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Mindestachslast 500 Euro für 360 Kilogramm

Karl-Heinz Augustin

Die Schweiz verlangt hohe Bußgelder für eine zu geringe Mindestachslast. Bei der Ahndung gibt es in Europa unterschiedliche Regelungen.

Man weiß, dass es sprachliche Unterschiede zu unseren Nachbarn in der Schweiz gibt: Die Eidgenossen bestellen in der Kneipe zuweilen eine Stange (Bier) und fahren mit dem Töff (Motorrad). Auch ein Fahrer eines Transportunternehmens aus Wuppertal glaubte bei einer Verkehrskontrolle im Kanton Uri zunächst nur an ein Sprachproblem, als ihm der Verstoß gegen die Adhäsions­regelung vorgeworfen wurde.

520 Franken Bußgeld

"Unser Sattelzug hatte 7.200 Kilogramm hängende Kleider aus Tunesien geladen", berichtet der Transportunternehmer gegenüber trans aktuell. "Bei der Schweizer Gewichtskontrolle wurde bei unserem 40-Tonnen-Zug ein Gesamtgewicht von 26 Tonnen gewogen. Unserem Fahrer wurden dann aber 520 Franken Bußgeld abgepresst, mit der Begründung, die Zehn-Tonnen-Triebachse wäre um 369 Kilogramm, also 6,9 Prozent, untergewichtig.Dies wäre ein neues Schweizer Gesetz aus Januar 2014." Mindestens dreimal im Monat fahren die Lkw der Firma Textilien von Tunis über Genua und durch die Schweiz nach Wuppertal – der Chef will eine Klärung.

Adhäsionsgewicht von mindestens 25 Prozent

Laut Wikipedia versteht man unter der Adhäsion bei Verkehrsmitteln etwa im Straßenverkehr die Straßenhaftung von (Gummi-)Reifen. In der Schweiz schreibt dagegen die Adhäsionsregelung vor, mit wie viel Gewicht die Achsen eines Fahrzeugs belastet sein müssen. Eine Nachfrage beim Schweizerischen Nutzfahrzeugverband Astag bestätigt dies. Dabei gilt Artikel 67 der Schweizer Verkehrsregelnverordnung (VRV): Absatz 4 schreibt ein minimales Adhäsionsgewicht von mindestens 25 Prozent des jeweiligen Betriebsgewichtes auf den Antriebsachsen vor.

Gewicht auf Antriebsachsen nicht weniger als 25 Prozent des Gesamtgewichts

Auch nach der EU-Richtlinie 96/53/EG aus dem Jahre 1996, Anhang I, Absatz 4.1., darf bei Fahrzeugen, die im grenzüberschreitenden Verkehr eingesetzt werden, das Gewicht auf der oder den Antriebsachsen nicht weniger als 25 Prozent des zulässigen Gesamtgewichts des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination betragen. Das berichtet Verkehrsrechtsexpertin Daniela Mielchen aus Hamburg.

Mitgliedstaaten haben Ermessenspielraum bei EU-Richtlinie

Jetzt aber die Krux: "Grundsätzlich bleibt es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, wie sie EU-Richtlinien umsetzen – es besteht mithin bei der Umsetzung von Richtlinien ein gewisser Ermessensspielraum." Deutschland habe die Vorgaben der EU-Richtlinie zur Einhaltung der Mindestachslast der Antriebsachsen im grenzüberschreitenden Verkehr in § 34 Abs. 8 StVZO (Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung) umgesetzt.

"Es wurde dabei nicht für notwendig erachtet, die Vorschrift auch auf den nationalen, innerstaatlichen Verkehr zu erstrecken", sagt die Rechtsanwältin. "Aus diesem Grund besteht für die deutschen Behörden kein Interesse an der Verfolgung und Ahndung derartiger Verstöße, weshalb die Vorschrift auch keinen Einzug in den aktuellen Verwarn- und Bußgeldkatalog gefunden hat."

Bußgelder können erhoben werden

Durch die Formulierung "im grenzüberschreitenden Verkehr" sei allerdings sichergestellt, dass andere EU-Mitgliedstaaten – je nach Umsetzung der Richtlinie – durchaus Bußgelder erheben können. "Bevorzugt die Schweiz als Nicht-EU-Land und Österreich haben hiervon Gebrauch gemacht", berichtet Mielchen aus ihrer Rechtspraxis. "Hauptmotiv der Regelung ist, die Motorleistung der Fahrzeuge richtig auszuschöpfen, vor allem in bergigem Gelände, weshalb das Unterschreiten der Mindestachslast der Antriebsachsen dort bußgeldbewährt ist."

Was also in Deutschland vorgeschrieben, aber bei einem Verstoß nicht geahndet wird, kann in der Schweiz zu einem teuren Vergehen werden: 200 Franken für die Unterschreitung des Adhäsionsgewichtes, 220 Franken Administrationsgebühr, 100 Franken für die Technik – macht in Summe 520 Franken oder nach heutigem Stand mehr als 480 Euro, die das Unternehmen aus Wuppertal berappen musste.

Hohe Bußgelder in Frankreich, Belgien und den Niederlanden

Laut Mielchen ergeben sich vor allem im Hinblick auf Übertretungen der Lenk- und Ruhezeiten innerhalb der EU erhebliche Unterschiede bei der Verhängung der Bußgelder. Im Vergleich zu Deutschland seien vor allem die Bußgelder in Frankreich, Belgien und in den Niederlanden sehr hoch angesetzt. 

Der Unternehmer aus dem geschilderten Fall ist jedenfalls empört und vermisst jede Verhältnismäßigkeit der Schweizer Behörden: "Eine Unterladung von knapp 360 Kilogramm – das ist bei dem Gewicht doch wie ein Tropfen im Wasserglas." Vor Ort habe der Fahrer noch eine Kaution zahlen müssen, ein Einspruch sei nicht möglich gewesen.
"Auch wenn der Lkw-Fahrer nicht mit dem Bußgeld einverstanden ist, muss oftmals gleichwohl eine Kaution oder Sicherheitsleistung hinterlegt werden", bestätigt Rechtsanwältin Mielchen.

Kaution kann sehr hoch ausfallen

Die Kaution werde dabei auch unter Berücksichtigung der noch anfallenden Verfahrens–kosten bestimmt und könne somit zum Teil sehr hoch ausfallen. Und es geht noch weiter: Laut Mielchen darf im ­Falle der Nichtleistung der Kaution der Lkw sogar konfisziert werden, was weitere Kosten verursache. Werden auch diese nicht erstattet, so wird das Fahrzeug letztlich zwangsversteigert, der Differenzbetrag wird anschließend an den Fahrzeughalter ausbezahlt. "Wer also meint, in Deutschland seien die Bußgelder und Sanktionen für Verkehrssünden hoch, der verkennt, dass viele EU-Länder (und daneben vor allem auch die Schweiz) deutlich mehr kassieren. Fahrer sollten sich daher unbedingt über die besonderen Regeln im Straßenverkehr des jeweiligen Landes informieren."




Das Achsgewicht

Schweiz: Art. 67 Abs. 4 Schweizer Verkehrsregelnverordnung (VRV):
Bei Fahrzeugen oder Fahrzeugkombinationen, deren Höchstgeschwindigkeit 40 km/h übersteigen kann, muss das Gewicht auf den Antriebsachsen mindestens 25 Prozent des jeweiligen Betriebsgewichtes betragen (minimales Adhäsionsgewicht)

Art. 73 Abs. 1 VRV:

Die Ladung ist so anzuordnen, dass die Lenkachsen wenigstens 20 Prozent des Betriebsgewichtes tragen und bei Zentral-achsanhängern der Schwerpunkt vor der Achse liegt.

Deutschland: Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (STVZo)

§ 34 Achslast und Gesamtgewicht:

Abs. (8) Bei Lastkraftwagen, Sattelkraftfahrzeugen und Lastkraftwagenzügen darf das Gewicht auf der oder den Antriebsachsen im grenzüberschreitenden Verkehr nicht weniger als 25 Prozent des Gesamtgewichts des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination betragen.

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