Matthias Wissmann im Gespräch "Wir sind guter Dinge"

Matthias Wissmann, Präsident des VDA Foto: Stephan Klonk

Autonomes Fahren, alternative Antriebe, Vernetzung, neue Maße für eine bessere Aerodynamik – die Fahrzeugbauer sind aktuell mit zahlreichen Themen und Entwicklungen konfrontiert. Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), ist überzeugt, dass die deutschen Hersteller auf diesen Gebieten punkten können.

Lange Zeit galten Brasilien, Russland, Indien und China als die boomenden Märkte. Doch mit dem Hype in den BRIC-Staaten ist es erst einmal vorbei, so die Einschätzung des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Dafür wächst der US-Markt, und Westeuropa ist stabil. In Deutschland sei die Entwicklung sogar besser als erwartet, sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann im Gespräch mit trans aktuell.

trans aktuell: Herr Wissmann, die IAA Nutzfahrzeuge steht vor der Tür. In welcher Verfassung treffen wir die Branche in Hannover an?

Wissmann: In einer insgesamt guten Verfassung. In Deutschland haben wir im bisherigen Jahresverlauf ein ordentliches Wachstum bei schweren Lkw, in Westeuropa gibt es ein leichtes Plus. Der US-Markt für schwere Lkw hat sich seit Januar sehr lebhaft gezeigt und weist ein zweistelliges Wachstum auf. China liegt im ersten Halbjahr in etwa auf Vorjahresniveau. In Brasilien, Russland und Indien hingegen schwächeln die Geschäfte.

Wie sehr trübt die Russland-Krise die Stimmung?

Die Folgen der Krise sind spürbar. Doch der Konjunkturmotor in Russland stottert nicht erst seit dem Krim- oder Ukraine-Konflikt. Russland war schon vorher in Turbulenzen, wie die Abwertung des Rubels und die schwache Binnennachfrage bereits 2013 gezeigt haben. Gefährlich ist aktuell vor allem die Vielzahl an Krisenherden. Auch wenn die Nutzfahrzeugbranche im Nahen und Mittleren Osten nicht die meisten Geschäfte macht, drücken diese Auseinandersetzungen auf die Stimmung. Daneben leiden wir vor allem aber unter dem weltweit wachsenden Protektionismus. Die Beschränkung des Freihandels in vielen Ländern ist für eine Exportnation wie Deutschland ein echtes Problem. Unsere Aufgabe muss es daher sein, die Fahne des Freihandels, wo immer es geht, noch deutlicher zu schwingen.

Also nicht gerade das ideale Umfeld für eine Leitmesse wie die IAA?

Bei allen Herausforderungen, mit denen wir weltweit konfrontiert sind, überwiegen die positiven Signale. Die IAA Nutzfahrzeuge ist die weltweit wichtigste Leitmesse für Transport, Mobilität und Logistik. Sie stößt auf sehr große Resonanz, das belegen die Ausstellerzahlen. Wir registrieren ein zunehmendes Interesse von Unternehmen aus Asien. Beispielsweise sind Konzerne wie Dongfeng oder Hyundai in Hannover das erste Mal dabei, was uns sehr stolz macht. Wir werden auf der IAA viele Innovationen und Weltpremieren erleben – alles unter den Leitthemen Effizienz, Flexibilität und Vernetzung.


Bleiben wir bei der Vernetzung: Hersteller und Zulieferer zeigen, dass autonomes Fahren schon möglich ist, wenn die verschiedenen Systeme sinnvoll ineinander greifen. Welche Chancen räumen Sie dem Thema ein?

Die Vernetzung ist eines der ganz großen Innovationsthemen.  Wir werden das vollautomatische Fahren noch nicht morgen erleben. Aber spätestens ab 2020 werden solche Technologien ihren Durchbruch feiern, die man bis vor kurzem noch für eine Utopie gehalten hat. Für bestimmte Verkehre, die nach einem Standard-Schema ablaufen, ist autonomes Fahren schon bald vorstellbar. Ich denke zum Beispiel an Fahrten im Tagebau. In modernen Logistikzentren sind alle Prozesse effizient getaktet, entsprechend wird auch auf der Straße eine höhere Automatisierung kommen.

Und der Fahrer überflüssig werden?

Keinesfalls. Für die meisten Einsatzzwecke werden wir auch weiterhin auf qualifizierte Fahrer angewiesen sein. Das gilt besonders im Verteilerverkehr, denken Sie nur an Zustellsituationen in dicht befahrenen Ballungszentren wie Stuttgart oder München.

Warum gehen Sie davon aus, dass autonomes Fahren erst ab 2020 kommen wird?

Auch wenn sich das vorher schon technisch umsetzen ließe, muss der Gesetzgeber erst einmal die Weichen stellen. Unter anderem geht es um Haftungsthemen und den Datenschutz. Wir müssen Hackerangriffen vorbeugen und vieles mehr. Doch bei allen Risiken überwiegen ganz klar die Chancen – vor allem mit Blick auf die Sicherheit. Das autonome Fahren wird einen ganz wichtigen Beitrag für eine erhöhte Verkehrssicherheit leisten.

Wird sich der intelligente Truck, der selbstständig fährt, auch äußerlich von seinen Vorgängern unterscheiden?

Davon gehe ich aus. Was der Europäische Rat und das EU-Parlament bisher bei Maßen und Gewichten beschlossen haben, gibt den Ingenieuren einige neue Freiräume, die sie auch für eine verbesserte Aerodynamik nutzen werden. Damit können die Fahrzeuge auch ein neues Erscheinungsbild bekommen. Die Hersteller stehen dabei vor anspruchsvollen Aufgaben,  gerade wegen der langen Produktzyklen ist das auch zeitlich herausfordernd.

Was die Behandlung des Lang-Lkw angeht, sind Sie mit der Brüsseler Position dagegen nicht einverstanden. Woran stören Sie sich?

Wir hätten uns mehr Flexibilität bei grenzüberschreitenden Verkehren erhofft. Der Lang-Lkw ist für den VDA eine der wichtigsten Stellschrauben bei den Bemühungen, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Doch zum Glück erkennen immer mehr kluge Leute aus allen Parteien das Potenzial dieses Fahrzeugkonzepts. Ich spreche schon lange vom Ökolaster, der nicht nur die Straße entlastet, sondern durch den Wegfall von Fahrten auch einen wichtigen Beitrag zur CO2-Reduktion und zum Klimaschutz leistet.

Wird der Lang-Lkw auch auf der IAA eine Rolle spielen?

Der VDA wird sich auf rund 30 IAA-Symposien zu allen  wichtigen Zukunftsthemen äußern. Natürlich geht es auf der IAA auch um den Lang-Lkw und den Feldversuch. Wir werden unseren Appell vor allem in Richtung Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg erneuern, sich dem Feldversuch anzuschließen. Ich erwarte, dass sich im Fall einer positiven Bewertung des Feldversuchs die bisherig zögerliche Position einiger Länder ändern wird. Außerdem hat sich gezeigt, dass der Lang-Lkw der Schiene keine Anteile nimmt, sondern ihr im Kombinierten Verkehr sogar zusätzliches Volumen zuführt. Es spricht also alles für den Lang-Lkw und seine Vorteile.

Zum Thema Effizienz gehören auch alternative Kraftstoffe und Antriebe. Wo geht hier die Reise hin?

Beim schweren Nutzfahrzeug wird der konventionelle Dieselantrieb weiterhin die erste Wahl bleiben. Wir erleben immer effizientere und schadstoffärmere Motorentechnologien, die aus dem modernen Lkw schon heute ein Ein-Liter-Auto machen – bezogen auf die transportierte Tonne. Alternative Kraftstoffe sind auch für den schweren Lkw und den Fernverkehr geeignet. Das zeigen die Erfahrungen mit dem Flüssiggas LNG, das hohe Reichweiten ermöglicht. Aber auch CNG wird eine Rolle spielen. Ein Fahrzeug im Gasbetrieb läuft leise und schadstoffarm. Allerdings muss noch am Aufbau einer Tankstellen-Infrastruktur gearbeitet werden.  Damit steht und fällt die weitere Akzeptanz dieses Kraftstoffs. Was das leichte Nutzfahrzeug angeht, sind Hybrid- oder reine Elektroantriebe viel eher umsetzbar und werden gerade im Verteilerverkehr attraktiv. Beispiele dafür wird es auf der IAA zu sehen und zu testen geben.

Glauben Sie, dass die Präsentation solcher Fahrzeuge auf der IAA die Investitionsneigung der deutschen Flottenbetreiber erhöhen wird?

Die Investitionsneigung ist ja nicht gering. Der deutsche Markt läuft besser, als wir es erwartet hätten. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden gut 48.000 schwere Nutzfahrzeuge über sechs Tonnen neu zugelassen, was einem Zuwachs von rund neun Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreswert entspricht. Bei den leichten Nutzfahrzeugen gab es ein Plus von sieben Prozent, und bei Anhängern und Aufbauten eine Steigerung um zehn Prozent. Das sind alles sehr positive Signale – allerdings werden die Zuwächse bei den schweren Nutzfahrzeugen in den nächsten Monaten aufgrund der Vorzieheffekte vor der Euro-6-Einführung im vergangenen Jahr deutlich geringer ausfallen.

Würden Sie also sagen, Ihren Unternehmen geht es gut?

Bis ein schwäbischer Kaufmann sagt, dass es ihm gut geht, dauert es lange. Doch ernsthaft: Ja, wir sind guter Dinge. Und es gibt eine begründete Hoffnung, dass die IAA als großes Schaufenster der weltweiten Nutzfahrzeugindustrie dieser Branche weitere Impulse gibt.

Könnten andere Impulse von Seiten der Politik diese Entwicklung hemmen, zum Beispiel die geplante Mautausweitung?

Wir hätten die Vorzieheffekte vermeiden können, wenn die Politik frühzeitig Anreize für Investitionen in Euro-6-Lkw gesetzt hätte. Aus bekannten Gründen ist das nicht geschehen. Hinzu kommt  das neue Wegekostengutachten, das zu niedrigeren Mautsätzen und zu Einnahmeausfällen für den Verkehrsminister führt. Zur Kompensation wird nun die Lkw-Maut auf weitere Bundesstraßen und kleinere Fahrzeuge ausgeweitet.

Was halten Sie davon?

Bei aller Kritik muss man positiv hervorheben, dass Bundesstraßen und Autobahnen nun in gleicher Höhe bemautet werden sollen. Zunächst waren ja deutlich höhere Tarife für Bundesstraßen im Gespräch. Positiv ist auch, dass es die längst überfälligen Vorteile für Euro-6-Fahrzeuge gibt. Ich habe allerdings bei Gesprächen mit der Politik immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Bemautung von Bundesstraßen in viel stärkerem Maße das mittelständische Transportgewerbe, Verteilerverkehre und Handwerker trifft, verglichen mit der Maut auf der Autobahn. Wir sehen mit Sorge, dass im Fall einer Mautausweitung dieses mittelständische Gewerbe wirtschaftlich erheblich unter Druck geraten könnte.


ZUR PERSON

Matthias Wissmann ist seit Juni 2007 Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Zuvor war er seit dem Jahr 1976 für die CDU als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Von Mai 1993 bis Oktober 1998 war Wissmann Bundesverkehrsminister, davor hatte er für einige Monate die Verantwortung über das Forschungs- und Technologieministerium. Bis zu seiner VDA-Tätigkeit war der Schwabe Vorsitzender des Ausschusses für EU-Angelegenheiten. Wissmann, Jahrgang 1949, stammt aus Ludwigsburg. Er studierte Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Politik in Tübingen und Bonn.

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