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Interview mit Dr. Michael Ruf von Continental "Fahrer muss Vertrauen haben"

Continental, Lkw, Zukunft, Michael Ruf Foto: Continental

Continental will die Zukunft des Lkw aktiv mitgestalten. Wie, das erläutert Michael Ruf im Interview.

TeleTraffic: Herr Dr. Ruf, Continental ist seit vielen Jahren dabei, die Zukunft des Lkw-Fahrens aktiv zu gestalten. Inwieweit kann Continental als Zulieferer die Hersteller bei der Einführung des hoch automatisierten Fahrens unterstützen?

Ruf: Da gibt es viele verschiedene Anknüpfungspunkte. Wir haben zum einen den E-Horizon entwickelt. Er unterstützt bereits seit dem Jahr 2012 den Fahrer beim kraftstoffsparenden Fahren auf Basis präziser, topografischerKartendaten und wird zukünftig das automatisierte Fahren noch komfortabler machen. Hinzu kommen zahlreiche Lösungen für das sogenannte Human-Machine-Interface, kurz HMI, also die Schnittstelle zwischen dem Fahrzeug und dem Fahrer. Sie wird in Zukunft elementar für die Akzeptanz des hoch automatisierten Fahrens beim Fahrer sein. Des Weiteren haben wir mit unseren digitalen Außenspiegeln ein System entwickelt, das durch die installierten Kameras keinen toten Winkel mehr zulässt.

Das klingt doch eigentlich noch nach Zukunftsmusik?

Nein, ganz und gar nicht. Wie bereits erwähnt, gibt es den E-Horizon in seiner statischen Form bereits. Mit dem Connected W-Horizon haben wir die nächste Stufe geschaffen. Bei dieser Version sammelt das Fahrzeug die aktuellen topografischen Daten, geokodiert diese und sendet sie an ein Backend. Hier werden die Informationen geprüft und an alle angeschlossenen Fahrzeuge weitergeleitet, wo sie dann wieder an alle Steuergeräte verteilt werden. Damit ist ein vorausschauendes Motorenmanagement auch in solchen Regionen möglich, die über kein hochauflösendes Kartenmaterial verfügen.

Fehlen dann nicht noch die Informationen zur aktuellen Straßensituation?

Da blicken wir jetzt in nähere Zukunft. Beim cloudbasierten Dynamic E-Horizon werden auch die Stau- und Ampelinformationen sowie weitere aktuelle Ereignisse wie etwa Unwetter oder Unfälle mit berücksichtigt. Automatisiertes Fahren wird so komfortabler. Diese Lösung wird ungefähr bis zum Jahr 2020 fertig sein. Wir haben auf der diesjährigen Consumer Electronics Show CES in Las Vegas aber schon eine Pkw-Version vorgestellt, die diese Daten in Echtzeit verarbeitet.

Wie wird denn der Fahrer zukünftig seine Informationen erhalten?

Wir arbeiten intensiv an einem Head-up-Display, das wir bereits in unseren Innovationstruck eingebaut haben und testen. Damit erhält der Fahrer alle wesent lichen Informationen vorne in der Frontscheibe. Mit dieser Technik können wir nicht nur die Sicherheit verbessern. Wir gehen auch davon aus, dass dieses Display ein wichtiger Bestandteil beim hoch automatisierten Fahren sein wird, weil es entscheidende Informationen liefert, etwa zum Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen. Die Hersteller zeigen auf jeden Fall ein reges Interesse daran.

Wo liegen die Vorteile?

Es ist die sinnvolle Verknüpfung von Hard- und Software. Der Fahrer muss das Vertrauen haben, dass das Fahrzeug auch das Richtige macht und in seinem näheren Umfeld immer alles unter Kontrolle hat. Dafür sollte das HMI dem Fahrer mitteilen, was der Lkw alles weiß.

Wie geschieht das?

Wir haben dafür vier wesentliche Punkte identifiziert. Zum einen soll unser Head-up-Display alle notwendigen Informationen über das hoch automatisierte Fahren liefern. Der Fahrer erhält auf einen Blick Informationen wie die voraussichtliche Dauer im automatisierten Modus. Es wird ihm angezeigt, wann er die Kontrolle wieder zurückgeben wird. Zudem lassen sich Spurmarkierungen
und Fahrstreifen einfügen.

Interessiert das denn überhaupt jeden Fahrer?

Studien haben gezeigt, dass es von Person zu Person unterschiedlich ist. Der eine will jede Spur sehen, anderen wiederum genügt ein abstraktes Piktogramm auf dem Bildschirm. Ich tendiere zu einem relativ simplen Überblick. Doch hier benötigen wir noch viel mehr praktische Erfahrung von den Fahrern. Es zeigt sich aber, dass alle jederzeit aktiv den Modus ändern können wollen, und zwar willentlich. Das gilt auch für das Einschalten des hoch automatisierten Modus.

Dann bleibt es auch künftig bei einem Knopf?

Ja, das ist sehr wahrscheinlich. Wie der dann aussehen wird, hängt auch vom Hersteller ab. Im Cockpit wird zudem in Zukunft auch ein Tablet nicht mehr fehlen. Der Fahrer kann dann beispielsweise seine Aufträge abwickeln.

Was kommt hinzu?

Wir benötigen noch ein Gerät, das den Fahrer beobachtet, um zu wissen, womit der Fahrer gerade beschäftigt ist, damit er schnell benachrichtigt werden kann, um einzugreifen – zum Beispiel eine intelligente Innenraumkamera. Um auf mögliche Gefahren aufmerksam zu machen,
arbeiten wir mit einem LED-Band mit einem 270-Grad-Winkel. Akustische Signale sind natürlich auch möglich. Bei der Bedienung des Systems können wir dann zunehmend auch auf eine Gestensteuerung zurückgreifen, wie sie schon heute in einigen Fahrzeugen existiert. Das gesamte intuitiv zu bedienende Steuerungssystem, das die Informationen übersichtlich zugänglich macht und dabei den aktuellen Zustand und die Bedürfnisse des Fahrers berücksichtigt, nennen wir Holistic HMI.

Der Blick in den Außenspiegel wird aber noch ein klassischer sein.

Nicht ganz. Auch hier haben wir ein neues System entwickelt, das den klassischen Spiegel durch Kameras und Displays ersetzt. Der sogenannte Pro-Viu-Mirror arbeitet insgesamt mit vier Kameras und zwei Displays. Im ersten Schritt wird das System ein wenig teurer sein als zwei konventionelle Spiegel, aber gleichzeitig reduzieren die aerodynamischen Kameragehäuse den Treibstoffverbrauch um ein bis zwei Prozent. Zudem kann man damit noch andere Funktionen wie den Abbiegeassistenten optisch realisieren. Die Kosten sind also nach einer gewissen Laufzeit wieder eingespielt. Da die rechtlichen Rahmenbedingungen nun ein Kamera-Monitor-System für indirekte Sicht erlauben, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der neue Außenspiegel im Markt vorhanden sein wird.

Wie kann man sich das technisch vorstellen?

Die Fahrzeuge werden mit vier Kameras ausgerüstet. Eine davon schaut auf jeder Seite nach hinten, eine jeweils nach unten. Der Ausschnitt, den der Fahrer heute sieht, muss auch mit den Kameras abgebildet werden. Zudem besitzt das System eine gewisse Intelligenz, denn beim Schwenken des Trailers wird der Bildausschnitt mitgeschwenkt und zeigt dem Fahrer immer den relevanten Bereich an.

Vor ein paar Wochen haben die Hersteller demonstriert, dass es schon heute mit den automatisierten Lkw möglich ist, im Konvoi zu fahren, um damit weiter den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren. Ist das Konzept realistisch?

Die europaweite Aktion zeigt, dass es auch hier weitergehen wird. Doch um wirklich eine optimale Kraftstoffersparnis zu erhalten, müssen die Fahrzeuge noch dichter als mit einem Abstand als 15 Meter hintereinander fahren. Dafür ist auf jeden Fall auch hoch automatisiertes Fahren notwendig. Zudem müssen hierfür erst noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es sind noch viele Fragen offen, die bis dahin beantwortet werden müssen. Daher gehe ich davon aus, dass das hoch automatisierte Fahren noch vor der Einführung des Platooning kommen wird.

Kann beim hoch automatisierten Fahren dafür gesorgt werden, dass nicht ein Fremder das Fahrzeug steuert und eine Katastrophe auslöst?

Das ist ein sehr wichtiger Bereich, den wir sehr ernst nehmen. Für das hoch automatisierte Fahren benötigt man einen mehrstufigen Sicherheitsplan. Dazu gehört auch ein permanenter Abgleich des Fahrverhaltens. Für uns als Zulieferer hat die Sicherheit unserer Systeme höchste
Priorität. Die Gesamtverantwortung für das Fahrzeug liegt letzten Endes beim Hersteller.

ZUR PERSON

  • Dr. Michael Ruf verantwortet seit 2009 die Nutzfahrzeug- und Handelsaktivitäten der Continental in der Business Unit Commercial Vehicles & Aftermarket.
  • Zuvor hatte er die Engineering-Leitung bei der Infotainment-Sparte von Siemens VDO inne, die dann von Continental übernommen wurde.
  • Nach seinem Studium der Elektrotechnik und der anschließenden Promotion arbeitete er in der Forschung und Entwicklung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Bosch und Harman/Becker.
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