Unternehmensgruppe Kahl Arbeitsalltg mit Schwertransporten

Kahl Schwertransport Foto: Thomas Küppers 19 Bilder

Keine leichte Arbeit ist das Verfrachten eines Gussteiles für einen Anlagenbauer, das mehr als 100 Tonnen auf die Waage bringt. Für Dirk Zimmermann und seine Kollegen von Kahl in Moers gehören solche Aufgaben zum Arbeitsalltag.

Das Ruhrgebiet ist in der Nacht eine herbe Schönheit, eine weitläufige Zusammenballung von Städten, die oft nahtlos ineinander übergehen. Mehr als fünf Millionen Menschen leben auf knapp 4.500 Quadratkilometern – eine Fläche, die im Dunkel durch die Lichterketten der vielen Straßen verbunden ist. Eisen wird in Mülheim an der Ruhr seit über 200 Jahren gegossen, doch nach den satten Jahren der Wirtschaftswunderzeit geht es der einstigen Vorzeigebranche dieser Region heutzutage nicht gerade gut. Billige Konkurrenz, vor allem aus Polen, Spanien, Tschechien und der Türkei, drücken auf den Wettbewerb, viele Stahlwerker haben schon ihren Job verloren.

Umso wichtiger ist für die Branche ein funktionierender Straßentransport, der auch überdimensionale und superschwere Teile möglichst reibungslos vom Ruhrgebiet hinaus ins Land und in die weite Welt bringt. Schon seit den frühen 50er Jahren steht dafür das Unternehmen Kahl aus Moers, das mehr als 150 Mitarbeiter beschäftigt. Dabei geht es bei Weitem nicht nur darum, außergewöhnliche Frachten über die Straße zu bewegen.

Mehr als 100 Tonnen Gewicht auf 96 Rädern

Oft müssen multimodale Logistikketten mit mehreren Verkehrsträgern organisiert werden. Kahl betreibt mit dem Duisburger Hafen ein Schwerlastterminal zur Schiffsverladung, dazu kommen Spezialisten für Luftfracht, Bahnverladungen, Lagerung, schwierige Maschinenbewegungen und komplette Montagen. Eine riesige Spezialflotte steht bereit, dazu Transportmodule, deren Leistungsvermögen in Achslinien berechnet wird. Kahl hält davon rund 180 bereit. Das jüngste und innovativste Gerät ist eine kolossale Scherenhubbrücke, in deren Seitenträger Lasten bis zu 600 Tonnen eingehängt werden können. Die stützen sich auf zwei gigantische Fahrwerke, deren Höchstabstand bis zu 53 Meter betragen kann. Damit lassen sich Brücken überqueren, die mit einem einzelnen Fahrwerk mit Superlast überfordert wären.

Auf der anderen Seite geht es schon knapp über den üblichen 40 Tonnen los, mit Tiefladern oder einem Sechsachs-Auflieger, der gewaltige Coils unter Plane bewegt. Etwa in der Mitte des Leistungsangebots steht die zwölfachsige Rollerkombination von Goldhofer, die für Lasten mit etwas mehr als 100 Tonnen ideal geeignet ist. Nicht weniger als 96 Räder bringen das Gewicht, zu dem noch die 48 Tonnen Eigengewicht des Fahrwerks hinzu kommen, möglichst schonend auf die Straße. Kahl gilt im deutschsprachigen Raum als technischer Pionier. So bauten die Brüder Hans und Helmut Kahl schon Anfang der 80er Jahre eine erste MAN Vierachs-Zugmaschine, als sämtliche Hersteller und Wettbewerber von dieser Idee noch weit entfernt waren.

Sicheres Manövrieren des Sattelschleppers mit 32 Meter Länge

Respekt vor jedem Fahrer, der früher mit diesem Gerät riesige Gewichte gezogen hat und dabei die Gänge mit dem unsynchronisierten Fuller-Getriebe sortieren musste. Die ehrwürdige Maschine tut heute noch auf dem Betriebshof Dienst. Das Tiefbett für den Mahlschüsseltransport ist zuvor aus einzelnen Rollermodulen zusammen gebaut worden. Besondere Erfahrung verlangt es, die Zwischenräume so mit unterschiedlichen Distanzstücken auszufüllen, dass die Lastplattform so unter Vorspannung und Wölbung steht, dass sie sich nach der Aufnahme der Last nicht nach unten durchbiegt. Das erledigt bei Kahl ein Meister seines Fachs, nämlich Peter Hein, mit geschultem Augenmaß. Fahrer Dirk Zimmermann aus Castrop-Rauxel lenkt ein etwas älteres Dickschiff aus der Flotte der Zugmaschinen, denn sein MAN-Vierachser hat noch den legendären V-10, den es sowohl bei MAN sowie mit anderer Technik bei Mercedes gab.

Kahl hat auch viele hochmoderne Pferde im Stall, aber für so einen Job ist der 660er wie gemacht. Es bereitet einem Lastwagenfreund Vergnügen, dabei zuzuhören, wie der Zehnzylinder unter Last seine Leistung aus den riesigen Hubräumen schöpft. Schon in der Nacht vor der Verladung ist der 49-jährige Kraftfahrer von Moers nach Mülheim gefahren, um auf dem Platz der Gießerei seine Neunstundenpause zu machen. Nach einem deftigen Kantinenfrühstück wirft er den Diesel an und beginnt, die Verladung vorzubereiten. Dank der hydraulischen Lenkung lässt sich der riesige Sattelschlepper trotz seiner 32 Meter Länge gut rückwärts in die Halle mit dem Portalkran manövrieren, nach kaum einer halben Stunde liegt die Schüssel auf der Ladefläche.

Alle Polizisten zeigten sich freundlich und respektvoll

Dirk Zimmermann zieht dicke Ketten vom Schwanenhals, um das Stück zu verzurren, während ein Arbeiter die massiven Vierkantstücke abflext, an denen das Teil an die Kranseile gehängt war. Anschließend geht es in die nächste große Pause, für solche Transporte gibt es vor 22.00 Uhr einfach keine Genehmigung. Gegen halb neun trifft ein BF3-Begleitfahrzeug ein; Fahrer Mirko Spreen und sein Fahrzeug gehören ebenfalls zu Kahl. Für schwierige Jobs setzt man gerne auf eigene, erfahrene Leute, die mit den Fahrern harmonieren und technische Systeme wie die hydraulische Steuerung routiniert beherrschen. Bei 96 Rädern, die auch noch teilweise extrem schwer zugänglich sind, wäre eine Reifendruckkontrolle ein extremer Fleißjob, doch Kahl hat eine Prüfanlage, die den Luftdruck bei jeder Abfahrt vom Gelände analysiert.

Pünktlich um 22.00 Uhr tauchen zwei Streifenwagen zur Abnahme und zur Begleitung der ersten Etappe auf. Nun hat man ja in jüngster Zeit auch Geschichten von deutschen Polizisten gehört, die Kraftfahrer mit teils üblem Eifer für ziemliche Nichtigkeiten verfolgen. Das erinnert irgendwie ungut an den Sheriff "Dirty Lyle" Wallace aus dem Trucker-Kultfilm "Convoy" von 1978, dem es mächtig Freude bereitete, seine Gegnerschaft zu den Fahrern auszuleben. Umso erfreulicher die Realität in dieser Nacht: Alle Polizisten, die uns begleitet haben – und das waren wegen der vielen Stadt- und Kreisgrenzen nicht wenige – zeigten sich sehr freundlich und respektvoll. Die Ausfahrt aus dem Werkstor im rechten Winkel auf die Straße ist eine enge Angelegenheit, der Begleiter steuert die hinteren Achsen mit einer Fernbedienung und gibt dem Fahrer vorne per Funk präzise Anweisungen.

Rund drei Wochen Vorbereitungszeit des Einsatzes

Dann geht der Konvoi, der mit dem MAN auf ein Gesamtgewicht von knapp 165 Tonnen kommt, auf seine nächtliche Reise. Die Luft flimmert vor Hitze über den hochgezogenen Auspuffrohren, jetzt muss der Motor schon ordentlich schuften. Jede Schwertransportfirma, die regelmäßig im Ruhrgebiet tätig ist, hat so ihre eigenen Strecken, um möglichst geschickt zur Autobahn zu kommen. Wegen vieler baulichen Einschränkungen ist das gar nicht so einfach. Rund drei Wochen hat der organisatorische Vorlauf mit der Erkundung des Weges und der Beantragung gedauert. Gute Vorbereitung zahlt sich aus.

Nach eineinhalb Stunden und einer beiseite geräumten Baustellenabsperrung hat das eingespielte Team Mülheim, Oberhausen und Duisburg hinter sich gelassen und gelangt auf die A 3 und dann auf die A 2. Ein paar marode Brücken dürfen bei dem Gesamtgewicht nur mit rund zehn Stundenkilometern überfahren werden. Alle Lastwagen, die sich hinter dem Transport aufgestaut haben, und das sind einige, müssen ebenfalls runterbremsen. Wüste Kommentare auf dem CB-Kanal 9 zeugen von der fehlenden Kollegialität mancher Fahrer. Danach gibt es noch einen Schwenk über die A 45 und A 1, bis der Konvoi schließlich am frühen Morgen Hamm erreicht. Das Ziel ist ein Maschinenbauer, der das Gussstück für die Konstruktion einer gewaltigen Zementmühle benötigt. Dirk Zimmermann ist froh, dass wieder alles reibungslos funktioniert hat. Trotz seiner Erfahrung von bald 25 Jahren ist jeder Job eine neue Herausforderung, bei der immer etwas schiefgehen kann. Jetzt aber haben er und sein Begleiter erst einmal eine Mütze voll Schlaf verdient, schon am nächsten Tag nämlich wartet die nächste schwere Mahlschüssel auf ihren Abtransport.

"Die Arbeit unserer Leute wird immer schwerer"

Stephanie Jansen, Projektmanagerin in der Unternehmensgruppe Kahl, zollt den Fahrern des Unternehmens allergrößten Respekt: "Die Arbeit unserer Leute wird immer schwerer, zum einen durch den voranschreitenden Verfall der Infrastruktur und immer neuer baulicher Hindernisse, zum anderen durch die Zunahme des normalen Schwerverkehrs, der uns wegen des oft schlimmen Parkplatzmangels die für Sondertransporte reservierten Abstellflächen streitig macht."

"Oft müssen unsere Fahrer mehr als das eineinhalbfache der normalen Fahrtstrecke zurücklegen, weil immer mehr Brücken und Straßen in so schlechtem Zustand sind, dass sie keine großen Lasten mehr verkraften. Dazu muss jeder Mitarbeiter eine gute Verständigung mit den Kunden und der Polizei pflegen." Das zeigt sich auch bei diesem Transport, als eine Streife plötzlich vorschlägt, den Konvoi über die hoffnungslos überfüllte Raststätte Bottrop zu ziehen. Dirk Zimmermann gelingt es mit Freundlichkeit am Funk, die Ordnungshüter von diesem Vorhaben abzubringen, das sonst fast unweigerlich zum Festfahren geführt hätte.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 12 2016 Titel
FERNFAHRER 12 / 2016
7. November 2016
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