Interview mit Håkan Agnevall Volvos Stufenplan zur Elektromobilität

Volvo Bus-Chef Håkan Agnevall auf der IAA Nutzfahrzeuge im Plug-in-Hybrid. Foto: Thorsten Wagner

Volvo Bus nimmt aktuelle Entwicklungen auf, um in Sachen Elektromobilität auch zukünftig vorne mit dabei zu sein. Chef Håkan Agnevall setzt auf offene Systeme.

Was ist die Besonderheit des Busgeschäfts bei Volvo in Ihren Augen?

Agnevall: Die längste Zeit meiner Karriere habe ich beim Energieanlagenbauer ABB im Bereich Energieversorgungssysteme und in der Roboterautomatisierung verbracht. Bevor ich zu Volvo kam, beschäftigte ich mich bei Bombardier mit Zügen. Daher ist die aktuelle Entwicklung der Elektromobilität in der Busindustrie sehr interessant für mich, zumal ich hier intensiv auf meine bisherigen Erfahrungen zurückgreifen kann.

Warum ist es kein Zufall, dass Volvo Buses heute so weit vorangeschritten ist beim Thema Elektromobilität?

Agnevall: Wir sehen uns hier in einer Vorreiterposition unter den großen Herstellern. Der Vorteil von Volvo als Big Player besteht in einem kommerziell ausgereiften Fahrzeug-Konzept, das robust, zuverlässig und vor allem bereits lieferbar ist! Nehmen Sie zum Beispiel die Aufladung über Nacht, die von anderen Herstellern propagiert wird. Wir denken, Busse müssen ständig laufen. Somit steht schlichtweg keine Zeit zur Verfügung, um sie jede Nacht rund sechs Stunden lang aufzuladen.

Ist die auf der IAA gezeigte Schnellladetechnik mittels Pantograf demnach Ihre bevorzugte Lösung für die Zukunft?

Agnevall: Unsere Elektromobilitätsstrategie besteht grundlegend aus drei Säulen. Sie basiert zunächst auf drei Antriebssystemen: Den Diesel-Hybridbussen, den Elektro-Hybridbussen mit Plug-in-Technologie und den vollelektrischen Fahrzeugen, die wir im Juni 2015 erstmals in Göteborg vorstellen und im Rahmen des ElectriCity-Projekts einsetzen werden. Eine entscheidende strategische Rolle spielt aber auch unsere Fähigkeit, ein Komplettsystem – bestehend aus Bussen und konduktiver Ladeinfrastruktur – gemeinsam mit unseren weltweit agierenden Partnern Siemens und ABB anbieten zu können. Des Weiteren gründet sich unsere Strategie auf offene Interface-Schnittstellen für die Ladeinfrastruktur, mit der die Nutzung ein und derselben Infrastruktur auch für andere Busmarken ermöglicht wird. Damit soll es den Städten erleichtert werden, die neue Technologie einzuführen.

In den nächsten drei bis fünf Jahren werden wir also hinsichtlich unseres Produktportfolios – bestehend aus Diesel-Hybrid, Elektro-Hybrid und vollelektrischen Busantriebssystemen – eine Kombination dieser drei Technologien sehen. Wir glauben nicht daran, dass die Busbetreiber direkt vom Dieselbus auf den vollelektrischen Bus umsteigen werden – und das aus zwei Gründen: erstens wegen der Kosten für die Batterien, die immer noch sehr hoch sind. Der zweite Grund ist die Flexibilität, die der Elektro-Hybridbus bietet; er benötigt nämlich nicht durchgängig die komplette Infrastruktur, sondern kann vom Betreiber auch ergänzend auf Strecken mit fehlender Ladeinfrastruktur als normaler Hybridbus betrieben werden, z.B. auf dem Land und in Vorort-Zubringerverkehren. In Innenstädten werden wir sicher schneller zu den vollelektrischen Systemen kommen, während Zubringer- und Überlandbusbetreiber eher die Elektro-Hybridbus- oder die konventionelle Diesel-Hybridbusvariante wählen werden. Wir sprechen hier also von einer Drei-Stufen-Strategie, die wir zeitlich parallel und auch mit dem gleichen Fokus bearbeiten.

Welches Feedback haben Sie von den Betreibern bisher zu dieser Strategie bekommen?

Agnevall: Wir haben seit 2009 bereits rund 1700 Diesel-Hybridbusse verkauft. Es ist jedoch nicht geplant, dass der Elektro-Hybridbus den Diesel-Hybridbus komplett ersetzen soll. Ganz im Gegenteil: Die Wahl der geeigneten Antriebstechnologie hängt immer von den individuellen Einsatzbedingungen sowie den infrastrukturellen und städteplanerischen Vorgaben der einzelnen Städte ab. Die Studien unserer Marktforschung besagen, dass die Städte die Elektro-Hybridtechnologie sehr interessant finden; sie fordern aber, dass wir als Hersteller uns dann auch um die Einrichtung der Infrastruktur kümmern. Aus dieser Forderung heraus haben wir ganz bewusst die Entscheidung getroffen, als Hersteller auch dieses Thema anzugehen. Selbstverständlich tun wir dies mit starken Partnern wie den ABBs und Siemens‘ dieser Welt. Wir können also den Städten ein Komplettpaket anbieten. Wir haben die entsprechenden Möglichkeiten und sind daher auch sehr zuversichtlich. Was wir damit erreichen wollen, ist eine deutliche Senkung der Eintrittshürde zur Nutzung neuer Technologien.

Handelt es sich also um Ihr ganz eigenes, spezifisches  Konzept der Ladeinfrastruktur?

Agnevall: Nein, wir wollen vielmehr offene Schnittstellen in der Infrastruktur, das haben wir von Anfang an so gesehen. Also wird es keine Volvo-eigene, also rein auf die Volvo-Bussysteme fokussierte Lösung für die Aufladung geben. Deswegen haben wir uns auch mit genau diesen global aufgestellten Partnern zusammengetan. Sicher wird es Wettbewerber geben, die ebenfalls Elektrobusse anbieten werden. Das sollen sie auch gerne tun, aber möglichst unter Verwendung der gleichen Infrastruktur.

Was natürlich eine ganz Volvo-spezifische Lösung darstellt, ist der technische Service, den wir in einem sogenannten Gold-Service-Vertrag abbilden. Hierbei ersetzen wir beispielsweise auch alle vier bis sechs  Jahre die Batterien – wenn dies erforderlich sein sollte. Wir kümmern uns eben um all diese Dinge. Der Kunde kann sich also auf unser Produkt und auch auf uns verlassen, und er kann dabei mit einem garantierten Kilometerpreis rechnen.

Verdienen Sie denn schon Geld mit den Hybridbussen?

Agnevall: Ja natürlich, dieses Geschäft rentiert sich, wir machen hier keine Voll- oder Quersubventionierung. Dabei sehe ich vor allem den Elektro-Hybridbus als strategischen Baustein, um nachhaltig zum ökonomischen Wachstum der Volvo Bus Corporation beizutragen. Er ist sicher nicht die einzige Komponente, spielt hierbei aber eine sehr bedeutende Rolle. Wir sind davon überzeugt, dass Elektromobilität, wie soeben in den drei Säulen beschrieben, für den Kunden finanziell sinnvoll und realisierbar sein sollte. Reine grüne Vorzeigeprojekte erscheinen langfristig gesehen einfach nicht nachhaltig.

In welchem Zeitraum amortisiert sich ein „konventioneller“ Hybridbus ohne Plug-in-Fähigkeit nach Ihren Erkenntnissen?

Agnevall: Abhängig von den einzelnen Märkten ist das natürlich jeweils unterschiedlich. Aber die höhere Anfangsinvestition für das Fahrzeug sollte grundlegend in spätestens fünf Jahren wieder eingespielt sein, und das bestätigen uns auch inzwischen viele Kunden. Je länger die Busse laufen und je besser sie ausgelastet sind, desto wettbewerbsfähiger ist der Hybridantrieb, so kann man eine Faustformel benennen.

Was halten Sie von der induktiven Ladung, wie sie Bombardier entwickelt?

Agnevall: Wie auch ABB und Siemens haben wir momentan unsere Ladephilosophie auf die sogenannte konduktive Aufladung fokussiert. Damit haben wir starke Player hinter uns. In der Forschung und Entwicklung sehen wir uns selbstverständlich ebenfalls die induktiven Systeme genau an. Dies tun wir jedoch vor allem, um mit allen Technologien vertraut zu sein und richtig mit ihnen umgehen zu können.

Mit den Verkehrsbetrieben in der kanadischen Metropole Montreal führen wir zum Beispiel derzeit ein „City Mobility“-Projekt durch, das auf einem konduktiven Aufladesystem beruht. Darüber hinaus prüft die Volvo Bus Corporation zurzeit aber auch den Einstieg in ein Kooperationsprojekt mit Bombardier, in dem es um induktive Lagemöglichkeiten auf Basis eines Projekts von Trafikverket, der schwedischen Regierungsbehörde für das Verkehrswesen, geht. Auch durch unsere Konzerngesellschaft „Sunwin“, ein 50/50-Joint-Venture mit SAIC (Shanghai Automotive Industry Corporation), einem der Marktführer für vollelektrische Busse in China,   konnten wir bereits sehr viel über die unterschiedlichen Technologien lernen.

Welches sind derzeit Ihre größten Konkurrenten?

Agnevall: Sehen Sie, wir haben uns im Gegensatz zu anderen Herstellern für das Konzept des parallelen Hybridantriebs entschieden, bei dessen Einführung wir die Pionierrolle unter den großen Herstellern übernommen hatten. Der Wettbewerb findet ja auch eher bei den seriellen Systemen statt. Wir aber halten unser System für robuster, zuverlässiger und auch sparsamer, zumal wir mittlerweile viele Bestätigungen für das von uns errechnete Einsparpotenzial bei den Diesel-Hybridbussen von bis zu 39 Prozent erhalten haben. Daher sehe ich Volvo hier derzeit klar im Vorteil. Beim Elektro-Hybridbus mit Plug-in-Technologie wiederum muss man sagen, dass einige, vor allem kleinere, Hersteller ähnliche Konzepte anbieten. Wir haben hier aber den ganz klaren Fokus auf die finanzielle Machbarkeit auf der Seite des Kunden gelegt. Deshalb lösen wir bei den vollelektrischen Bussen den technologischen Widerspruch zwischen hoher Fahrgastkapazität einerseits und der Erfordernis einer batterieelektrischen Energieversorgung andererseits mit Hilfe der Schnellladung auf. Mit ihr sind wir in der Lage, unsere Busse 24 Stunden am Tag betreiben zu können. Wir stehen also unter den großen Herstellern ganz vorn, und unsere Produkte sind weder Prototypen noch Demofahrzeuge. Ganz im Gegenteil, es handelt sich um robuste, zuverlässige und von A bis Z gründlich durchkonzipierte Konzepte.

Was hat sich der der Hybridbus-Markt 2014 konkret dargestellt?

Agnevall: Die Volvo Bus Corporation hält im europäischen Hybridbusmarkt einen Anteil von 50 Prozent. Mit mehr als 600 verkauften Fahrzeugen ist Großbritannien hier unser wichtigster Markt in Europa, gefolgt von den ebenso bedeutenden Märkten in Deutschland, Schweden und Norwegen. Auch in Südamerika ist eine starke Hybridzunahme zu verzeichnen, wobei Kolumbien derzeit unser zweitgrößter Hybridbusmarkt ist. Bogotá verfügt über eines der fortschrittlichsten ÖPNV-Systeme weltweit, bei dem Hunderte von Hybridbussen in einem BRT-System betrieben werden.

In Nordamerika sind wir mit unserer Busmarke Nova sehr stark im Segment der Elektromobilität vertreten. In der kanadischen Metropole Montreal führen wir derzeit ein CityMobility-Projekt durch, in dem ab Ende 2015 auch vollelektrische Busse eingesetzt werden. In China haben wir im Jahr 2014 rund 1000 Hybridfahrzeuge ausgeliefert, die auf der chinesischen Technologieplattform basieren. Besonders auf den asiatischen Märkten ist ein wachsendes Interesse an Elektromobilität zu verzeichnen, und auch Australien hat nun mit der Anschaffung von Hybridbussen begonnen.

Was sagen Ihre Kunden zu Ihrer mutigen Entscheidung, in Kontinentaleuropa ausschließlich Hybrid-Stadtbusse anzubieten?

Agnevall: Es gibt einige Kunden, die weiterhin dieselgetriebene Busse haben möchten. Schließlich war die Umstellung auf Euro 6 für die Industrie mit einem immensen Kraftakt verbunden. Wir haben eine mutige Entscheidung getroffen, denn als großer Hersteller benötigen Sie eine plausible Strategie, und Sie müssen daran glauben. Die meisten Kunden verstehen und schätzen unsere klare Strategie in diesem Punkt.

Welche Rolle spielen die Zukunftsthemen Connectivity und Telematik im Hybridbereich?

Agnevall: Da bieten wir ein sehr interessantes Konzept an, das wir „Zonen-Management“ nennen und mit dem Elektro-Hybridbus einführen werden. Damit lässt sich anhand eines Stadtplans exakt definieren, in welchen Stadtarealen der Bus ausschließlich elektrisch bzw. nur mit einer limitierten Geschwindigkeit fahren darf. Zonen-Management kann heute schon für die soeben am Markt eingeführten Elektro-Hybridbusse geordert werden.

Darüber hinaus ist jedes Fahrzeug, das wir ausliefern, für Telematik-Anwendungen vorbereitet. Hierfür gibt es verschiedene Serviceverträge, unter denen der Kunde dann seine individuell geforderten Leistungen zusammenstellen bzw. das für ihn maßgeschneiderte Paket auswählen kann. Worauf wir einen Fokus legen, ist das Monitoring der Batterien, um so deren Lebensdauer und Betriebszustand permanent zu überwachen. Deshalb verkaufen wir einen Hybridbus standardmäßig mit einem „Gold-Service-Vertrag“, sodass sich der Betreiber dann nicht mehr selbst um die Batterie kümmern muss – das nehmen wir ihm ab. Auch die präventive Wartung ist ein wesentlicher Bestandteil der Telematik. Wir bieten dieses Schlüsselelement eines modernen Telematiksystems bereits seit vier Jahren an und setzen es inzwischen weitgehend als Standardbaustein in unseren Fahrzeugen ein.

Was sind Ihre Ziele für die nächsten beiden Jahre?

Agnevall: Natürlich zu wachsen und baldmöglichst wieder in die Profitabilität zurückzukehren, die wir leider noch nicht erreicht haben. Daher hat die Volvo Bus Corporation derzeit ein internes Einspar- und Profitabilitätsprogramm laufen, das schon erste positive Ergebnisse liefert. Mehr möchte ich dazu im Augenblick nicht sagen.

Das komplette Interview finden Sie in der lastauto omnibus-Ausgabe 3/2015. Das Heft erscheint am 16.02.2015.

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