Änderung von Arbeitsverträgen Hart an der Grenze

Anfang des Jahres hat die FZ-Logistik die Arbeitsverträge geändert Foto: Jan Bergrath

Anfang des Jahres hat die FZ Logistik die Arbeitsverträge geändert – mit Billigung der Fahrer. Juristen haben jedoch Zweifel.

Die Nachricht eines Fahrers sorgt bei Facebook für Aufregung: "In Hildesheim hat eine Spedition ihren Fahrern neue Arbeitsverträge mit einem Grundgehalt von 800 Euro brutto ausgehändigt. Dass diese Fahrer weder etwas für die Rente tun noch für die Sozial­versicherungskasse, dürfte wohl klar sein. Und wehe, sie werden arbeitslos. Das dürfte gerade noch für den Strick reichen, den sie sich dann nehmen können. Es fehlen noch 120 Euro bis zu philippinischen Verhältnissen." Keine Frage, das ist ein Fall, dem die Redaktion FERNFAHRER nachgehen muss.

Die Anspielung ist klar – die philippinischen Fahrer der lettischen Spedition Dinotrans, die im Februar im Internet eine Unmutswelle ausgelöst haben, sollen monatlich nur 680 Euro Lohn bekommen. Das ist natürlich kaum mit deutschen Verhältnissen zu vergleichen. Allein der tarifliche Stundenlohn für ausgebildete Berufskraftfahrer beträgt in Niedersachsen derzeit 10,15 Euro. Bei den üblichen 208 Stunden, die laut Paragraf 21a Arbeitszeitgesetz im Monat erlaubt sind, ­wären es dann 2.111,20 Euro. Reale Bruttolöhne liegen laut Fahrerangaben aus der Region allerdings oftmals bei pauschal 1.800 bis 1.900 Euro. Die faktisch geleistete Arbeits- und Bereitschaftszeit bewegt sich meistens im Rahmen von 60 Stunden pro Woche, wenn nicht mehr.

Zulage zum Basislohn je nach Klasse

Kurze Zeit später übermittelt der Informant ein Schriftstück der FZ Logistik aus Emmerke. Es zeigt ein durchaus kreatives Lohnkonstrukt. In der Tat gibt es einen Grund- und Basislohn von 800 Euro. Neben weiteren Prämien wird das Arbeitsentgelt je nach Einsatzart in fünf Klassen um eine Zulage erhöht, im Fernverkehr um 1.050 Euro.

Im besten Fall kann also ein sparsamer, sauberer und pünktlicher Fahrer im Fernverkehr brutto bis zu 2.300 Euro verdienen. Das ist alles andere als philippinisch, aber der Aufbau des Lohnes erscheint aus rechtlicher Sicht fragwürdig.

Auf die Anfrage der Redaktion reagiert das Unternehmen sofort. Geschäftsführer Fabian Zschoche, 33, lädt in das erst Mitte 2012 neu bezogene Betriebsgelände an der B 1 westlich von Hildesheim ein. Bis 2012 firmierte der Transportdienstleister 30 Jahre lang unter dem Namen der Gründerin als Gudrun Zschoche Güterverkehr. Seither heißt das Unternehmen FZ Logistik. Die 60 Fahrzeuge vom Sprinter bis zum Sattelzug sind überwiegend für Handels- und Logistikunternehmen aus der Region unterwegs. Von den 80 Mitarbeitern sind 75 als Fahrer beschäftigt. Die Flotte ist kaum älter als drei Jahre. Der Dieselverbrauch wird per Fleetboard bewertet, was zu einer Prämie führen kann.

Arbeitsbeginn beim Kunden - Zulage

Arbeitsbeginn für die meisten Fahrer ist der Standort beim Kunden – daher die Zulage für die Anfahrt. "Im Nahverkehr beginnt die Schicht in der Regel um sechs Uhr", so Zschoche, "dort steht das Fahrzeug. Davon gehen noch die Pausenzeiten ab. Und um 16 Uhr stellen die Fahrer ihre Lkw wieder an der Rampe ab und machen Feierabend."

FZ Logistik ist Mitglied im Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) e. V., aber – und das ist eins der großen Branchenprobleme – ohne Tarifbindung, kurz OT. Damit kann das Unternehmen seine Arbeitsverträge frei vereinbaren, so lange sie dem geltenden Recht entsprechen und nicht sittenwidrig sind. Verdi definiert das so: "Selbst wenn keine Tarifbindung vorliegt, sind Entgelte, die den geltenden Tarif um mehr als 30 Prozent unterschreiten, sittenwidrig." Und der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) äußert sich grundsätzlich so zu solchen Modellen: "Ein Grundlohn von 800 Euro brutto dürfte von einem Arbeitsgericht als sittenwidrig eingestuft werden. Auf die in Aussicht gestellten Prämien kommt es dann gar nicht mehr an."

80 Prozent langjährige Fahrer

Damit wäre die Sache eigentlich erledigt. Doch Zschoche beschreibt seine derzeitige Situation als Arbeitgeber so: "80 Prozent unserer Fahrer sind sehr lange bei uns. Bei den rest­lichen 20 Prozent der Belegschaft ist nicht nur die Fluktuation hoch, sondern auch der Krankenstand. Es gab Fahrer, die sich gleich am zweiten Tag mit 40 Grad Fieber krankgemeldet haben und von Kollegen dann in der Stadt in der Eisdiele gesehen wurden. Viele der alten Fahrer haben sich dann beschwert, dass sie auch noch die Arbeit der angeblich kranken Kollegen mitmachen sollten. Also mussten wir handeln."

Anfang des Jahres stellt Zschoche sein Modell der Belegschaft vor – und gibt Bedenkzeit. "Wir haben niemanden gezwungen, die Änderung zu akzeptieren. Wer es wollte, konnte den alten Pauschallohn weiterbehalten. Nur drei der Fahrer haben sich dazu entschieden." Nach drei Monaten hat sich das System eingespielt. Zschoche ist zufrieden: "Der Krankenstand ist erheblich gesunken, die Motivation der Fahrer sogar gestiegen. Wenn die Mehrheit der Kollegen unser Modell als Nachteil empfinden würde, hätte ich es nicht durchbekommen." Kurz gesagt, das Konstrukt zielt darauf ab, den Fahrern, die krankfeiern, das Geld zu kürzen, sodass es sich nicht mehr lohnt. "Wer wirklich krank ist, bekommt natürlich auch seine vollen Bezüge", verspricht der joviale Chef. Dazu ist er ohnehin gesetzlich verpflichtet, aber wie will Zschoche das "wirklich" feststellen und wie reagiert er auf Zweifelsfälle?

Probleme mit Krankfeiern

"Einem Arbeitgeber steht nicht das Recht der Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit zu", sagt Harry Binhammer, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Heilbronn zu der im juristischen Sinne willkürlichen Vertragsgestaltung. "Eine Differenz bei der Lohnfortzahlung wäre somit wohl nicht gerichtsfest. Ob eine Verbandsmitgliedschaft, eine OT-Mitgliedschaft oder ein Betriebsrat im Unternehmen besteht oder nicht, ist bei einer unwirksamen und gegebenenfalls sittenwidrigen Abänderung eines Arbeitsvertrages ohne Bedeutung und würde vom Arbeitsgericht auf jeden Fall kassiert."

Hinzu kommt: Wenn eine arbeitsvertragliche Klausel objektiv sittenwidrig und damit nichtig ist, ändert die Zustimmung des Arbeitnehmers normalerweise nichts an deren Unwirksamkeit. In der Regel sind unwirksame arbeitsvertragliche Klauseln, auch wenn der Vertrag bereits vom Fahrer unterschrieben wurde, dennoch nichtig. Für die Erkennung auf Sittenwidrigkeit bedarf es auch keines Zwangs.

Umstrittenes Modell bringt im Schnitt 100 Euro mehr

Eine durchaus heikle Angelegenheit – vor allem, wenn die Kollegen selbst das Gefühl haben, sich mit der neuen Regelung besser zu stellen. "Im Schnitt bekommen sie jetzt 100 Euro mehr im Monat", so Geschäftsführer Zschoche. "Wir sind ja schließlich keine Unmenschen und möchten, dass die Fahrer uns vertrauen."

Klingt gut, aber schon beim ersten Streit wird es juristisch problematisch: Wenn etwa Uneinigkeit darüber herrscht, ob ein Fahrer krank war oder "blaugemacht" hat. Ein Tarifexperte von Verdi in Berlin kommentiert: "Welche mehr oder weniger obskure Aufteilung des Arbeitsentgeltes der Arbeitgeber in Verträgen vornimmt, ist völlig unerheblich, solange der Arbeitnehmer in jedem Falle mindestens das ihm zustehende monatliche Entgelt erhält."

Sozialversicherung

Einen Strick müssen sich die Fahrer der FZ Logistik nicht nehmen, wenn sie krank oder arbeitslos werden. Schließlich gibt es in Deutschland Sozialgesetze. Allein schon hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle ist der Arbeitgeber an das Entgeltfortzahlungsgesetz gebunden. Er kann nicht nach eigenem Gutdünken handeln. Es wäre demzufolge gesetzeswidrig, so die Ansicht von Verdi, den ausgewiesenen "Grundlohn" als Berechnungsbasis für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle anzusetzen. Für die Sozialversicherung ist allein das beitragspflichtige Entgelt – nicht dessen "Aufteilung" – entscheidend.

Das bedeutet: Als Grundlage für die Berechnung der fälligen Leistungen gilt das Mittel der letzten drei Monate. Hier werden auch Leistungsprämien mit eingerechnet, die regelmäßig ausbezahlt worden sind. Ausnahme sind Kostenerstattungen, in diesem Falle die Anreise mit dem Pkw. Das gilt im Prinzip auch bei der Bemessung des Arbeitslosengeld 1 für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte laut Paragraf 151, Absatz 1, Sozialgesetzbuch. "Das Bemessungsgeld ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat."

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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