Lenkzeit abgelaufen Mit dem Leihwagen ins Wochenende

Mietwagen für Lkw-Fahrer Foto:

Die Lenkzeit ist abgelaufen, der Chef zahlt einen Mietwagen. Klingt gut, aber das freundliche Angebot hat seine Tücken.

Nahezu jeder, der als Fahrer im Fernverkehr unterwegs ist, kennt die Situation am späten Freitagabend: Ein oder zwei Stunden vor dem Betriebshof läuft die Lenkzeit aus. Schlechte Planung der Disposition, Megastaus, Fehler bei der Berechnung der Doppelwoche – Gründe gibt es viele. Früher, bevor der digitale Tacho mit den verschärften Sozialvorschriften die Selbstbestimmung der Fahrer noch nicht so eingeschränkt hat, gingen viele das kalkulierbare Risiko ein, fuhren durch und verbrachten das Wochenende bei der Familie. Tachoscheiben waren geduldig, Kontrolleure zeigten oftmals Verständnis.

Mit der EU-Verordnung 561/2006 über die Lenkund Ruhezeiten sowie der lückenlosen Kontrolle durch den Digitacho hat sich das grundlegend geändert – gerade am Wochenende nicht immer zum Vorteil für die Fahrer. Wer 100 Kilometer vor der Heimat noch neun oder gar elf Stunden Pause machen muss, empfindet die Vorschriften zum Schutz der Fahrer schlicht als unsozial. Manche Unternehmer kennen keine Gnade und lassen ihre Fahrer dann einsam und allein auf dem Autohof stehen, denn bei einer Überschreitung der Lenkzeit müssen auch sie mit einem Bußgeld rechnen. Andere lassen den Fahrer heimkommen, stimmen damit der Überschreitung praktisch zu und nehmen sie bei einer Kontrolle auf ihre Kappe.

Die Korrekte Bedienung des Tachos obliegt dem Unternehmer

Immer öfter zeigen sich Arbeitgeber kulant und stellen auf ihre Kosten einen Mietwagen zur Verfügung. Das sind die Grenzfälle in einer Grauzone der Lenk- und Ruhezeitenverordnung. Bleiben es lediglich Ausnahmen, nehmen die meisten Fahrer dieses Angebot wohl gerne an. Wird es dagegen zur Regel, hat die Freundlichkeit ihre Tücken. Grundsätzlich gilt: Der Transportunternehmer ist für die Tourenplanung verantwortlich, im Rahmen seiner Organisationspflicht muss er regelmäßig kontrollieren, ob seine Fahrer den Tacho tatsächlich korrekt bedienen, also beispielsweise das Beladen des Lkw als "Arbeit" aufzeichnen. Dafür sind dieFahrer laut der VO (EG) 3821/85 verantwortlich.

Die nicht ordnungsgemäße Bedienung des Kontrollgeräts können die Behörden mit einem Bußgeld ahnden. Bedienen die Fahrer den Tacho wiederholt falsch, müssen Arbeitgeber sie schulen und sogar entsprechend abmahnen, um sich selber bei einer Betriebskontrolle den Rücken freizuhalten. Das regelt unter anderen Paragraf 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG). Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf hat 2007 in diesem Sinne entschieden. So weit die Theorie.

Viele Chefs reizen die Lenkzeiten bis zum Äußersten aus

In der Praxis sieht es natürlich ganz anders aus – nur die wenigsten Unternehmen ermahnen ihre Fahrer, wenn sie beim Beladen "Pause" aufzeichnen, zumal die meisten Tachos bei "Zündung Aus" auf Ruhezeit vorprogrammiert sind. Bei maximal zehn Stunden am Tag, die ein Fahrer lenken und arbeiten darf, hat nur der Unternehmer einen Vorteil, wenn die Arbeit nicht dokumentiert wird – die Fahrer haben nach wie vor Schichtzeiten von 13 bis 15 Stunden, und das überwiegend zum Pauschallohn. "Es ist Fakt, dass im innerdeutschen Fernverkehr die jährliche Kilometerleistung eines Fahrers, der sich exakt an die Regeln hält, etwa 130.000 Kilometer beträgt. Wer deutlich darüber liegt, geht an die Grenze zur Legalität."

Das sagt der Aachener Betriebskontrolleur Fred Dremel. Umso mehr neigen Chefs dazu, die Lenkzeiten bis zum Äußersten auszureizen. Auch zum Wochenende hin rollt der Lkw bis zur letzten Minute in Richtung Kunde, egal wo der Speditionshof liegt oder etwa der Fahrer wohnt. Der kann dann ja mit dem Mietwagen noch stundenlang nach Hause fahren. Hier hat die EU-Kommission aber eindeutig festgelegt, dass solche An- oder Abreisen zwischen Wohnort und irgendwo außerhalb des Betriebshofs abgestelltem Lkw als "andere Arbeit" vom Fahrer im Tacho nachzutragen sind. Das gilt sogar für eine Bahnfahrt, es sei denn, dem Fahrer steht eine Schlafmöglichkeit zur Verfügung – wie bei der Rollenden Landstraße, für die diese Ausnahme geschaffen wurde. Ein Unternehmen, das diese Grauzone bis zur Schmerzgrenze ausreizt, ist Max Logistik aus Senden.

Bei Max Logistik sind unbezahlte Wochenenden üblich

Nach Veröffentlichung des Berichts "Maximale Wahrheit" haben sich betroffene Fahrer in der Redaktion gemeldet. Einer von ihnen ist Siegfried Grützkau, 47, aus Burg. Mit seinem in den 80er-Jahren erworbenen alten "Dreier" durfte er jenedenen Max Logistik mautfrei leichte Güter transportiert. Für einen pauschalen Lohn von 1.200 Euro brutto plus jederzeit widerrufliche freiwillige Leistungsprämien von bis zu 500 Euro fuhr er ab 2008 durch Deutschland, nach Frankreich und in die Schweiz. Im Juni 2011 erhielt er eine Anlage zum Arbeitsvertrag, mit der die Wochenendregelung neu festgelegt wurde. "Zwei Wochenenden mussten wir draußen bleiben, natürlich unbezahlt, die beiden anderen Wochenenden sollten wir garantiert nach Hause kommen."

Das Dokument, bei dem Grützkau vor Unterschrift zwei Stellen durchgestrichen hatte, ist ein Beleg, wie Max gerade Fahrer aus dem strukturschwachen Osten, die auf den Billigjob angewiesen sind, ausnutzt. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das sogenannte "Heimwochenende" als Trugschluss. Die EU-Verordnung sieht eindeutig vor, dass Fahrer bei der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit über ihre Zeit frei verfügen können. Bei Max Logistik können sie einen Teil davon in der Bahn verbringen oder sich dort, wo der Lkw stehen bleibt, ein Hotel nehmen oder sich auf Firmenkosten einen Pkw mieten. "Aber nur, um damit vor Ort einzukaufen. Wenn wir damit doch nach Hause gefahren sind, mussten wir unterschreiben, dass dies unsere Privatsache sei und nicht mehr zu unserer Arbeitszeit hinzugerechnet werden kann. Das habe ich nicht gemacht", erzählt Grützkau. Denn das ist natürlich Quatsch.

Bisher haben 80 Fahrer eine Klage gegen Max Logistik eingereicht

Arbeitsrechtler halten diese Anlage schlicht für unzulässig. Doch wenn Fahrer wie Grützkau schlicht aus Angst um den Job das "Spiel" mitmachen und die Anreisen von bis zu acht Stunden von Burg bis Freiburg nicht im Tacho nachtragen, bleibt auch die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden "offiziell" erhalten – faktisch wird sie um die Zeit der An- und Abfahrt reduziert. So hat natürlich auch das zuständige Amt für Arbeitsschutz der Bezirksregierung Münster, das Grützkau mehrfach kontaktierte, kaum einen Ansatzpunkt bei einer normalen Betriebskontrolle. Erst nachdem sich weitere Fahrer beschwerten, wurde jetzt Ende des Jahres eine Tiefenkontrolle eingeleitet, bei der auch nach gezielten Hinweisen die Standorte einiger der etwa 300 Lkw und die Frachtbriefe ausgewertet werden.

Jürgen Steinmaus, Geschäftsführer von Max Logistik, wollte sich auf Fragen dazu nicht äußern, auch nicht, ob die Behauptungen stimmen, dass es bereits tödliche Lkw- Unfälle gegeben habe, weil Fahrer nach stundenlanger Anreise mit dem Pkw ihre normalen Schichtzeiten ableisten mussten. Rein rechtlich müsste die Anfahrt von der darauffolgenden Lenkzeit abgezogen werden. Aber eben nur, wenn der Fahrer diese "Arbeit" auch dokumentiert. Sonst macht er sich mitschuldig – auch bei einem Unfall.Fahrer Grützkau wurde Mitte 2011 gekündigt. Er vermutet als wahren Grund das Naheliegende: weil er sich über die Vorgehensweise beschwert hat und auch mehr Lohn fürs Wochenende haben wollte. Über die Autobahnkanzlei Uhrsleben hat er nun Kontakt zu einem Fachanwalt für Arbeitsrecht aufgenommen. Offensichtlich ist Grützkau aber kein Einzelfall: Wie das Arbeitsgericht Bocholt auf Anfrage mitteilt, haben zwischen 2009 und 2011 über 80 Fahrer eine Klage gegen Max Logistik eingereicht. Für ein seriöses Unternehmen ist das eine viel zu hohe Quote.

Gesetzestext

Auszug aus der EU (VO) 561/2006, Artikel 9 (2)


(2)Die von einem Fahrer verbrachte Zeit, um zu einem in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallenden Fahrzeug, das sich nicht am Wohnsitz des Fahrers oder der Betriebstätte des Arbeitgebers, dem der Fahrer normalerweise zugeordnet ist, befindet, anzureisen oder von diesem zurückzureisen, ist nur dann als Ruhepause oder Fahrtunterbrechung anzusehen, wenn sich der Fahrer in einem Zug oder auf einem Fährschiff befi ndet und Zugang zu einer Koje oder einem Liegewagen hat.


(3) Die von einem Fahrer verbrachte Zeit, um mit einem nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallenden Fahrzeug zu einem in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallenden Fahrzeug, das sich nicht am Wohnsitz des Fahrers oder der Betriebsstätte des Arbeitgebers, dem der Fahrer normalerweise zugeordnet ist, befi ndet, anzureisen oder von diesem zurückzureisen, ist als andere Arbeiten anzusehen.

Rechtslage
Die Wochenendruhefalle

Es gibt Arbeitgeber, die ihren Fahrern im Arbeitsvertrag ein regelmäßiges freies Wochenende zu Hause zusichern. Entweder darf der Fahrer mit dem Lkw nach Hause fahren oder er stellt ihn an einem Autohof ab und erhält über den Arbeitgeber einen Leihwagen. Das klingt zunächst gut, führt aber in der Praxis oft dazu, dass bei der regelmäßigen Wochenendruhe „getrickst“ wird. Oftmals wissen es die Fahrer nicht einmal: In der Regel ist eine wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden einzuhalten. Fahrten zwischen der Wohnung des Fahrers und der Betriebsstätte des Arbeitgebers, also dort wo der Lkw normalerweise steht, beeinträchtigen die Ruhezeit laut EU-Verordnung nicht. Steht der Lkw woanders, muss jede An- und Abreise manuell als Arbeitszeit im Kontrollgerät nachgetragen werden.
Viele Fahrer tun dies nicht, da sonst die Wochenendruhezeit nicht eingehalten werden könnte. Fällt dieses Verhalten aber bei einer Betriebsprüfung auf, drohen dem Fahrer empfi ndliche Geldbußen. Wer sich korrekt verhalten möchte, muss bei entsprechender Regelung im Arbeitsvertrag den Arbeitgeber beim Wort nehmen! Dieser muss so disponieren, dass die Wochenendruhezeit inklusive An- und Abreise zwischen Wohnort und Lkw eingehalten werden kann. Ermöglicht er dies nicht, bleibt dem Fahrer nichts anderes übrig, als die Zeiten für An- und Abreise nachzutragen und die Wochenruhezeit mit mindestens 45 Stunden einzuhalten. Der Arbeitgeber sollte schriftlich auf den Missstand hingewiesen werden. Eine Kündigung des Arbeitgebers wegen dieser Verhaltensweise des Fahrers ist unwirksam und kann vor dem Arbeitsgericht angefochten werden.

Kontakt: Matthias Pfitzenmaier, Moltkestraße 40, 74072 Heilbronn, Tel.: 0 71 31/60 99 25, Fax: 0 71 31/60 99 60, E-Mail: anwalt@haus-des-rechts.de. Die telefonische Erstauskunft ist kostenlos.

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