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Schwarze Schafe aus dem Verkehr ziehen BGL-Chef Engelhardt will effektive Kontrollen

Foto: Mario P. Rodrigues

Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) begrüßt das Mobilitätspaket der EU-Kommission. Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Dirk Engelhardt glaubt jedoch, dass es eine Mammutaufgabe sein wird, dazu einen Kompromiss mit den mittel- und osteuropäischen Ländern zu finden. Den Vorstoß zur Regelung der regelmäßigen Wochenruhezeit hält er für vernünftig. Engelhardt spricht sich im Gespräch mit der Redaktion trans aktuell auch für effektivere Kontrollen aus, um schwarze Schafe zu erkennen und aus dem Verkehr zu ziehen.

trans aktuell: Herr Professor Engelhardt, die EU-Kommission hat ihr lange erwartetes Mobilitätspaket vorgelegt. Ist es der große Wurf?

Prof. Engelhardt: Es ist grundsätzlich positiv, dass sich die EU-Kommission bei wichtigen Themen um eine europaweite Lösung bemüht. Bei den mittel- und osteuropäischen Staaten hat das Paket jedoch einen Aufschrei ausgelöst. Es wird daher eine Mammutaufgabe sein und Kompromisse erfordern, bis wir eine europäische Linie und ein Ergebnis haben. Wir gehen davon aus, dass dieser Prozess noch zwei Jahre dauern kann.

Welche Punkte bergen den größten Sprengstoff?

Da wäre einmal der Vorschlag, dass die Entsenderichtlinie nach drei Tagen greifen soll. Das ist vielleicht gut gemeint, weil die Lohnbuchhaltungen sich dann nicht mit 27 Mindestlohnregeln in Europa beschäftigen müssen. Andererseits schafft ein Lkw im Schnitt bei 60 km/h und neun Stunden Lenkzeit am Tag nur 540 Kilometer, an drei Tagen also 1.620 Kilometer. Das reicht nicht, um nach einer Tour alle Staaten auf dem Rückweg zu durchqueren. Bei einem Stau in Italien ist dieser Zeitraum schnell ausgereizt.

Der nächste Knackpunkt ist die Kabotage, die fortan über einen Zeitraum von fünf Tagen gelten soll. Ist das in Ihrem Sinne?

Die Entsenderichtlinie soll für die Kabotage neuerdings schon ab der ersten Fahrt gelten, was positiv ist. Positiv ist auch, dass vom ersten Tag an der Mindestlohn des jeweiligen Landes gelten soll. Allerdings lehnen wir eine Ausdehnung der Kabotage auf fünf Tage ab. Dann befördert ein polnischer Unternehmer einen Sack Zement nach Deutschland und fährt anschließend legal fünf Tage Binnentransporte in Deutschland. Am Freitag geht es retour, und am Montag beginnt das Spiel von vorn. Das kann nicht Sinn und Zweck einer Kabotage-Regelung sein.

Hat es Sie überrascht, dass die Kommission an eine Regelung denkt, die sich an Tagen und nicht an Fahrten orientiert?

Nein, denn das ist ja auch sinnvoll – hier wurde den deutschen Ministerien offenbar Gehör geschenkt. Fünf Tage sind jedoch ein zu langer Zeitraum. Es muss nun das Gespräch mit den MOE-Ländern gesucht werden, damit wir zu Lösungen kommen. Das oberste Ziel des BGL ist dabei der Schutz des mittelständischen deutschen Transportgewerbes.

Ein weiterer Zankapfel sind die Wegekosten. Wie lautet Ihre Position dazu?

Die EU-Kommission sieht keine Zweckbindung der Mittel vor. Das ist ein Punkt, mit dem wir nicht leben können. Die Abgaben sind zudem exorbitant hoch, was nicht hinnehmbar ist. Wenn mittelständische Transportunternehmen so viel Geld bezahlen, soll es zumindest in die Infrastruktur fließen.

Oder vielleicht in den Aufbau von Fahrerunterkünften, wenn sie die regelmäßige Wochen­ruhe­zeit fortan nicht in der Kabine verbringen dürfen …

Wobei der Vorschlag der EU-Kommission uns entgegenkommt. Eine Regelung, die zwei verkürzte Ruhezeiten und danach einen vollen Ausgleich vorsieht, ist vernünftig. Es trifft ja nicht zu, dass Fahrer keine Wochenruhezeit mehr in der Kabine verbringen dürfen. Bei den verkürzten Ruhezeiten ist das weiterhin möglich. Nur die regelmäßige Wochenruhezeit muss der Fahrer außerhalb des Fahrerhauses oder im Idealfall zu Hause verbringen. Wenn ich mich in die Rolle des Fahrers versetze, ist er doch froh, wenn er nach drei Wochen wieder zu Hause sein kann. Dort hat er seine Familie, sein Umfeld und Freizeitmöglichkeiten.

Verdi hält dagegen, dass verkürzte Ruhezeiten die Sicherheit gefährden. Wie groß ist das Risiko, dass Fahrer übermüdet unterwegs sind?

Ich bin früher selbst Lkw gefahren, um mir mein Studium zu verdienen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: 24 Stunden Ruhezeit sind ausreichend, da ist man regeneriert. Wenn ich 45 Stunden an einem Autobahnrastplatz verbringen muss, ist das eher eine Zumutung.

Wenn Fahrer erst nach drei Wochen in ihre Heimat zurück müssen, werden die Wettbewerber aus Mittel- und Osteuropa ihre Geschäftsmodelle aber nicht groß ändern, oder?

Unternehmen, die vernünftige Geschäftsmodelle betreiben, können damit leben. Wer seine Fuhrparks aber systematisch ausgeflaggt hat, wird einen höheren Aufwand hinnehmen müssen und Schwierigkeiten bekommen. Das ist durchaus in unserem Sinne.

Die Frage ist nur, wie die Regelungen künftig kontrolliert werden sollen. Was würde der BGL sich wünschen?

Die EU-Kommission verfolgt das hehre Ziel, den Fahrer zu schützen. Wenn die Maßnahmen aber nicht einher mit einer höheren Kontrolldichte gehen, sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Ein Fahrer hat Reportern der ARD-Sendung Plusminus gegenüber gesagt: In Deutschland viel Blabla, keine Kontrolle. Der BGL wird sich mit seinen Landesverbänden und den betreffenden Ministerien zusammensetzen, um Lösungen zur Kontrollpraxis zu finden. Der neue digitale Tachograf greift auf Geodaten zurück und könnte den Behörden wichtige Informationen zu seinem Aufenthaltsort geben. Er kommt allerdings erst 2019 in Neufahrzeuge. Es braucht aber auch eine effektive Kontrolle in der Übergangszeit.

Schlagen die BGL-Unternehmen angesichts von noch mehr Kontrollen nicht die Hände über dem Kopf zusammen?

Das war einmal. Inzwischen sagen sie: Die Kontrollen sind nötig, um die schwarzen Schafe aus dem Verkehr zu ziehen. Es will keiner den Mittelständler gängeln, der fünf Minuten über die Lenkzeit ist. Es geht um die Gruppen, die unsaubere Geschäftspraktiken betreiben. Wir streben dazu einen Konsens mit dem Bundesamt für Güterverkehr und anderen Behörden an. Was wir auch begrüßen, ist, dass die EU Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen Gesamtgewicht in die Pflicht nehmen will – Transporter mit Schlafkabine, die gewerbliche Transporte ausführen und viele Regelungen umgehen.

Was bei der Abgrenzung von unseriösen Wettbewerbern wahrscheinlich auch hilft, ist der Trusted Carrier. Im Mai ist Ihr System in den Live-Betrieb gegangen. Wie ist die Resonanz darauf?

Es ist ein System von der Branche für die Branche. Immer mehr Verlader kommen auf uns zu und fragen, wie sie mitmachen können. Es handelt sich vor allem um Unternehmen aus der Automobil- und Chemie-Industrie, also aus Branchen, die sensible Produkte fahren und einen hohen Bedarf nach Sicherheit haben. Genau an sie wendet sich der Trusted Carrier als Plattform, die sauber agierende Transportunternehmen mit Verladern zusammenbringt. Ein weiterer Vorteil für Verlader ist, dass ihre Dienstleister viele relevante Dokumente, wie die EU-Lizenz, auf dem Portal hochladen können und der BGL ihnen die Überprüfung abnimmt. Wir haben schon einen großen Verlader dabei, der sagt: Als Unterauftragsnehmer eines Subunternehmers kommen nur Trusted Carrier infrage – beziehungsweise Dienstleister, die für Trusted Carrier fahren. Das System ist auch für Nicht-BGL-Mitglieder offen und soll auch für andere Marktsegmente branchenspezifisch zugeschnitten werden.

Wie viele Unternehmen sind aktuell dabei?

Aktuell sind es rund 80 Unternehmen mit zusammen 650 Fahrzeugen. Im Probebetrieb waren rund 2.000 Lkw dabei.

Im Gespräch war, dass auch andere Länder sich am Trusted Carrier beteiligen. Wie ist der Stand der Dinge hierzu?

Daran halten wir fest, der Trusted Carrier soll kein reines BGL-Produkt sein, sondern auch in anderen europäischen Ländern an den Start gehen und für Sicherheit sorgen. Wir sind dazu mit der International Road Transport Union im Gespräch. Hohes Interesse gibt es von Verbänden aus anderen europäischen Ländern, ferner arbeiten namhafte Frachtenbörsen mit uns zusammen: Timocom, Cargoclix, Transporeon und W-Transnet. Aber es ist eben doch so, dass ein neues System seine Zeit braucht. Wir müssen erklären, dass der Trusted Carrier weder ein zusätzliches Zertifizierungssystem noch eine Frachtenbörse ist, sondern ein Transportversprechen eines geschlossenen Teilnehmerkreises, das ihren Verladern Sicherheit gibt.

Es ist kein Zufall, dass Unternehmen, die dem BGL angeschlossen sind, das Ganze günstiger nutzen können. Inwiefern gelingt es Ihnen, Mitglieder durch neue Angebote wie den Trusted Carrier zu akquirieren?

Mit der Mitgliederakquise geht es gut voran. Auch über den Trusted Carrier haben wir bereits neue Mitglieder gewonnen Um das Interesse an einer Mitarbeit im BGL zu erhöhen, ihn aber auch für bestehende Mitglieder attraktiver zu machen, werden wir ihn breiter aufstellen und im Bereich Mehrwert und Dienstleistung aktiv werden.

Welche Angebote können Sie sich dabei konkret vorstellen?

Es geht nicht darum, Lkw-Rahmenverträge zu verhandeln. Aber bei Themen wie Ladungs­siche­rung, digitalen Angeboten und Plattformen können wir unser Portfolio im Schulterschluss mit den SVGs und der Kravag noch deutlich ausbauen. Wir überlegen, ob wir nicht die doppelte Sichtweise einnehmen und Angebote sowohl für Fahrer als auch für Unternehmer machen. Der BGL hatte seinen Hauptfokus bisher in der Gewerbepolitik. Dieses Engagement werden wir beibehalten.

Zur Person

  • Prof. Dr. Dirk Engelhardt ist seit Jahresbeginn Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL)
  • Zuvor leitete er von 2003 bis 2016 den Bereich Logistik/Fuhrpark der Genossenschaft RWZ Rhein-Main
  • Engelhardt studierte und promovierte an der Justus-Liebig-Universität GießenEr ist Professor für Logistikmanagement an der Steinbeis Universität Berlin
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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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