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Karlheinz Schmidt im Gespräch "Kein Kompromiss möglich"

Interview Prof. Karl-Heinz Schmidt Foto: Thomas Küppers

BGL-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Karlheinz Schmidt über die Auswirkungen des Mindestlohns und die unterschiedliche Sichtweise der Verbände.

trans aktuell: Herr Prof. Schmidt, der Flüchtlingsstrom nach Deutschland hat Auswirkungen auf die Mindestlohnkontrolle. Zum Oktober sind 160 weitere Zollbeamte zum Bundesamt für Migration gewechselt. Begrüßen oder bedauern Sie das?

Prof. Schmidt: Fest steht, dass sich dieser Wechsel nicht positiv auf die Kontrollsituation auswirkt. Es ist zu befürchten, dass die ohnehin geringe Kontrollzahl noch weiter sinkt – und damit auch die Hemmschwelle für gebietsfremde Unternehmen, sich überhaupt mit dem Mindestlohn in Deutschland zu beschäftigen. Doch aufgepasst: Eine aufgeschobene Kontrolle ist keine aufgehobene Kontrolle.

Soll heißen?

Dass die Kontrolleure zu einem späteren Zeitpunkt kommen und umso intensiver kontrollieren werden. Man kann davon ausgehen, dass sie den zu überprüfenden Zeitraum dann entsprechend ausweiten werden. Aus einer Ordnungswidrigkeit wird dann schnell eine strafrechtlich relevante Angelegenheit, wenn die Kontrolleure etwa das Hinterziehen von Steuern und Sozialabgaben vermuten. Von Entwarnung kann also keine Rede sein. Doch es ist auch nicht so, dass es bisher keine Kontrollen gibt.

Überprüft der Zoll auch die ausländischen Unternehmen, in Form von Unterwegskontrollen, in ausreichendem Maß?

Wir wollen es hoffen. Gerade die Kontrollen für Gebietsfremde müssen zunehmen. Sie haben ganze Fuhrparks in Deutschland stationiert, die so gut wie gar nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren. Man trifft diese Flotten an den Binnenhäfen oder Kombiterminals wie Mannheim, Worms oder Frankfurt/Oder an. Die Fahrer verbringen die Wochenenden in den Kabinen und missachten die 183-Tage-Regelung. Sobald sie mehr als die Hälfte aller Arbeitstage in Deutschland anwesend sind, sind sie hier voll steuer- und sozialversicherungspflichtig. Diese Fuhrparks, die vom Ausland angemeldet und von Deutschland aus disponiert werden, betreiben also in großem Stil Schwarzarbeit.

Das dürfte sich aber nicht überprüfen lassen, oder?

Das erklärt unsere Forderung nach einem vernünftigen Meldesystem in Zusammenhang mit dem Mindestlohn. Es genügt nicht, dass gebietsfremde Unternehmen für ein halbes Jahr im Voraus unverbindlich einen Einsatzplan liefern müssen. Wir wissen von einer Spedition aus Frankreich, die 150 Fahrzeuge nach Deutschland einsetzt, aber nur einen Lkw und einen Fahrer gemeldet hat. Ihrer Meldepflicht ist sie so nachgekommen. Kommen weitere Lkw hinzu, muss sie sie nicht nachmelden.

Wie soll ein solches Meldesystem aussehen?

Unser Plädoyer lautet: Wenn man den Mindestlohn in Deutschland will, braucht man ein internetgestütztes System, über das der ausländische Unternehmer bei grenzüberschreitenden Fahrten nach Deutschland jedes Fahrzeug und jeden Fahrer melden muss. Bei der Maut funktioniert das doch auch. Über dieses System ließe sich genau feststellen, welche Fahrer wann und wie viele Tage in Deutschland waren. Die ausländischen Flottenbetreiber, die dauerhaft an den hiesigen Terminals stationiert sind, wären schnell überführt und hätten  entsprechende Verfahren am Hals.

Warum haben die Behörden ein solches Tool denn noch nicht geschaffen, wo es Transparenz schaffen könnte und technisch wohl kein Hexenwerk wäre?

Der Verordnungsgeber und die Verwaltung waren bisher nicht in der Lage, die Meldepflicht im grenzüberschreitenden Verkehr dahingehend umzusetzen. Seit mehr als einem Jahr machen wir Druck und fordern ein adäquates Meldesystem. Weder die Preise noch die Löhne sind im grenzüberschreitenden Verkehr bisher gestiegen, was zeigt, dass die Mindestlohngesetzgebung an dieser Stelle ein Papiertiger geblieben ist. Wir rechnen mit 70.000 bis 150.000 Fahrten, die täglich in Deutschland gemeldet werden müssten. Das Faxgerät der Finanzkontrolle in Köln wäre längst durchgeglüht, wenn jemand das ernst nähme.

Bei diesem Punkt herrscht im Gewerbe doch Einigkeit, dass es beim bisherigen Meldeverfahren nicht bleiben kann.

Nein, das ist gerade das Problem, das wir mit dem DSLV haben. Er verlangt von der Politik: Entweder ihr schafft im grenzüberschreitenden Verkehr den Mindestlohn ab oder die Auftraggeberhaftung entfällt. Da liegen wir vollständig auseinander. Der BGL sagt: Ohne eine Einbeziehung der grenzüberschreitenden Verkehre in das Mindestlohnsystem ergibt sich eine weitere Wettbewerbsverzerrung zulasten der mittelständischen deutschen Firmen. Mit diesen konträren Positionen blockieren wir uns politisch. Das ist leider Fakt.

Woran machen Sie das fest?

Es gab eine Anhörung im Arbeitsministerium. Der BGL hat beim grenzüberschreitenden Verkehr den Vorschlag gemacht, dass jeder für den unmittelbar nächsten in der Logistikkette haftet, also auch für Ordnungswidrigkeiten durch das von ihm beauftragte Unternehmen geradestehen muss. Die Bürgenhaftung wird politisch nicht komplett zu kassieren sein, denn ohne Bürgenhaftung gibt es auch keine Disziplin im Markt, den Mindestlohn umzusetzen. Daraufhin kam der DSLV mit seinem "Entweder-Oder". Die Folge ist, dass die Hausleitung im Arbeitsministerium danach handelt: Dann ändern wir lieber gar nichts. Da der DSLV in seinen Forderungen maßlos auftritt, hat es die Politik leicht, sich auch kaum mit den gemäßigteren Forderungen des BGL zu beschäftigen. Der DSLV hat dem gesamten Gewerbe damit einen Bärendienst erwiesen.

Lässt sich wirklich kein Kompromiss finden?

Es ist kein Kompromiss möglich. Wir konnten uns nach unserem vergangenen Verbändetreffen nicht mal auf eine Pressemitteilung einigen. Ich hatte vorgeschlagen, einmal keine Friede-Freude-Eierkuchen-Pressemitteilung zu verfassen, die eh keiner aufgreift, sondern mal eine etwas andere, welche die Differenzen der Verbände deutlich macht. Für Spediteure im DSLV sind niedrige Preise das Schlaraffenland, für den BGL nicht. Für Unternehmer mit Fuhrparks in Deutschland ist das kein Geschäftsmodell. Der DSLV sollte zu seiner Position stehen. Dann kann sich ein Unternehmer leichter dazu bekennen, ob er Fisch oder Fleisch ist.

Wie meinen Sie das?

Ist er ein Auftraggeber, der nur Frachten vermitteln will und auf niedrige Preise abzielt? Dann ist er beim DSLV gut aufgehoben. Oder hat er starke Fuhrparkinteressen in Deutschland? Dann ist er bei uns richtig. Diesen Unterschied sollte man herausstellen. Eine Festlegung auf eine Seite ist doch kein Makel. Wenn sich jemand dem Islam zugehörig fühlt, ist das in Ordnung, genauso, wie wenn er katholisch ist. Zwanghaft einen Kompromiss finden zu wollen funktioniert auch bei der Religionszugehörigkeit nicht. Vielleicht macht man sogar aus einem Moslem eher einen Katholiken. Denn was der DSLV fordert, ist nicht im Interesse der deutschen Transportunternehmen und Kraftwagenspeditionen.

Als Argument gegen den Mindestlohn  auf grenzüberschreitenden Fahrten führen Spediteure ins Feld, dass ein polnischer Fahrer sein privates Umfeld in Polen und damit niedrigere Lebenshaltungskosten hat. Ist dieses Argument nicht stichhaltig?

In Deutschland gilt ein Mindestlohn. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass den jeder bekommt, der in Deutschland arbeitet,  egal, ob er schwarz, grün oder blau gefärbt, ob er dick oder dünn ist. Warum soll der polnische Fahrer ihn also nicht bekommen? Man kann doch nicht sagen: Er braucht das Geld nicht, weil er Pole ist. Der polnische Fahrer wird durch die 8,50 Euro doch nicht reich, kann sich aber vielleicht eines Tages mal eine Wohnung leisten. Er nimmt doch auch vieles auf sich und die Erschwernisse sind mit 8,50 Euro dann auch nicht so toll bezahlt.

Ein weiteres Argument gegen die BGL-Position ist, dass die Marktbereinigung im grenzüberschreitenden Verkehr quasi abgeschlossen ist, was der geringe Anteil der deutschen Betriebe zeigt. Der Mindestlohn wird das Rad nicht zurückdrehen, oder?

Das ist aber keine Marktbereinigung, die auf natürlichen Grundlagen beruht. Wenn Sie sterben müssen, weil Sie alt sind, ist das eine normale Reaktion. Wenn Sie aber sterben müssen, weil Sie jemand erschossen hat, ist das keine normale Reaktion. Die Arbeitsteilung im grenzüberschreitenden Verkehr wäre eine andere, wenn wir faire Wettbewerbsbedingungen hätten. Ich kann nicht sagen: Nur weil die Wettbewerbsbedingungen unfair sind, lassen wir sie, wie sie sind. Ich würde mir wünschen, dass die Verladerseite, zu der auch die Spediteure gehören, sagt: Wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen. Dann hätten auch deutsche Firmen wieder höhere Marktanteile.


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