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Orkan verursacht zahlreiche Unfälle Friederike zwingt zum Stehenbleiben

Folgen des Orkans Friederike. Polizei Minden Foto: Polizei Minden

Der Straßentransport muss sich verstärkt auf Wetterextreme einstellen. Die Bilanz von Orkan "Friederike" zeigt, dass das Problembewusstsein in der Branche noch nicht ausreicht. 

Zwei Fahrer sind in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen tödlich verunglückt, zahlreiche Fahrzeuge kippten um und blockierten Straßen und Autobahnen. Besonders gefährlich sind Stürme für Leicht-Lkw, aber auch 40-Tonner ohne Ladung fahren ab Windstärke 9 mit einem hohen Risiko.

Die Brandenburger Polizei vermutet eine Orkanböe als Ursache des Lkw-Unfalls auf der A13 an der Anschlussstelle Ortrand, bei dem der 34-jährige Fahrer eingeklemmt und tödlich verletzt wurde. Sein unbeladenes Fahrzeug kippte auf die linke Seite und kam auf der Mittelschutzplanke zum Liegen. Durch starke Böen kippte bei Lippstadt in Nordrhein-Westfalen ein Transporter um und geriet auf die Gegenfahrbahn, wo er mit einem 40-Tonner kollidierte. Der 68-jährige Fahrer starb noch an der Unfallstelle, der 73-jährige Fahrer des Lkw aus Rheda-Wiedenbrück wurde verletzt ins Krankenhaus gebracht.
 
Insgesamt war Nordrhein-Westfalen das am stärksten vom Sturm betroffene Bundesland. 611 wetterbedingte Unfälle mit einem Toten und 16 Schwerverletzten wurden hier gezählt, die Schadenhöhe wird laut Innenministerium auf 2,4 Millionen Euro geschätzt. Nach Polizeiangaben gab es auf den Autobahnen im Rheinland "unzählige Einsätze", auch auf Bundesstraßen kam es zu Verkehrsbehinderungen. Die Staus summierten sich teilweise auf eine Länge von 200 Kilometern.

Feuerwehr musste eingeklemmten Fahrer befreien

Die Liste weiterer Unfälle mit Lkw-Beteiligung ist umfangreich: So musste in Duisburg die Autobahn 59 voll gesperrt werden, wo die Feuerwehr ein Planenfahrzeug gerade noch davor bewahren konnte, von einer Brücke in die Tiefe zu stürzen - es war von einer Böe an das Geländer gedrückt worden. Eine Vollsperrung verursachte auch ein mit Styropor beladener Zwölftonner, der  auf der A555 von einer Sturmböe erfasst und auf die Fahrerseite umgelegt worden war. Die Feuerwehr befreite den eingeklemmten Fahrer (54) und brachte ihn ins Krankenhaus. Zwei Rheinbrücken bei Rees und Emmerich wurden gesperrt, Ursache war auch ein umgekippter Lkw. Ein auf der Seite liegender Lkw blockierte die A61 Richtung Venlo, auf der Ruhrtalbrücke der A45 kollidierte ein Lastwagen mit einem umgekippten Lkw, auf der Talbrücke Brunsbecke bei Hagen stand nur noch eine Fahrbahn zur Verfügung, weil auf den beiden anderen ein Lkw flach lag.

Versicherungsschaden von einer Milliarde Euro

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beziffert den entstandenen versicherten Schaden insgesamt auf rund eine Milliarde Euro, davon entfallen 100 Millionen Euro auf Schäden an Kraftfahrzeugen, der Rest sind Sachschäden, etwa an Gebäuden. Damit ist Friederike der zweitschwerste Wintersturm nach Kyrill, der 2007 Schäden von mehr als zwei Milliarden Euro hinterließ. Bei der R+V Versicherung liegen Schäden in Höhe von 50 Millionen Euro vor, auf Lkw und Zugmaschinen (Kravag) entfällt ein Anteil von 600.000 Euro für rund 200 Fälle, sagte Sprecherin Brigitte Römstedt. Es gingen täglich immer noch hunderte von Schadenmeldungen ein, so dass die Kravag-Zahl wohl noch steige.

Unfallforscher sieht Speditionen in der Verantwortung

Da stellt sich die Frage, wie sich solche Unfälle künftig verhindern lassen. "Gegen plötzliche Windböen kann man wenig machen", sagt Siegfried Brockmann Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Wichtig sei die Aufklärung der Fahrer. Die müssten sich bei entsprechenden Windlagen darüber im Klaren sein, dass sie beim Verlassen des Windschattens eines Waldrands oder einer Schallschutzwand plötzlich erfasst werden können. Gegen eine dauerhafte Windlast könne man sich mit Gegenlenken ganz gut wappnen, "aber wenn es einen plötzlich trifft, hat man keine Chance."

Grundsätzlich ist der Fahrer laut Straßenverkehrsordnung (StVO) für seinen Lkw verantwortlich, betont Martin Bulheller vom Verband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Brockmann sieht auch die Speditionen in der Pflicht. Sie wüssten inzwischen ganz genau, wo sich ihre Fahrzeuge gerade befänden, müssten sich noch besser mit den Wetterdiensten vernetzen und ihren Fahrern entsprechende Warnungen ausgeben, fordert er. Ein generelles Fahrverbot für Lkw ab Windstärke 8 (74 km/h) sei aber nicht angebracht, denn ein vollbeladener 40-Tonner sei da noch gut unterwegs. "Wir sollten stark auf die Eigenverantwortung von Fahrern und Unternehmen setzen", sagt der Unfallforscher. Beide hätten schließlich ein großes Interesse, unbeschadet ans Ziel zu kommen.

Leicht-Lkw besonders gefährdet

"Bei Leicht-Lkw bis zu zwölf Tonnen sieht das aber anders aus", unterstreicht Brockmann. Unbeladen könnten die Gespanne bei Seitenwind schon bei Windstärke 7 (55km/h) kippen. Er plädiert dafür, Paragraph 2 der StVO so abzuändern, dass die Fahrer ab  Windstärke 8 den nächsten geeigneten Rastplatz ansteuern müssen, die Spediteure sollten mitverantwortlich sein. Eine solche Regelung würde zumindest nicht die gesamte Last der Verantwortung auf das letzte Glied in der Kette, den Fahrer, abwälzen.

Es gebe Auftraggeber, die ungeachtet der Wetterlage auf der Einhaltung von Terminen bestünden, weiß Marcus Hover, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbands Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL). Er wünscht sich für die Zukunft ein faires Miteinander in der Branche und ein vorausschauendes Agieren der  Disponenten. Angesichts des Fahrermangels gebe der Markt es inzwischen her, dass Auftragnehmer sich dem Druck von Verladern widersetzen könnten. "Den Mut haben aber noch nicht alle", sagt er. Auch dass in Zeiten des Klimawandels Orkane wie Friederike häufiger werden, sei in vielen Köpfen noch nicht drin.

Die Problematik von Leicht-Lkw ist seit Jahren bekannt und erst recht seit Brockmann zu dem Thema eine komplette Studie vorgelegt hat. Trotzdem bewege man sich weiterhin in einem juristischen Graubereich, sagt er. In Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2013 einen Erlass, der es den Bezirksregierungen erlaubt, bei witterungsbedingten Gefahren Lkw-Fahrverbote auf allen Autobahnen zu verhängen. Bei Schnee und Eis wurde davon schon Gebrauch gemacht, bei Stürmen bislang nicht.

Schiene läuft nur langsam wieder rund

DB Cargo ist in den Regionen Deutschlands, die vom Sturm nicht betroffen waren, durchaus gefahren. "Wir haben nicht komplett abgeschaltet wie der Fernverkehr", sagte eine Sprecherin. "In NRW lief allerdings nichts mehr." Und die Nachwirkungen waren lange zu spüren, insgesamt dauerten die Beeinträchtigungen bis Ende Januar an.
"Es zieht sich einfach hin, bis sämtliche Umläufe wieder passen", sagte der Sprecher von Kombiverkehr, Jan Weiser. Insgesamt seien bei Kombiverkehr etwa 120 Züge ausgefallen. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass es am effektivsten sei, das Equipment dort stehen zu lassen, wo es sich bei einem solchen Ereignis befinde, um den Regelbetrieb möglichst schnell wieder zu starten. "In den vergangenen zwei, drei Jahren sind die Auswirkungen von Stürmen spürbar gestiegen", sagte Weiser.
 
 
 
 
 
 
 
 

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