Knorr-Bremse Wintererprobung in Arjeplog

Wintererprobung in Arjeplog Foto: Markus Braun 16 Bilder

Das Thermometer zeigt minus 15 Grad Celsius an. So weit der Blick reicht, liegt die Landschaft unter einer dichten Schneedecke. Kurz vor Mittag wurde es dämmrig hell. Jetzt – zwei Stunden später – kriecht schon wieder die Dunkelheit heran. Ein leises Grollen ist zu hören.

Sechs gleißende Lichter leuchten auf einem Hügel in etwa 300 Meter Entfernung. Sie nähern sich und mit ihnen das Rumoren. Hinter den Scheinwerfern sind die Umrisse eines Sattelzugs zu erkennen. Noch 200 Meter. Das Fahrzeug zieht eine riesige Schneewolke hinter sich her. Noch 100 Meter. Mit gut 70 Kilometern pro Stunde rauscht der Sattelzug den Hang hinab in eine Ebene, die an dieser Stelle an die Landebahn eines Flughafens erinnert.

In der Mitte ist ein Streifen geteert, etwa in der Breite der Zugmaschine. Rechts und links davon schließen Eisbahnen an. Auf dem Auflieger steht in großen blauen Buchstaben der Name Knorr-Bremse. Mit lautem Getöse schießt der Sattelzug auf die Landebahn. Plötzlich leuchten die Bremslichter auf, nach wenigen Metern kommt der Zug abrupt zum Stehen. Die Schneewolke im Schlepptau überholt das Fahrzeug und hüllt es in Weiß.

Erprobungsfahrten mit Prototypen

In der Kabine des MAN TGA sitzt Thomas Rudolph und blickt konzentriert auf einen Bildschirm. Über eine Tastatur gibt er einige Werte ein. "Jede Fahrt muss genau beschrieben werden", erklärt Rudolph. "Ich suche nach Fehlern und wenn ich einen finde, dann muss klar sein, unter welchen Bedingungen der entstanden ist." Der junge Mann ist technischer Sachbearbeiter bei Knorr-Bremse. Erprobungsfahrten mit Prototypen im schwedischen Arjeplog gehören zu seinen täglichen Aufgaben: pro Saison drei bis vier Mal je drei Wochen lang.

Gerade arbeiten Rudolph und die meisten seiner Kollegen an einer neuen Generation des elektronischen Bremssystems (EBS) für Trailer. 13 Kollegen sind mit ihm in Arjeplog – Techniker, Softwareentwickler und Versuchsingenieure. Sie finden für die Erprobung der Technik im Winter die besten Bedingungen: viel Schnee, Eiseskälte und Quadratkilometer an zugefrorenen Seen, welche die Tester, entsprechende Minusgrade vorausgesetzt, mit ihren Lkw befahren können. Knorr-Bremse unterhält ein eigenes Gelände mit Bürogebäuden, Werkstatt und präparierter Erprobungsstrecke. Eine ideale Umgebung für die Arbeit am EBS.

Die derzeit für die Arbeit benötigten Versuchsträger, zwei Sattelzugmaschinen von MAN und Volvo jeweils mit Trailer, baut Knorr-Bremse am Hauptsitz in München auf. Mit der neuen Technik und zahlreichen Messinstrumenten ausgestattet, fahren die Lkw nach Nordschweden. "Wir nutzen die Kilometer nach Arjeplog als Dauerlaufstrecke", erklärt Rudolph. Das gilt für alle Fahrzeuge, welche die Reise antreten. Im November fuhr Rudolph eine MAN TGX-Zugmaschine mit Tieflader und zwei Traktoren nach Schweden. Eine gute Gelegenheit, um am Lkw jede Menge aktueller EBS-Messdaten zu erheben.

Knorr-Bremse in Schweden

Am Zielort werten Soft- und Hardwareentwickler die erhobenen Daten aus. "Wir suchen nach Fehlern", sagt der Versuchsingenieur Uwe Kaiser. Deswegen kommen die Mitarbeiter von Knorr-Bremse auch nach Schweden. Hier können sie unterschiedliche Brems-Situationen simulieren. Taucht ein Fehler auf, beheben sie ihn und testen erneut – bis zur Serienreife des Systems. Ein hoher Aufwand.

"Für die Entwicklung einer neuen EBS-Generation haben wir etwa zwei Jahre Zeit", sagt Labortechniker Martin Kandler. Er ist in Arjeplog für Arbeiten an der Hardware zuständig. Von null anfangen müssen die Entwickler nicht mit ihrer Arbeit, erklärt Kandler. Grundlage ist meist der letzte Serienstand. Für eine komplette Neuentwicklung würden zwei Jahre auch nicht ausreichen, sagt Kandler. Die Witterung in Nordschweden erlaubt pro Jahr für etwa vier Monate Arbeiten unter den benötigten Bedingungen.

"Wenn wir nicht in Arjeplog erproben können, gehen wir nach Boxberg", sagt Techniker Rudolph. Dort ersetzen Folie und Wasser Schnee und Eis. Denn für Bremsversuche benötigen die Entwickler unterschiedlich beschaffene Oberflächen. Asphalt, geschlossene Schneedecke und blankes Eis sind die Anforderungen für Testfahrten. In Boxberg bedeutet das: Asphalt, nasser Asphalt und nasse Folie. Die Reibwerte der Oberflächen sind vergleichbar. Wichtig ist, dass die verschiedenen Flächen in Boxberg aneinandergrenzen wie es auch in Arjeplog der Fall ist. Denn so können die Entwickler auch Bremsverhalten testen, wenn sich die Räder auf  unterschiedlich gut haftenden Flächen befinden. "Wir simulieren alltägliche Situationen", sagt Versuchsingenieur Kaiser. Es sei nichts Ungewöhnliches, dass ein Lkw nur unter einem Teil seiner Räder Eis hat und sonst auf Asphalt fährt. Genau diese Situationen gelte es zu erproben, erklärt Kaiser.

Tests nach Vorgabe

Techniker Rudolph kennt diese Fahrten gut. Seit sieben Jahren kommt er nach Arjeplog und nimmt an der Wintererprobung Teil. Auf der Teststrecke hat er unzählige Runden absolviert. Meistens ist er drei Wochen am Stück in Schweden und arbeitet dann sieben Tage die Woche. Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gibt es wenige. Die beiden Sehenswürdigkeiten in der Gegend hat Rudolph im ersten Jahr bereits besucht: ein Museum sowie das Blechschild in 60 Kilometer Entfernung, das den Polarkreis markiert.

Knorr-Bremse überlässt es jedem Mitarbeiter, ob er sonntags arbeiten will. An Wochenenden macht deshalb kaum einer frei. Auch Rudolph hat dieses Angebot in den letzten sieben Jahren nie wahrgenommen. Zu Hause würde er den Sonntag mit seiner Familie verbringen oder seinen Hobbys nachgehen. Hier in Arjeplog fehlen dazu die Möglichkeiten. Deshalb wird er auch diesen Sonntag wie immer in der Werkstatt arbeiten oder einige Runden auf der Teststrecke drehen, Tests nach Vorgabe fahren – und seinen TGA schließlich wieder punktgenau in der geteerten Ebene landen.

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