Ein Scania mit 730 PS und Luxusausstattung: So einen Lkw erwartet keiner, wenn Stuckateur Alois Krotten mit seinen Wechselsilos vorfährt.
Die Mosel hat Hochwasser, als Alois Krotten mit seinem weißen Scania langsam die schmale Uferstraße in Guénange südlich von Thionville entlangfährt. Die Zeit scheint hier irgendwie stehen geblieben zu sein. Mit Erstaunen betrachten die Anwohner den Lkw, als käme er von einem anderen Stern. Geschickt setzt der Stuckateur rückwärts zwischen zwei Häusern in einen Hinterhof. "Im Grunde hätte es ein Axor für diese Arbeit auch getan", lacht Krotten. "Aber ich gönne mir diesen sicherlich etwas überdimensionierten Lkw, weil es mir schlicht und einfach Spaß macht, damit zu fahren. Und weil es vielen meiner Kunden imponiert, wenn der Chef mit so einem Laster zur Baustelle kommt. Denn das Gros meiner Aufträge bekomme ich immer noch durch Weiterempfehlung."
Austerbende Spezies: Stuckateure mit eigenem Lkw
Auch der Bauherr aus Luxemburg, der sich hier in Nordostfrankreich ein verfallenes Haus gekauft hat, eine Mauer stehen ließ und darum herum einen Neubau errichten ließ, hat auf Empfehlung den Auftrag für den Innenausputz erteilt. Zum Besichtigungstermin fuhr Krotten mit dem Scania vor, um vor Ort zu prüfen, ob er die Baustelle überhaupt erreichen kann, um die beiden Silos mit zehn Tonnen Kalkgipsputz für die Trockenräume und 4,5 Tonnen Kalkzementputz für die Feuchträume sicher abzustellen. "Meines Wissens bin ich einer der ganz wenigen Stuckateure, die sich überhaupt noch einen eigenen Lkw leisten. Diese Aufgabe erledigen heute in der Regel Transportunternehmer im Auftrag der Baustoffhersteller. Mit dem eigenen Laster habe ich eine absolute Unabhängigkeit. Denn mit demselben Fahrzeug kann ich auch Wechselbehälter mit dem Arbeitsgerüst und weiteren Gerätschaften an die Baustelle bringen. Dort stehen sie dann ebenerdig, was meinen Leute die Arbeit sehr erleichtert."
Krotten stammt aus Rehlingen-Sieburg im Saarland. Hier, im Dreiländereck von Deutschland, Frankreich und Luxemburg, liegt traditionell die Hochburg der Gipser. Der Stuckateurbetrieb mit 30 Mitarbeitern kann auf eine über hundertjährige Geschichte zurückblicken. Krotten ist gut im Geschäft, in seiner Nachbarschaft wohnen Politiker und Wirtschaftsbosse. Privat fährt er einen Gelände- und einen Sportwagen. Da darf es für die tägliche Arbeit schon mal ein Luxuslaster aus Schweden sein.
"Ein guter Freund von mir ist seit Jahren Werkstattmeister bei Scania in Saarbrücken. Als ich nach 20 Jahren einen Ersatz für meinen alten MAN suchte, habe ich mich von Scania beraten lassen. Denn mein neuer Lkw soll wieder mindestens 20 Jahre laufen."
Lkw kostete eine gute Viertel Million Euro
Zur letzten IAA in Hannover wurde das Fahrzeug fertig und beeindruckte Kunden am Stand von Hüffermann Transportsysteme. Alles in allem, mit Aufbau und Sonderausstattung wie Ledersitze und extra Lampen, hat der Lkw eine gute viertel Million Euro gekostet. Wobei Krotten auf einen neuen Anhänger verzichtet hat und den alten von Eggers in einer lokalen Werkstatt komplett überarbeiten ließ, sodass dieser ebenfalls aussieht wie neu. Hüffermann, der eng mit Velsycon, dem Hersteller des Fahrzeugaufbaus, zusammenarbeitet, hat Krotten zwar ein Angebot für einen neuen Anhänger mit absenkbar Deichsel gemacht. "Das hätte zwar den Vorteil, dass ich die Wechselsilos von vorne auf den Hänger umsetzen kann. Aber letzten Endes habe ich mich doch dagegen entschieden, weil ich oft auf Baustellen unterwegs bin und die Deichsel dann im Dreck liegt. Auch ein Tandemtrailer kommt für mich nicht in Frage."
Ab der zweiten Januarwoche bis zum Ende des Jahres ist der Lastzug gut ausgelastet, um die Silos zwischen den Baustellen hin- und herzubewegen. Pro Haus eine Woche – so lange dauert ein Komplettputz gewöhnlich. Wobei kommunale oder städtische Großgebäude deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Eine von vier Touren fährt Krotten mit Anhänger
Ein Viertel seiner Touren, darunter die Fahrten über längere Strecken, wickelt Krotten mit dem Anhänger ab. Über die Achslastverwiegung des Scania ermittelt er bei der Abholung, wie viel Material sich noch in den Silos befindet und notiert das Gewicht akribisch in einem Fahrtenbuch. Dann bringt er die Silos mit der Restmenge direkt zur nächsten Baustelle. Aus den Silos heraus wird der Putz an die Wände gespritzt. Geht das benötigte Material zur Neige, bestellt Krotten beim Hersteller Nachschub. Das wiederum lässt er sich von Frachtführern bringen, deren Fahrer vor Ort die Silos komplett neu befüllen.
In der Nahregion ist es schneller, die Silos einzeln nur mit der Zugmaschine umzusetzen. Wie hier in Frankreich muss Krotten am Ortsausgang zunächst einen Parkplatz für den Anhänger suchen. Dann fährt er solo mit seinem Scania zur Baustelle. Dort bleibt er in präziser Position genau so stehen, dass der hydraulisch gesteuerte Hakenlift bei einem Winkel von leicht über 90 Grad das Silo am oberen Fangarm greifen und auf das Chassis ziehen kann. "Auf eine Funkfernsteuerung habe ich verzichtet. Ich will auf den Baustellen den Kontakt zum Fahrzeug nicht verlieren."
Spitzhacke, Schaufel und Besen sind immer mit dabei
Denn manchmal hat sich im Laufe der Zeit der Untergrund auf der Baustelle verändert. Auch darauf ist Krotten vorbereitet: In einem Holzvorratskasten führt er Absicherungsmaterial mit. Am Chassis des Scania sind Spitzhacke, Schaufel und Besen angebracht, dazu ein Drahtseil für den Notfall. Der Betonboden in Guénange bereitet keinerlei Probleme. In weniger als fünf Minuten ist das Silo verladen und mit einem Bolzen im Aufbau gesichert. Weitere fünf Minuten dauert es bis zum Parkplatz. Dort setzt Krotten rückwärts an den Hänger und schiebt das Silo über den Rollschlitten auf den Anhänger. Schnell noch das zweite Silo geholt – und schon geht es zurück nach Deutschland. Sobald der Hänger angekoppelt ist, arretiert die pneumatische Sicherung automatisch.
Noch sind die Silotransporte Chefsache, doch die nächste Generation steht bereits in den Startlöchern. Sohn Kevin, der im letzten Jahr Landesbester bei der Gesellenprüfung wurde, darf den Scania auch schon chauffieren. Sein Name steht bereits auf der Tür. Nach und nach will Alois Krotten seine Fahrten etwas reduzieren und sich seinen Hobbys widmen. Noch plagt ihn allerdings ein optisches Problem. Der alte MAN, der abgemeldet für Notfälle in der Garage steht, war beige. Der neue Scania ist strahlend weiß – und beißt sich jetzt mit den alten Silos. "Das kann so nicht bleiben. Ich habe mir bereits ein Angebot machen lassen, alle meine Silos sandzustrahlen und dann ebenfalls weiß zu lackieren." Dann ist die Show perfekt.
Fahrerkarte
Name: Alois Krotten
Alter: 51
Wohnort: Rehlingen-Sieburg
Familienstand: geschieden, 2 Kinder
Fahrer: seit 1990
Arbeitgeber: selbstständig
Kilometerleistung: ca. 50.000 km/Jahr
Fahrzeugschein
Hersteller: Scania (Zwolle)
Motorwagen: R 730 (6x4) Topline-Abrollkipperchassis mit Nebengetriebe und Hydraulikpumpe für Combilift CL 26.70 zum Transport und Aufstellen von Wechselsilos von Velsycon/Hüffermann Transportsysteme (Delmenhorst) oder Abrollcontainer mit Brakken/Planenaufbau für den Transport von Außengerüsten/Material für Verputzarbeiten. Achslastverwiegung. Länge 8.720 mm, mit hydraulischem Unterfahrschutz 8.970 mm
Anhänger: Zweiachsanhänger von Eggers (Bremen-Brinkum) in Stahlbauweise mit Rollschlitten und drei Anschlagpunkten für die Aufnahme von unterschiedlich großen Wechselsilos, ausgestattet mit pneumatischem Ladungssicherungssystem. Länge inkl. Deichsel: 9.500 mm
Zulässiges Gesamtgewicht des Zuges: 40 Tonnen
Leergewicht Motorwagen: 14.380 kg
Leergewicht Anhänger: 3.700 kg
Gesamtlänge des Zugs: 18,22 m