Kann der Arbeitgeber anweisen, dass der Fahrer den Notbremsassisten einschaltet oder nicht? Wir fragen nach.
Soll der Mensch die Entscheidungsfreiheit über die Technik haben?
Seit das autonome Fahren in greifbare Nähe gerückt ist, wird über eine Frage diskutiert: Soll der Mensch die Entscheidungsfreiheit über die Technik haben – oder besser nicht? Das Wiener Abkommen über den Straßenverkehr regelt jedenfalls eindeutig, dass der Mensch jederzeit die Gewalt über das Fahrzeug haben muss. Viele Transportunternehmer investieren in einen sogenannten Notbremsassistenten (NBA), aber oft stellt sich heraus, dass der Fahrer die Technik gezielt abschaltet. Und so reifen als logische Konsequenz Überlegungen, dem Fahrer die alleinige Entscheidungsfreiheit wieder zu nehmen und ihm den Einsatz der Technik vorzuschreiben. Arbeitsrechtlich wäre es möglich, da sind sich der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) sowie der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Harry Binhammer, erstaunlich einig.
Bei einer solchen Betriebsanweisung handelt es sich um eine auf arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen beruhende Einzelanweisung an den Arbeitnehmer. Diese ist ebenso verbindlich wie eine entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag. "Wenn durch die Nichtbefolgung einer Anweisung ein Schaden entsteht, kann der Arbeitnehmer schadenersatzpflichtig werden", heißt es beim BGL.
Wer ist schuld?
Das über eine Dienstanweisung oder einen Arbeitsvertrag ausgesprochene Verbot des Abschaltens greift natürlich nicht mehr in Notstandssituationen im Straßenverkehr. Aus juristischer Sicht handelt es sich dabei um einen "rechtfertigenden Notstand in entsprechender Anwendung gemäß § 34 Strafgesetzbuch (StGB) und § 228 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)". Demnach darf der Fahrer bei drohender Gefahr für sich und/oder andere Personen oder Sachen das System für eine dem Anlass angemessene kurze Zeit abschalten. "Schaltet der Fahrer den NBA aber ohne Grund oder das System durch einen Fehler ab, kann er arbeitsrechtlich belangt werden", sagt Binhammer. "Und zwar unabhängig davon, ob das im Rahmen des Weisungsrechts oder einer vertraglichen Bestimmung geschieht. Denn die Assistenzsysteme entbinden den Fahrer nicht davor, sorgfältig zu sein und darauf zu achten, ob alles richtig funktioniert."
Allerdings ergeben sich laut Binhammer bei einer Kontrolle durch den Arbeitgeber Konflikte mit dem Datenschutz. Solange der Chef die Telematikdaten aus dem Lkw nur zu fahrerunabhängigen Auswertungen benutzt, ist das vertretbar. Das wäre beispielsweise eine Auswertung des Spritverbrauchs. "Führt die Erfassung der Daten allerdings zu einer allgemeinen Überwachung des Fahrers, wird es problematisch", urteilt der Anwalt. Spätestens 2016, wenn Mercedes eine Kontrolle zur Nutzung des NBA über Fleatboard anbieten will, wird die Frage nach der Entscheidungsfreiheit des Fahrers wieder gestellt.