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Gemischte Bilanz Ost-West Verkehrsprojekte Deutsche Einheit

Branchenvertreter ziehen eine gemischte Bilanz der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Verärgert sind vor allem Vertreter des Schienengüterverkehrs.

Erst in den vergangenen 20 Jahren ist zusammen gewachsen, was zusammen gehört. Zur Wende war das Straßennetz noch marode, und die Bürger aus Ost und West fanden nicht zusammen. Also gab der damalige Kanzler Helmut Kohl (CDU) gleich wenige Monate nach Vollzug der Einheit den Startschuss für ein Projekt der Superlative, nämlich für die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE).  20 Jahre später ist das meiste fertig gestellt (siehe Bericht rechts unten). Doch nicht jeder ist über das Ergebnis glücklich. Während Vertreter der Straße die Fortschritte anerkennen, prangern Vertreter der Schiene eine beispiellose Geldverschwendung an. »Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, dass wir wunschlos glücklich sind«, sagt Alexander Kirfel, Geschäftsführer des Netzwerks Privatbahnen, das 25 Güterbahnen vertritt. Die neun VDE-Schienenprojekte hätten nur dem Personenverkehr genutzt. »Es ist ja toll, wenn der ICE mit 230 Stundenkilometer von Hamburg nach Berlin fahren kann«, erklärt Kirfel, der seit Februar die Geschäfte des in Berlin ansässigen Verbands führt. »Der Ausbau hat dem Güterverkehr aber nichts gebracht. Über Geschwindigkeiten von 100 Stundenkilometer kommt der fast nie heraus.«
Auch die noch im Bau befindliche zweigleisige Strecke von Ebensfeld in Oberfranken nach Erfurt bringt dem Güterverkehr laut Kirfel keine Vorteile. Bei VDE 8.1 handelt es sich um einen 107 Kilometer langen Abschnitt, der auf Spitzengeschwindigkeiten von 300 Kilometer pro Stunde ausgelegt ist. Zwar legt die Politik Wert darauf, dass diese Trasse auch Güterbahnen offen steht. Das Netzwerk Privatbahnen winkt jedoch ab. »Das Problem bei Hochgeschwindigkeitsstrecken ist, dass die Trassenpreise einfach zu hoch sind«, sagt Geschäftsführer Kirfel. Deshalb ergebe es keinen Sinn, das Angebot zu nutzen.
Wirklich Angst macht Kirfel aber erst der Blick nach vorn. Vor allem Großprojekte wie Stuttgart 21 und die Y-Achse geißelt er als Geldvernichtung. Die Y-Trasse sei eine »schwachsinnige Maßnahme«, weil sie die überlasteten Knotenpunkte überhaupt nicht entschärfe. Er hält es für sinnvoller, die vorhandenen Schienenwege zu ertüchtigen und die veranschlagten 1,2 Milliarden Euro für den Neubau zu sparen – zumal Kirfel befürchtet, dass sich der Betrag verdreifacht.

Was Stuttgart 21 und im Zuge dessen den Ausbau des Albaufstiegs von Wendlingen nach Geislingen angeht, sieht Kirfel ebenfalls keine Verbesserung für den Schienengüterverkehr. Im Gegenteil: »Der wird völlig unwirtschaftlich.« Die Neigung auf der vorhandenen Trasse betrage aktuell 2,4 Prozent – was Güterverkehre nur erschwert und im Schiebelokbetrieb möglich macht.  Nach dem Ausbau steige der Winkel auf 3,5 Prozent. Dann geht gar nichts mehr, befürchtet Kirfel. Ohnehin fragt er, weshalb Bund, Land und Stadt fünf Milliarden Euro mobilisieren, wo doch – von den Protesten der Bürger einmal ganz abgesehen – die Passagierzahlen im Fernverkehr seit Jahren fallen. »1994 hatten wir 140 Millionen Nutzer, 2009 nur noch 123 Millionen«, sagt er.
Vertreter der Straße und besonders des Transportgewerbes haben weniger zu kritisieren, warnen aber ebenfalls vor Euphorie. Gerd Bretschneider, Geschäftsführer der Fuhrgewerbe-Innung Berlin-Brandenburg, etwa lenkt den Blick auch auf das Netz der Landesstraßen. »Gerade die Infrastruktur des Landes hat – im Gegensatz zu den Bundesverkehrswegen – partiell noch erheblichen Nachholbedarf«, sagt er. Erschwerend hinzu komme, besonders in Berlin, ein erheblicher Rückstand bei der Instandhaltung. »Der wurde durch die Witterungseinflüsse im Winter weiter verschärft.«
Was mögliche Wünsche an weitere Projekte angeht, verweist die Fuhrgewerbe-Innung einmal auf die A 24 in Brandenburg. Der Verband fordert einen Ausbau auf drei Fahrstreifen je Richtung. Außerdem macht er sich dafür stark, dass Experten prüfen, ob es sinnvoll ist, die

A 12 bis Frankfurt (Oder) ebenfalls auf drei Fahrbahnen pro Richtung zu erweitern.
Für Spediteur Hans-Dieter Otto aus Nordhausen in Sachsen-Anhalt fällt die Bilanz der Verkehrsprojekte im Gegensatz zu seinem Bahn-Kollegen nicht ganz so schlecht aus. Der Ausbau der Ost-West-Trassen A 38 oder der B 6n seien für seine Region sicherlich die Höhepunkte, resümiert der Chef von Otto Logistik.  Die Vorteile kann der Unternehmer am Zeitgewinn und damit an einer höheren Produktivität im Lkw- und Fahrereinsatz festmachen. Früher habe ein Lkw von seinem Firmensitz nach Halle drei Stunden benötigt. Nun brauche er nur noch die Hälfte der Zeit. Nach Magdeburg sei das Fahrzeug anderthalb Tage unterwegs gewesen. »Nun ist es dank einer gut ausgebauten A 14 abends wieder zurück«, sagt Otto. 

Auch die A 71 und die A 73 in Thüringen brächten erhebliche Vorteile. Außerdem tragen diese Strecken seiner Ansicht nach zur Entlastung der A 7 bei.
Was die neu entfachte Debatte um einen angeblich dringend nötigen Aufbau West angeht, kann Spediteur Otto nur den Kopf schütteln. Zum einen profitierten westdeutsche Bürger und Firmen ebenfalls von den VDE-Maßnahmen, wenn sie im Osten unterwegs seien. Zum anderen sei die A 93 von Weiden nach Regensburg erst nach der Einheit fertig gestellt worden – und die verlaufe im Westen.

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