eine Speisung der Hydropumpe per Motor (so verhält sich das beim Pendant von Renault) nicht in Betracht zieht, wird sich das erst ändern, wenn die neue Getriebegeneration von ZF verfügbar ist.

Gäbe es darüber hinaus keine steilen Rampen und andere knifflige Geländepassagen mehr in der Welt des Baus, wäre der Vierachser spätestens dann arbeitslos. Doch braucht der seiner konkurrenzlos hohen Vielseitigkeit wegen eines bestimmt nicht zu fürchten: Dass er wieder so selten wird wie zu Beginn der 80er-Jahre, als seine Erfolgsgeschichte mit einer untergeschobenen Anhängerachse begann.

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