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Telematik Schritt für Schritt zum richtigen System

Professor Berg, GVB, 2013 Foto: Nallinger

Wer vor der Einführung eines Telematiksytems steht, sieht sich mit einer Vielzahl an Anbietern konfrontiert. Prof. Dr. Claus Berg von der Gesellschaft für Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik (GVB) erklärt im Interview mit trans aktuell-Redakteur Carsten Nallinger, worauf man besonders achten sollte.

Prof. Berg, welche Vorüberlegungen sollte ein Spediteur anstellen, wenn er vor der Wahl eines Telematiksystems steht?

Zu Anfang steht zunächst die Auswahl derjenigen Systeme, die in die nähere Auswahl kommen. Darüber hinaus muss ich mich fragen, welchen Bedarf ich überhaupt habe. Das variiert je nach Einsatzgebiet. So macht es einen Unterschied, ob ich Gefahr- oder Kühlgut befördere. Auch macht es einen Unterschied, ob die Fahrzeuge eher im Fern- oder im Verteilerverkehr unterwegs sind. Für alle Bereiche gibt es entsprechende Speziallösungen.

Inwieweit unterschieden sich diese?

Nehmen wir den Fern- und den Verteilerverkehr. Beide stellen vollkommen unterschiedliche Anforderungen an den Logistiker. Der Fernverkehr beispielsweise ist extrem kostengetrieben. Bei Tausenden von Kilometern zählt jeder Liter Diesel, den der Fahrer spart. Im Verteilerverkehr zählt hingegen eher die Zuverlässigkeit: Kommt die Sendung zum richtigen Zeitpunkt und an der vorgegebenen Stelle an.

Und im Hinblick auf den Anbieter?

Da spielen gleich mehrere Faktoren eine Rolle. So würde ich dazu raten, einen regionalen Ansprechpartner zu haben. Insbesondere in der Implementierungsphase kommt man nicht umhin, dass der Dienstleister im Bedarfsfall schnell bei einem vor Ort ist. Wichtig kann zudem sein, ob es die Telematik sowohl zu kaufen als auch als Leasinggerät gibt. Auch gilt es unbedingt darauf zu achten, was in der Basislösung alles dabei ist. Kostet jede Kleinigkeit extra, kann das am Ende eine ziemlich teure Angelegenheit werden.

Wie sieht es mit Schnittstellen zu bereits vorhandenen Systemen aus?

Klar ist: Je mehr Anpassungen von Nöten sind, desto teurer wird es. Da laufen einem die Kosten ganz schnell davon. Das Problem ist, dass an der FMS-Schnittstelle des Fahrzeugs zwar alle Daten vorliegen, aber längst nicht alle weitergegeben werden. Manche Fahrzeughersteller verhalten sich da äußerst restriktiv. Deshalb setzt sich die GVB für eine Erweiterung der FMS-Schnittstelle an. Je mehr als Standard freigegeben ist, desto mehr wichtige Informationen hat der Telematiknutzer vorliegen und kann sie in seiner Speditionssoftware oder seiner Transport-Management-System nutzen.

Wäre es da nicht sinnvoll auf die Telematik des Lkw-Herstellers zu setzen?

Wenn man nur eine Marke im Fuhrpark hat, ist das möglich. Handelt es sich hingegen um einen Mischfuhrpark, bei dem zudem für manche Zustellungen noch Transporter eingesetzt werden, sind wir wieder bei enormen Entwicklungs- und Anpassungskosten. Es gibt aber Software-Anbieter die sich auf heterogene Flotten spezialisiert haben. Wer vor dieser Herausforderung steht, sollte sich auf jeden Fall jemanden suchen, der viel Erfahrung mitbringt.

Was halten Sie von Lösungen für mobile Endgeräte?

Die werden immer wichtiger. Gerade dann, wenn Subunternehmer im Einsatz sind. Das ist etwa in der KEP-Branche ganz stark der Fall. Ein Bereich, in dem ohnehin nicht viel zu verdienen ist. Wer soll da investieren? Der Drei-Mann-Familienbetrieb sicher nicht. Und der Auftraggeber kauft seinem Subunternehmer bestimmt keine Telematiklösung. Apps, die auf jedem Smartphone laufen, sind da optimal. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass viele aber noch nicht einmal eine Navigation an Bord haben. Über Telematik denkt da erst recht keiner nach.

Wie sieht es im Bereich der Auflieger aus?

Die Trailertelematik gewinnt zunehmend an Bedeutung. Aber auch hier ist es fallabhängig. Bei Gefahr- oder Kühlgut kommt man nicht drum rum. Schließlich sollte der Fahrer es wissen, wenn sich die Temperatur ändert. Sonst ist das Frachtgut unter Umständen verdorben. Dank einer Zwei-Wege-Kommunikation kann bei manchen Lösungen sogar der Disponent vom Büro aus regulierend eingreifen. Auch bei diebstahlgefährdeter Ladung ist es fahrlässig, wenn der Auflieger über keine eigene Telematik verfügt.

Muss ich dann zwei Telematiklösungen haben?

Wieder gilt, dass das vom Anforderungsprofil abhängt. So kann es durchaus Sinn machen, wenn man weiß, welche Zugmaschine welchen Trailer angehängt hat. So weiß auch der Fahrer, ob der wirklich die richtige Ladung befördert. Wenn nur der Disponent weiß, was in welchem Trailer geladen ist, kann das schiefgehen.

Wann stehen die logistischen Prozesse im Vordergrund?

Immer dann, wenn es darum geht, eine vereinbarte Qualitätszusage einzuhalten. Bei KEP-Diensten also, wenn dem Endverbraucher ein verhältnismäßig kleines Zeitfenster genannt wurde. Da behauptet sonst der eine, er habe ordnungsgemäß zugestellt, während der andere gar erklärt, er habe die Sendung nie erhalten. Das gilt es entsprechend zu dokumentieren. Das lässt sich übrigens auf den Stückgutbereich übertragen. Aber auch bei der Just-in-time beziehungsweise Just-in-Sequence-Belieferung von Industriekunden ist eine prozessorientiere Telematik nicht wegzudenken – und daher auch seitens der Verlader vorgeschrieben.

Geht es überhaupt noch ohne Telematik?

Ein klares Nein. In dieser Hinsicht ist Deutschland noch ein Entwicklungsland. Wobei es unmöglich ist, den Fortschritt zu ignorieren. Schon allein deshalb, weil die Verlader die Telematik zunehmend zur Grundvoraussetzung bei Ausschreibungen machen.

Was erwarten Sie für die Zukunft?

Das ist die GVB gerade dabei, Vorschläge zur Ladungssicherung zu erarbeiten. Gerade im Sammelgut sieht es bislang so aus, dass die Sendungen irgendwie auf der Ladefläche landen. Wenn es gut läuft, ist zumindest formschlüssig geladen oder aber entsprechend niedergezurrt. Allerdings macht sich keiner über die Gewichtsverteilung Gedanken. Mancher Unfall wäre vermeidbar, wenn das Gewicht ideal auf den Achsen verteilt gewesen wäre. Wir arbeiten daher an einer Lösung, die dem Fahrer in einer Art Zeichnung zeigt, wo was hinkommt. Aber auch die Diebstahlsicherung ist ein Thema – gerade bei der Übergabe an der Rampe. Da muss es entsprechende Videosysteme geben. Oder aber es wird über RFID-Tags an der Ladung sowie die Rampe als Gate gelöst.

Und in Sachen Verkehrstelematik?

Da wären wir dann beim Thema ITS, die Intelligenten Transportsysteme. Eines der Zukunftsthemen überhaupt. Die Vision ist, die Fahrzeug- und die Verkehrstelematik  zusammenzuführen. Etwa dann, wenn aufgrund des Verkehrsaufkommens auch die Standspur freigegen ist.

Zur Person
Prof. Dr. Claus Berg ist seit 2002 Vorsitzender der Gesellschaft für Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik (GVB) in München.  Darüber hinaus ist er Direktor des Instituts für Logistik und Verkehrsmanagement (ILV). Zuvor (1969-2002) unterrichtete der für Betriebswirtschaftslehre habilitierte Diplom-Volkswirt an den Universitäten  Mainz, Frankfurt und Mannheim sowie an der Universität der Bundeswehr  München. Zu seinen Studienfeldern gehörten dabei insbesondere Beschaffung, Materialwirtschaft, Organisation, Logistik und Verkehr. In seiner Eigenschaft als GVB-Vorstandsvorsitzender gab er Ende 2010 die Marktstudie „Top-Anbieter von Telematiksystemen in der Transportlogistik“ heraus.

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