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Kombiconsult-Chef Rainer Mertel System mit eigenen Spielregeln

Kombiconsult, Kombiverkehr Foto: Kombiverkehr

Kombiconsult-Chef Rainer Mertel macht sich für den Abbau von Hemmnissen im Kombinierten Verkehr stark

trans aktuell: Herr Mertel, Sie haben im Auftrag der EU-Kommission eine umfangreiche Analyse des Kombinierten Verkehrs (KV) erstellt. Inwiefern hat die Behörde schon auf die Studie reagiert?

Mertel: Das zuständige Referat beschäftigt sich sehr intensiv mit der Studie und erarbeitet derzeit Empfehlungen an die zuständigen Dienststellen. Wie man hört, ist geplant, diese Empfehlungen im vierten Quartal auszusprechen.
Warum hat die EU-Kommission die Studie nicht medienwirksam vorstellen wollen, nachdem Sie sich auf 625 Seiten so viel Mühe gemacht haben?
Es gibt dazu die Aussage, dass  man nicht jede Studie mit einer Pressemitteilung veröffentlicht. Gewundert haben wir uns schon.

Lässt das darauf schließen, dass der KV bei Kommissarin Bulc nicht die nötige Bedeutung hat?

Diesen Rückschluss darf man auf keinen Fall ziehen. Frau Bulc hat deutlich gemacht, dass für sie die bessere Vernetzung der Verkehrsträger durch KV-Dienste ein fundamentales Ziel ist. In ihrem Heimatland Slowenien hat der KV einen sehr hohen Anteil: Mehr als 50 Prozent des Container-Hinterlandverkehrs des Hafens Koper läuft auf der Schiene.


Welchen Zweck verfolgt die Kommission mit der Studie?

Zum einen will die Kommission die Ergebnisse für den Review des Weißbuchs Verkehr und zur Entwicklung einer Logsitikstrategie nutzen. Dazu hat sie insgesamt vier Studien in Auftrag gegeben. Zum anderen erhofft sich die Kommission von uns Input, weil sie gemäß Richtlinie 92/106 EWG alle zwei Jahre einen Bericht zum KV erstellen muss. Zu guter Letzt will die Behörde prüfen lassen, inwieweit die EU-Staaten diese Richtlinie bisher umgesetzt haben, ob es sie überhaupt noch braucht oder ob sie im Zuge der Entbürokratisierungsoffensive Refit gestrichen werden kann.

Was sagen Sie?

Unsere klare Empfehlung lautet: Wir brauchen die Richtlinie, schafft sie bloß nicht ab! Eine Revision kann nach mehr als 20 Jahren aber nicht schaden.

Warum braucht die Branche die Richtlinie so dringend?

Weil KV kein Straßen-, Eisenbahn- oder Binnenschiffsgüterverkehr ist, sondern ein eigenes logistisches System darstellt und eine eigene Definition braucht. Diese Notwendigkeit hatte die Kommission 1992 selbst erkannt, als sie die Richtlinie 92/106 EWG verabschiedet hatte. Diese Definition wieder aufzugeben wäre ein fatales Zeichen für die gesamte Branche und für Firmen, die ihre Verkehre vom Lkw auf den KV umstellen wollen.

Inwiefern?

Es ist wichtig, dass die EU für alle Mitgliedstaaten einen Rechtsrahmen schafft und klarstellt, dass es sich beim KV um ein eigenständiges Verkehrssystem handelt. Genau das ist es: Die Anbieter und Nutzer von KV-Diensten nehmen sich die Systemvorteile der Verkehrsträger Straße, Schiff oder Schiene und verknüpfen sie auf eine besondere Art. Damit entstehen im KV Schiene–Straße spezifische Nutzen, die der Wagenladungsverkehr nicht hat. Durch die Nutzung von Ladeeinheiten kann ich praktisch jedes Gut befördern, erreiche paarige Verkehre und erziele durch diese Kombination mehr Umläufe für mein Equipment. Dafür brauchen wir eine klare Definition des KV zur Abgrenzung von anderen Systemen.

Es wird Ihnen bei der Richtlinie aber nicht nur um die Definition gehen, oder?

Nein, aber diese Definition ist wichtig, weil daraus auch ein ­eigener Rechtsrahmen geschaffen wurde – ähnlich wie für die Straße, Schiene oder Wasserstraße.
Beispiele sind die zulässigen Gesamtgewichte von 44 Tonnen, die Befreiung von der Kfz-Steuer oder vom Wochenendfahrverbot. In der Folge haben wir auch eine ­eigenständige Statistik. Sie ist nötig, um die Leistung und Bedeutung des KV richtig zu bewerten und um die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen.

Konnten Sie unabhängig agieren oder haben Sie Ihre Empfehlungen mit den entsprechenden Verbänden abgesprochen?

Wir haben uns von niemanden beeinflussen lassen. Es gab im Juli 2014 eine Präsentation der Zwischenergebnisse in Brüssel. Wir hatten uns bei manchen Punkten auf Diskussionen eingestellt. Doch es war verblüffend, wie groß der Konsens unter den Verbänden war. Einigkeit bestand darin, dass wir die Richtlinie beibehalten und modernisieren müssen. Übereinstimmung gab es auch in der Frage der KV-Förderung. Sie sollte in den Terminalbau fließen: Dies schafft eine langlebige und für alle nutzbare Infrastruktur. Betriebssubventionen führen dagegen meist zu Wettbewerbsverzerrungen.

In der Studie vergleichen Sie den europäischen Markt mit den USA, wo der KV viel stärker ausgeprägt ist. Warum ist das so?

Die USA sind uns beispielsweise bei der Effizienz der Infrastruktur deutlich überlegen. Sie können mit Doppelstock-Beförderungen zwei Container übereinander transportieren. Möglich macht es ein stabilerer Gleisunterbau, der Achslasten von 32,5 statt wie bei uns von 22,5 Tonnen erlaubt. Die Züge sind auch deutlich länger, bis zu drei Kilometer. Diese Möglichkeiten haben wir in Europa nicht.

Die USA gelten bei der Infrastruktur aber nicht gerade als Musterknaben. Man hört immer wieder von maroden Brücken.

Das gilt nicht für die Interstate-Straßen und vor allem nicht für die privaten Güterbahnen. Die USA haben durch ein gigantisches In­frastrukturprogramm aufgeholt. Es wurden nicht Hochgeschwindigkeitsstrecken für den Personenverkehr, sondern leistungsfähige Achsen für den Güterverkehr geschaffen. Eine führt von Chicago nach Los Angeles und verbindet die beiden aufkommensstärksten KV-Standorte. Etwas neidisch kann man auch auf die Abläufe an den Terminals sein, die fast preußisch organisiert sind: OCR- und RFID-Erkennung, Self Check-in und vernetzte Auftragsbearbeitungs- und Abrechnungssysteme sind dort die Regel. In Deutschland können wir davon nur träumen.

So schlimm?

Was Layout, Ausstattung und Leistungsfähigkeit angeht, sind die deutschen Terminals top, aber beim Einsatz leistungsfähiger IT besteht großer Nachholbedarf. Es ist Eisenbahnen, Netzen und Operateuren einfach noch nicht gelungen, einheitlich, schnell und ohne manuelle Schnittstellen zu kommunizieren. Ich kann mir vorstellen, dass das Bundesverkehrsministerium, das die digitale Infrastruktur auf seine Fahnen geschrieben hat, einen Stups geben und einen Verbesserungsprozess anstoßen könnte.

Bei den Terminalabläufen sehen Sie trotzdem nicht den größten Handlungsbedarf. Was steht auf Ihrer Empfehlungsliste in der Studie an oberster Stelle?

Am wichtigsten ist es, die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit auf der Schiene zu steigern. Es gibt Länder, die bei den nationalen Verkehren schon mit einer sehr hohen Qualität aufwarten. In Großbri­tannien liegt die Quote bei über
95 Prozent. Da müssen wir hin.

Wo kann man ansetzen, um hier Fortschritte zu erzielen?

Das hat sicherlich mit den vielen Baustellen auf dem Netz zu tun. Man darf aber nicht den Fehler machen und alles auf die Ausbaumaßnahmen schieben. Vieles liegt an einer ungenügenden Betriebsorganisation bei den Eisenbahnen. Manchmal tragen aber auch die Operateure zur Unpünktlichkeit bei, wenn sie verlangen, dass kurz vor Abfahrt unbedingt noch ein Container mit muss. Das führt immer zu Verspätungen. Oft sind es jedoch weniger diese Mängel als vielmehr die vielen kleinen Faktoren, die Probleme bereiten.




ZUR PERSON

Rainer Mertel
Seit der Gründung im Dezember 2000 Geschäftsführer von Kombiconsult.
Nach Volkswirtschafts-Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Studiengesellschaft für den Kombinierten Verkehr. Danach ab 1988 beim Kombi-Operateur Kombiverkehr tätig, Arbeit in verschiedenen Ressort.

Hier kommen Sie zur Studie.

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