Nachhaltige Bebauung Mehr Rücksicht auf die Tierwelt

Umweidung von Schafen Foto: frank Kniestedt

Im vorigen Jahr hat die Logistikbranche so viel Fläche umgesetzt wie noch nie. Wo bleibt die Natur?

Wer eine Logistikimmobilie sucht, braucht aktuell viel Glück. "Das Angebot an sofort verfügbaren Logistikobjekten tendiert gegen Null", erfuhr man unlängst vom Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle (JLL). Deutschland hatte im europäischen Vergleich im ersten Halbjahr 2012 die Nase vorn mit 1,8 Millionen im Bau befindlichen Quadratmetern. Auch bei Vermietungen werden Rekordumsätze erzielt, was zu einem massiven Abbau von Leerständen und höheren Mieten geführt habe. "Das ist das perfekte Marktumfeld für Logistikinvestments", erklärt Simon Beyer, Leiter Industrial Investment bei JLL.

Also wird munter weitergebaut. Landauf, landab schießen Logistikzentren aus dem Boden. Auch sie tragen dazu bei, dass der deutsche Flächenverbrauch weiter wächst: auf derzeit rund 100 Hektar pro Tag. Herren im schwarzen Anzug und Damen in edlem Tuch schwingen symbolträchtig den Spaten. So wie neulich in Filderstadt bei Stuttgart. Der deutsche Modekonzern Hugo Boss baut im dortigen Gewerbegebiet in Bonlanden für 100 Millionen Euro ein neues Logistikzentrum mit Hochregallager und ist dort herzlich willkommen, was für Speditionen und Logistiker bei weitem nicht selbstverständlich ist. Denn mit dem Bau riesiger Hallen einher geht zumeist die Versiegelung wertvoller Ackerböden und der Lärm ein- und ausfahrender Lkw. Das freut weder Natur noch Anwohner.

In Metzingen, der Heimatstadt von Hugo Boss, hatte ein Bürgerentscheid die Halle mit Ausmaßen von 235 mal 122 mal 21 Metern gestoppt. Auch in Nürtingen hatte das Modeunternehmen kein Glück. Nun also ist es Filderstadt geworden (alle Kreis Esslingen). In Berlin begleitet die dort tätige Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz im Auftrag verschiedener Umweltverbände die Planfeststellungsverfahren rund um die Metropole. Das Team von Geschäftsführer Manfred Schubert analysiert und untersucht die Flächen. Es beschreibt die vorhandene Flora und Fauna und legt die Wertigkeit dort lebender Arten nach der Bundesartenschutzverordnung und der EU-Richtlinie Flora Fauna Habitat (FFH) fest.

Naturschutzverbände reden ein wichtiges Wort mit

Dazu ist ein langer Vorlauf nötig. Zwei Jahre für ein komplettes Verfahren seien keine Seltenheit, von der Planung bis zum Beschluss inklusive öffentliche Beteiligung. Werden bislang freie Flächen bebaut, ist eine Biotopkartierung nötig: Eine Vegetationsperiode lang, von Frühjahr bis Herbst, wird das Gelände untersucht. "Das Thema Artenschutz ist hochkomplex und hat unterschiedlichste Facetten", sagt Schubert mit Blick auf Bundes- und EU-Richtlinien. Es gibt ein Verschlechterungsverbot und Ausnahmen davon – wenn ein öffentliches Interesse besteht, genau dort zu bauen, wo Zauneidechsen und Kröten sich tummeln.

In der Hauptstadt werde nach dem "Berliner Verfahren" berechnet, welche Ausgleichsmaßnahmen ein bestimmter Eingriff nötig macht, erklärt Schubert. Meist versucht man, das überbaute Habitat an anderer Stelle zu rekonstruieren und hofft, dass die Kröten, Molche und Vögel nicht beleidigt das Weite suchen. Das Landesbüro anerkannter Naturschutzverbände in Berlin nimmt die Beteiligungsrechte von fünf Naturschutzverbänden zu Planfeststellungen und Bebauungsplänen wahr. "Bei Neuansiedlungen von Gewerbe- und Logistikzentren geht es in erster Linie um Flächenverbrauch. Damit verbunden sind Biotop- und Lebensraumverluste ", erklärt Mitarbeiterin Angelika Becker.

Damit vorhandene Arten nicht für immer verloren gehen, formuliert das Team pro Jahr rund 1.000 Stellungnahmen und Vorschläge. "Oftmals sind es Kleinigkeiten, die aber für den Artenschutz wichtig sind", sagt Becker. Als Beispiele nennt sie eine insektenfreundliche Beleuchtung, die nur nach unten abstrahlt, ein Fassadenputz, der die Ansiedlung von Schwalben ermöglicht und eine Fassadenbegrünung. Auch Baum- und Heckenpflanzungen mit Wildfruchtgehölzen helfen den Tieren, Nahrung und Unterschlupf zu finden. "Die Auswahl ist groß und muss den jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden", sagt Becker.

Dabei unterstützen und beraten die Naturschützverbände auch Unternehmen. Für den starken Artenrückgang macht Becker vor allem den Verlust von natürlichen Nist- und Ruheplätzen für Gebäude bewohnende Arten wie Fledermäuse verantwortlich. Sie fordert deshalb die Wirtschaft zur stärkeren Zusammenarbeit auf. "Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Unternehmen ihre Gebäude und Dächer auch dem Artenschutz öffnen." Aktionen wie das Projekt des deutschen Naturschutzbunds "schwalbenfreundliches Haus" seien dafür gut geeignet. Damit etwa Nistkästen richtig angebracht und betreut sowie Biotope optimal gestaltet werden, ist meist die Hilfe von Fachleuten nötig. Kontakte vermittelt das Landesbüro, bietet Becker an.

Naturgarten statt englischem Rasen hinterm Firmengebäude

Die Bio-Supermarkt-Kette Alnatura hat sich umweltfreundliches Produzieren, Lagern und Transportieren von Lebensmitteln auf die Fahnen geschrieben. Im südhessischen Lorsch baute das Bickenbacher Unternehmen 2010 ein neues Verteilerzentrum - "nachhaltig, ökologisch, ästhetisch". Gebaut wurde nicht auf der grünen Wiese, sondern in einem bereits erschlossenen Industriegebiet, sagt Sprecherin Stefanie Neumann. Das Thema Artenschutz stand daher nicht explizit auf der Agenda. Auf dem Dach produziert eine fast 8.000 Quadratmeter große Photovoltaik-Anlage grünen Strom, unterm Dach stehen 17.000 Palettenstellplätze in einer mit Luft-Wasser-Wärmepumpe klimatisierten Halle bereit. Für eine freundliche Optik ist die Halle mit heimischem Lärchenholz verkleidet. Den Strom aus Wasser- und Windkraft für Zentrale, Verteilzentrum und alle Biomärkte liefern die Elektrizitätswerke Schönau.

Im Naturgarten hinterm Bürogebäude in Bickenbach treffen sich nicht nur Mitarbeiter. Im Teich quaken Frösche und rundherum summen 50.000 Bienen. Die Deutsche Bahn will in Sachen Umwelt absoluter Vorreiter sein. Dort kümmert sich das Bahnumweltzentrum um die Thematik. Zum Schutz bedrohter Tier- und Pflanzenarten werden aktuelle Daten zu Schutzgebieten und Vorkommen geschützter Arten in einem Datenspeicher gesammelt, der allen Mitarbeitern zugänglich ist. So könne sich jeder bei Bedarf schnell einen Überblick verschaffen und bereits in einer frühen Planungsphase geeignete Maßnahmen ergreifen, teilte das Unternehmen auf Anfrage von trans aktuell mit. Die Kosten für Ausgleichsmaßnahmen, Umwelt- und Artenschutz betragen laut Bahn fünf bis zehn Prozent bei neuen Bauvorhaben und bis zu fünf Prozent bei Maßnahmen im Bestand.

Unternehmen können gegen das Artensterben tun

Mit guten Aktionen lässt sich viel erreichen. Dass sich ökologisches Handeln mehrfach auszahlt, weiß die Spedition Kellershohn aus Lindlahr. Um ihrem guten Ruf gerecht zu werden, setzt sie auf ein vielfältiges Engagement, das Belegschaft und Umwelt hilft und nebenbei die Personalgewinnung unterstützt. Gemeinsam mit dem Nabu Oberberg befestigten Mitarbeiter ein Dutzend Nistkästen an der Lagerhalle, unter anderem für den Mauersegler. Da viele Nistplätze heute durch Gebäudesanierungen verloren gehen, setzte der Nabu den Brutvogel kürzlich auf die Vorwarnliste für bedrohte Arten.

Ob im laufenden Betrieb oder bei der Planung eines Neubaus – Unternehmen können viel tun, um dem Artensterben aktiv entgegenzuwirken. So wie der französische Sportfilialist Decathlon. Im neuen Schwetzingen Logistiklager stand neben Dachbegrünung und Stromgewinnung auch die Umsiedlung von Zauneidechsen auf dem Programm. "Je früher Naturschutzverbände und -behörden dabei in die Planung eingebunden werden, desto besser", betont Dr. Andre Baumann, Landesvorsitzender des Naturschutzbunds Baden-Württemberg. Dann könnten Vorschläge leichter in Planungen integriert werden. Gute Bestandserfassungen sind für ihn die Basis wirksamer Schutzmaßnahmen – und dafür ist nun mal ein gewisser Vorlauf unabdingbar.

Wer ein Logistikzentrum plant, sollte ökologisch wertvolle Biotope und Lebensräume seltener Arten meiden und flächensparend bauen, fordert Baumann. Statt eines strengen, englischen Rasens könnten Wildblumen vorm Büro blühen. Ein Regenrückhaltebecken kann auch als Schilffläche angelegt werden, was hübsch aussieht und weniger Fläche versiegelt. Zwar gibt es durchaus Erfolge beim Artenschutz – die Bestände von Wanderfalke, Uhu und Weißstorch hätten sich erholt, berichtet Andre Baumann. Gleichzeitig werden die Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten immer länger. Dabei sind Vögel die am besten untersuchten Bioindikatoren. Dem Beispiel der Spedition Kellershohn folgend, können Logistikunternehmen selbst aktiv werden und ihre Mitarbeiter für Artenschutz-Projekte gewinnen. Gemeinsam ein Biotop auf dem Firmengelände anzulegen oder Nistkästen aufzuhängen, macht Spaß und fördert den Zusammenhalt. Wo ein Wille ist, ist auch ein Spaten.

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