Wiehler Forum Nicht selbst ein Bein stellen

Foto: BPW

Beim Wiehler Forum von Bergische Achsen (BPW) stand in diesem Jahr die Flexibilität der Branche auf dem Prüfstand. Die bringt bisweilen weit reichende Probleme mit sich, wie die Vorträge zeigten.

Schlankheit fördert die Gesundheit - Magersucht macht krank. Auf diesen einfachen Nenner brachte Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bretzke von der Universität Duisburg das Dilemma der Branche. Die viel beschworene Flexibilität habe eben auch ihre Schattenseiten. Der Wissenschaftler ist zugleich  Logistik-Berater bei Barkawi Management Consultants, die unter anderem den Blackberry-Hersteller Research in Motion (RIM) betreuen. Er kennt daher sowohl die Theorie als auch die Praxis aus erster Hand. Seine These: Der Versuch der Logistiker, es jedem Kunden recht zu machen, gehe zu Lasten der Profitabilität. Und er geht sogar noch einen Schritt weiter. "Durch eine große Vielfalt verbunden mit Dynamik entsteht Unsicherheit", erklärt Bretzke. Der aktuelle 3er BMW sei beispielsweise in 1017 verschiedenen Varianten zu haben. Anders ausgedrückt heißt das, dass kaum ein Fahrzeug zwei Mal identisch vom Band läuft. Damit gebe man aber freiwillig die Planbarkeit des Bedarfs aus der Hand. Das sei auch mit ein Grund für das Erblühen der Expressfrachten-Branche. Denn bisweilen könnten die Anforderungen an die Logistik auf normalem Weg gar nicht erfüllt werden. Doch auch wenn alles nach Plan läuft, sei das keineswegs wirtschaftlich. Die Forderung, Just-in-sequenz zu liefern, verhindere zudem eine optimale Kapazitätsauslastung. "Wir haben also schlichtweg mehr Lkw auf der Straße, als wir tatsächlich brauchen", sagt Bretzke. Letztlich sei es zu überlegen, ob diese Flexibilität um jeden Preis tatsächlich wünschenswert ist. Denn wirtschaftlich sei ein solches Vorgehen keinesfalls.

Bei Ullrich Boll geht es um schwarze Zahlen

Um schwarze Zahlen ging es bei Ullrich Boll. Nur dass der geschäftsführende Gesellschafter der Spedition Georg Boll diese mit Nachhaltigkeit in Verbindung bringt. Den Betrieb gibt es bereits seit 1865. Doch als es an ihm war, das Familienunternehmen weiterzuführen, habe er erst einmal gezögert. "Will ich das wirklich machen?", habe er sich selbst gefragt. Wohl wissend, dass die Wertschätzung des Gewerbes in der Gesellschaft denkbar gering ist. So kam er auf die Idee, das Unternehmen zwar weiterzuführen - aber unter einer neuen Philosophie. Dabei baut er auf die drei Säulen der Nachhaltigkeit: ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung. Eines stellt er jedoch klar. "Wir sind nicht das Umweltbundesamt - wir müssen Geld verdienen", sagt er. Schließlich habe er auch eine Verantwortung der Firma und den Mitarbeitern sowie deren Familien gegenüber.

Flotte ist im Schnitt eineinhalb Jahre alt

Dennoch könne man einiges tun. Seine 130 Fahrzeuge umfassende Lkw-Flotte ist im Schnitt eineinhalb Jahre alt. 85 Prozent haben Euro 5, der Rest hat noch Euro-4-Motoren. Auch einen neuen Actros der Schadstoffklasse Euro 6 hat er bereits zum Testen. Viel wichtiger sind ihm allerdings die regelmäßigen Fahrerschulungen. Dank Eco-Training mit eigenem Fahrlehrer sowie einer Überwachung der Fleetboard-Daten hat es Boll geschafft, den Durchschnittsverbrauch auf 28 Liter pro 100 Kilometer zu drücken. "Es bringt jedenfalls nichts, nur in Technik zu investieren. Sie müssen auch die Mitarbeiter mitnehmen", betont er.

Boll hält nichts von der Bonus-Malus-Regelung

Von Bonus-Malus-Regelungen hält Boll nichts. "Die machen das Wir-Gefühl kaputt." Stattdessen setzt er lieber den Fahrlehrer an die Seite. Wenn sich der Fahrer dann auf der Tour gegenüber seinem Kollegen erklären muss, sei das wesentlich effektiver. "Erst recht, wenn dann auch noch die anderen Fahrer nachfragen, warum er denn den Fahrlehrer auf dem Beifahrersitz hatte." Apropos Sitz - da hat der Firmenchef tief die Tasche gegriffen und rückenfreundliche Varianten verbauen lassen. Und auch für die Mitarbeiter aus dem Büro gibt’s nur ergonomische Stühle. Darüber hinaus bietet Boll von der Ernährungsberatung bis zur Rückenschule einiges an, damit sich seine Angestellten wohl fühlen - und vor allem auch gesund bleiben. Denn wer zufrieden ist, der wechselt auch nicht so schnell zu einem anderen Unternehmen.

Fachkräfte finden und binden

  Fachkräfte finden und binden war dann auch das Thema von Dr. Jörg Mosolf, Chef des Automobillogistikers Mosolf aus Kirchheim/Teck. Seine eigene Nachfolge sieht er als gesichert an - seine Tochter lernt bei Kühne + Nagel.  Aber auch für die anderen Positionen in seiner Unternehmensgruppe ist dauerhafter Einsatz gefragt. Gerade bei den Berufskraftfahrern gebe es schon heute einen Engpass. Und der werde in der Zukunft noch zunehmen. "Dabei geht dieser Job weit übers Fahren hinaus", sagt Mosolf. Gerade beim Transport von Automobilen sei auch IT gefragt. Mit der müssen letztlich alle umgehen. Daher sei es meist besser, selbst auszubilden. Allerdings - und das gelte in allen Bereichen - sei es ärgerlich, wenn das Unternehmen Zeit und Geld in Lehrlinge investiert und diese dann kurz nach ihrem Abschluss zum Wettbewerber wechseln. "Und das nur, weil der zehn Prozent mehr Lohn zahlt", sagt er. Mosolf fordert daher gesetzliche Regelungen, die so etwas verhindern. Dabei sieht er es als Verpflichtung des Mittelstands, jungen Menschen eine Chance zu geben - und auch die Logistik nach außen bekannter zu machen.

Stellschrauben um Mitarbeiter zu binden

Nach innen gerichtet, gibt es einige Stellschrauben, um die Mitarbeiter an sich zu binden. Eine betriebliche Altersvorsorge etwa sei hierfür geeignet. Auch ein Sommerfest mit allen Angestellten und deren Familien helfe dabei, die Identifikation mit dem Unternehmen zu festigen. Andererseits gebe es aber auch Faktoren, die er nicht beeinflussen könne. So habe man produktbedingt geringe Be- und Entladezeiten. Die Fahrer sitzen also sehr viel hinter dem Steuer. Hinzu kommen zeitliche Anforderungen seitens der Verlader, die für - eigentlich unnötigen - Druck sorgen. "Da muss dann kurzfristig Freitagabend eine Ladung Pkw von Produktionsstandort zur Niederlassung. Dort stehen die Fahrzeuge dann aber sechs Wochen, bevor wieder etwas passiert", erzählt Mosolf.

Wertschöpfungskette büer gesamten Zyklus betrachten

Daher tritt er auch dafür ein, dass die Wertschöpungsketten über den gesamten Zyklus betrachtet werden müssen. Manchmal könne nämlich auch die zweitbeste Lösung für den Verlader die beste für die gesamte Kette sein. Flexibilität zu fordern, wo sie gar nicht benötig wird, ist dabei keine Lösung und wer zu schlank aufgestellt ist, treibt also letztlich die Kosten für alle nach oben - auch für sich selbst.

Das Forum

Das Wiehler Forum des Nutzfahrzeug-Achsenherstellers BPW fand zum neunten Mal statt. Regelmäßig geben Referenten aus Wissenschaft und Praxis dort Einblicke in Strategien und Tipps für andere Unternehmen aus der Speditions- und Logistikbranche. In diesem Jahr war das Leitthema der Veranstaltung, die am Stammsitz von Bergische Achsen in Wiehl stattfindet, "Komplexe Logistikwelt - mit Flexibilität zum Erfolg".

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