Unfallforschung Stabilität für mehr Sicherheit

Crash, Lkw, ADAc Foto: ADAC

Die Diskussion um den Unterfahrschutz am Lkw-Heck geht weiter. Seit sechs Jahren weiß die Europäische Kommission, dass ihre Richtlinie nicht ausreicht. Warum ist trotzdem bis heute nichts passiert?

Im April dieses Jahres legt der technische Beirat der EU-Kommission seinen Bericht zum Heckunterfahrschutz an Lkw auf den Tisch. Im Vorfeld hat der ADAC mobil gemacht und sein Anliegen im Dezember den Parlamentariern des Verkehrsausschusses vorgelegt. Es geht um die Änderung der Ergänzung (2006/20/EG) zur Richtlinie 70/221/EWG, die besagten Unterfahrschutz für alle Neufahrzeuge in der EU regelt. Vorgeschrieben ist darin, dass jeder schwere Lkw und Anhänger ab 3,5 Tonnen einen rückseitigen Unterfahrschutz haben muss, der im Test einer Kraft von 100 Kilonewton bei einem Aufprall mit 37 km/h standhalten muss. Im Jahr der Verabschiedung 2006 hat der ADAC den Schutz nach geänderter Vorschrift getestet. Das Ergebnis: "Auch diese Vorrichtung ist völlig nutzlos", klagt der Verkehrsclub. "Die derzeit vorgeschriebenen Systeme brechen beim Aufprall schlicht und einfach weg." Die gängige Fixierung mit Schrauben an der Chassis hielt nicht.

Pkw prallt mit 56 km/h auf den Lkw

Getestet wurde bei einer Krafteinwirkung von 400-500 Kilonewton (kN) bei einem Pkw-Aufprall auf den stehenden Lkw mit 56 km/h. Laut ADAC-Tester Andreas Ratzek, Ingenieur für Fahrsicherheit am ADAC-Technikzentrum Landsberg/Lech, sei dies die Standard-Testgeschwindigkeit.  Stabiler, tiefer angebracht und näher an der Bordwand solle der Schutz künftig sein.

Laut EU-Verordnung liegen die statischen Prüflasten nur bei 100 kN. Und die Ergänzungsrichtlinie greift diesen Punkt gar nicht auf. "Die Untersuchung des ADAC ist eindeutig", sagt Markus Ferber (CSU), Mitglied im EU-Verkehrsausschuss. Beeindruckt von der Präsentation des ADAC will er dessen Anliegen unterstützen: "Die Kommission soll Vorschläge zur Verbesserung des Unterfahrschutzes auf den Tisch legen", fordert er.
Das Bundesverkehrsministerium hat nach eigenen Angaben bereits 2011 bei der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) einen Vorschlag zur Änderung der UN-Regelung Nr. 58 (Rückwärtiger Unterfahrschutz für Nutzfahrzeuge; ersetzt zukünftig die Richtlinie 70/221/EWG) eingereicht. Aufgrund fehlender Unterstützung sei dieser Vorschlag nochmals geändert worden: "Der Vorschlag sieht eine Verringerung der Bodenfreiheit des rückwärtigen Unterfahrschutzes auf 450 Millimeter und eine deutliche Erhöhung der Prüfkräfte für diese Systeme vor", teilt eine Ministeriumssprecherin mit. Untersuchungen hätten gezeigt, dass mit der Absenkung auf 450 Millimeter in Verbindung mit einer Abdeckung von Aufprallgeschwindigkeiten von rund 40 km/h ein deutlicher Sicherheitsgewinn bei dieser Unfallart zu erzielen sei.

Neue Fassung noch nicht angenommen

Die überarbeitete Fassung sei aber noch nicht durch die Vertragsstaaten der UNECE angenommen, auch die Fahrzeughersteller – sowohl die deutschen als auch die internationalen – würden sie ablehnen. Daher habe das Ministerium eine weitere Untersuchung der Unfallsituation in Verbindung mit einer Kosten-Nutzen-Analyse in Auftrag gegeben.

Energie-aufnehmender Unterfahrschutz ist sinnvoll

Ohne Zweifel: Ein Unterfahrschutz muss halten, was er verspricht und verhindern, dass ein Auto bei einer Kollision mit einem Lastwagen unter dessen Ladekante rutscht. Ob dies passiert, hängt aber von vielen Faktoren ab, erklärt Dekra-Unfallforscher Alexander Berg. Vom Aufprallwinkel, vom Fahrzeugtyp, vom Tempo. Bereits 1987 habe ein Crashtest der TU Berlin mit MAN ergeben, dass ein Energie-aufnehmender Unterfahrschutz sinnvoll wäre. Damals wie heute sei das Gewicht ein Thema. Denn die rund 40 Kilo eines modernen Modells fehlen bei der Nutzlast. "Neue Werkstoffe könnten aber mehr Festigkeit bei gleichem Gewicht bringen", sagt Berg.

Jährlich sterben 40 Menschen, weil sie unter ein Lkw-Heck rasen

Der ADAC hat hochgerechnet, dass jährlich 40 Menschen sterben und 400 schwer verletzt werden, weil sie mit ihrem Auto unter ein Lkw-Heck rasen. Dabei wird die Fahrgastzelle so massiv verformt, dass die Insassen schwer oder gar tödlich verletzt werden.
Laut Andreas Ratzek liegt dem ganzen ein Interessenkonflikt zugrunde. Einerseits herrsche zwischen den Nutzfahrzeugherstellern ein extremer Preiskampf, auch bei den Trailern. Andererseits müssten die Fahrzeuge so leicht wie möglich sein, um die Zuladung zu optimieren. Die zwei Querstreben, die der ADAC zur Verstärkung des Unterfahrschutzes vorschlägt, kosten 100 Euro mehr.

Beim Trailer-Hersteller Kögel ist das Problem bekannt. "Wir liefern seit 2006 einen zusätzlich verstärkten, weil direkt an den Rahmen verschweißten Unterfahrschutz aus", teilt Sprecher Volker Seitz auf Anfrage mit. Dieser werde bei mehr als 90 Prozent aller Trailer verbaut. "Ein Durchbrechen der Schrauben ist somit ausgeschlossen und gewährt einen deutlich verbesserten Unterfahrschutz", versichert Seitz.

Bei der Weiterentwicklung eigener Produkte und der Suche nach optimalen Lösungen sieht sich Kögel mit teils widersprüchlichen Interessen konfrontiert – von Spediteuren, Gesetzgeber, dem ADAC und anderen. "Spediteure fordern derzeit leichtere, günstigere Trailer und damit mehr Nutzlast", bestätigt Seitz. Doch mit der vom ADAC geforderten Lösung erhöhe sich das Gewicht deutlich, was zu weniger Nutzlast und mehr CO2-Ausstoß führe. "Zudem ist die ADAC-Lösung nicht für Trailer mit klappbarem Unterfahrschutz, wie sie im multimodalen Verkehr und Bausektor nötig sind, sinnvoll technisch realisierbar", teilt Seitz mit.

Pkw und Lkw aufeinander abstimmen

Bei Schmitz Cargobull fordert Sprecher Gerd Rohrsen eine Harmonisierung zwischen Pkw und Lkw. Beide Sicherheitssysteme müssten aufeinander abgestimmt verändert werden. Die Ergänzung 2006 habe aber bereits einen »deutlichen Sicherheitsgewinn« gebracht.
Der ADAC weiß um die Einsprüche der Branche, fordert jedoch: "Mit unserer einfachen, kostengünstigen Methoden könnte effektiv geholfen werden. Es wäre sehr viel gewonnen, wenn ein normaler Trailer die Norm erfüllen muss", so Ratzek. Die EU müsse noch einmal nachbessern.

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