Nahverkehr Berlin Umstrittene Koalitionsvereinbarung

Herbert Schadewald Foto: Herbert Schadewald

Verbände kritisieren die Koalitionsvereinbarung des Senats in Berlin.

Berlin platzt aus allen Nähten. Gegenwärtig beläuft sich die Einwohnerzahl auf mehr als 3,5 Millionen Menschen. Anfang des kommenden Jahrzehnts werden es voraussichtlich etwa vier Millionen sein. Die Bundeshauptstadt verzeichnet den stärksten Bevölkerungszuwachs aller deutschen Großstädte. Dieser Entwicklung muss sich nun auch der neu gewählte rot-rot-grüne Senat stellen. Erstmals besetzen die Grünen das Verkehrsressort. Dafür wurde die parteilose Politikwissenschaftlerin Regine Günther nominiert. Die 53-Jährige gilt als Klimaexpertin und fungierte seit 2015 als Generaldirektorin für Politik und Klimaschutz beim World Wide Fund For Nature Deutschland (WWF).

Innerstädtische Transporte sollen verlagert werden

SPD, Linke und Grüne formulierten in ihrer Koalitionsvereinbarung, dass die metropolengerechte Mobilität ein wichtiger Schlüssel für das Zusammenleben in Berlin und für wirtschaftliches Wachstum sei. 13 Zeilen später wird deutlich, was eigentlich gemeint ist: Die Umverteilung des Straßenraums zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie des Rad- und Fußverkehrs.

Eine grüne Handschrift trägt auch das Thema Wirtschaftsverkehr. Da erarbeiteten die drei Parteien ein Citylogistik-Konzept, bei dem innerstädtische Transporte möglichst auf umweltfreundliche Verkehrsmittel verlagert werden. Dazu gehört die Belieferung auf der letzten Meile mit Lastenfahrrädern. Die Koalitionäre wollen dafür die Anschaffung von Elektro-Lastenfahrrädern fördern. "Dieses Konzept geht an den notwendigen Entwicklungen Berlins vorbei", sagt Eberhard Tief, Geschäftsführer des Landesverbandes des Berliner und Brandenburger Verkehrsgewerbes (LBBV). Er begrüße den Plan, ein integriertes Wirtschaftskonzept zu erarbeiten.

Politischer Wille steht nicht mit der Realität im Einklang

Ein undifferenziertes Zurückdrängen des Auto- und Wirtschaftsverkehrs werde den Wirtschaftsstandort Berlin aber eher schwächen. "Diese ökologischen Zielsetzungen des neuen Berliner Senats waren in Teilen zu erwarten. Dennoch steht in vielen Bereichen aus unserer Sicht der politische Wille nicht mit der Realität im Einklang", erklärt Klaus-Dieter Martens, Geschäftsführer des Verbandes Verkehr und Logistik Berlin und Brandenburg (VVL). Es bedürfe keiner verkehrspolitischen Experimente, sondern eines schlüssigen Gesamtkonzeptes. "Die meisten Transporte von Unternehmen lassen sich eben nicht mit Lastenfahrrädern, Straßenbahnen und Binnenschiffen abwickeln", sagt Martens.

Die angestrebte Verlagerung von innerstädtischen Transporten auf Fahrräder und umweltverträgliche Verkehrsmittel sei für ein kleines Marktsegment vorstellbar, gehe jedoch an den Erfordernissen einer wachsenden Metro­pole vorbei, erklärt ebenfalls Gerd Bretschneider, Geschäftsführer der Fuhrgewerbe-Innung Berlin-Brandenburg. Allerdings bewertet die Fuhrgewerbe-Innung dabei positiv, dass der Senat ausreichend Mittel zur Sanierung der Infrastruktur und für die Verkehrslenkung bereitstellt.

Andere Lösungsansätze kommen zu kurz

Auch bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin werden die Koalitionsaussagen mit einem gewissen Misstrauen beäugt. "Eine stärkere Fokussierung auf den Fahrradverkehr darf letztendlich nicht zum undifferenzierten Zurückdrängen des Autoverkehrs führen", erklärt Jochen Brückmann, Bereichsleiter Infrastruktur und Stadtentwicklung der IHK Berlin. Wirtschaftsverkehr bestehe nicht nur aus City-Logistik mit Lasten­rädern. "Lösungsansätze für die steigenden wirtschaftlichen Verflechtungen und die stark wachsenden Pendlerströme zwischen Berlin und Brandenburg kommen im Koalitionsvertrag genauso zu kurz wie eine bessere Erschließung von Gewerbegebieten", sagt Brückmann.

"Mit Blick auf Verkehr und Infrastruktur lässt der Koalitionsvertrag alles, aber auch alles in Bezug auf innovative Planung und Investition vermissen", kritisiert LBBV-Geschäftsführer Tief. Sein Fazit: Mit dem vorliegenden rot-rot-grünen Papier wurden die Chancen vertan. Am Ende dieser Legislaturperiode werde die geplante Mobilitätsstrategie gescheitert sein. "Die Koalitionsvereinbarung ist eine einzige Verweigerung für eine nachhaltige, moderne, an den Nachfragebedürfnissen der Menschen und der Wirtschaft orientierten Verkehrspolitik", resümiert Tief.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
TA01 2017 Titel
trans aktuell 01 / 2017
16. Dezember 2016
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