Interview mit Daimler-Vorstand Renschler "Längendiskussion ist sehr schwierig"

Daimler-Vorstand Andreas Renschler Foto: Mario P. Rodrigues

Daimler-Vorstandsmitglied Andreas Renschler gibt der Diskussion um Fahrzeuglängen neue Nahrung. Er spricht sich für 60 bis 80 Zentimeter mehr am Trailer aus, die eine verbesserte Aerodynamik ermöglichen würden. Mit einer verbesserten Aerodynamik könnten die Fahrzeugbauer noch erhebliche Sprünge beim Reduzieren von Kohlendioxid machen. Daimler-Vorstandsmitglied Andreas Renschler spricht im Gespräch mit trans aktuell von einem Potenzial von vier bis fünf Prozent weniger Diesel.

Herr Renschler, mit welchen Erwartungen gehen Sie zur IAA?

Die IAA ist alle zwei Jahre ein Gradmesser für die Stimmung in der Nutzfahrzeugbranche. Ich gehe in diesem Jahr zuversichtlich und verhalten optimistisch nach Hannover.

Spielen Sie damit auf die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an?

Ja. Die Märkte sind 2008/2009 massiv eingebrochen. Wir haben seither das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Heute sind die Märkte deutlich volatiler. Entwicklungen lassen sich daher weniger zuverlässig voraussagen. Aber wir haben uns darauf eingestellt.

Sie haben beide Schwer-Lkw- Baureihen runderneuert. Welche Hoffnungen fußen darauf?

Für uns war wichtig, unsere neuen Euro-6-Fahrzeuge in einem Modulbaukasten abzubilden. Mercedes Actros und Antos sind die ersten beiden Modelle, die diesem Vorhaben Rechnung tragen. Und sie beweisen, dass ein Euro-6-Fahrzeug trotz der strengen Emissionsvorschrift, die per se mit einem schlechteren Verbrauch einhergeht, einen Spritverbrauch ermöglicht, mit dem unsere Kunden sehr zufrieden sein können. Das haben die ersten unabhängigen Tests bewiesen und das macht uns sehr stolz.

Was soll also der Kunde von Ihrem Stand auf der IAA an Erkenntnissen mitnehmen?

Mercedes Actros und Antos sollten anschließend auf dem Einkaufszettel jedes Fuhrparkleiters stehen.

Das Motto der IAA lautet: Nutzfahrzeuge – Motor der Zukunft. Was bedeutet das für Sie?

Die Nutzfahrzeugindustrie ist immer auch ein Abbild der jeweiligen volkswirtschaftlichen Entwicklung. Wächst die Wirtschaft, steigt der Transportbedarf. Daher ist die Nutzfahrzeugindustrie im sprichwörtlichen Sinn der Motor der Zukunft. Zum Zweiten ist für die Zukunft immer auch Technologie notwendig, denken Sie an alternative Antriebe oder Euro 6. Unsere Kunden verdienen ihr Geld mit unseren Fahrzeugen. Wir bieten die Transportlösungen, die ihnen das auch zukünftig ermöglichen. All das steckt im Motto der IAA.

Euro 6 macht die Fahrzeuge deutlich teurer in der Anschaffung. Es war daher eine Weile sehr umstritten, ob Ihre Kunden weiter ihr Auskommen haben...

Eines der großen Entwicklungsziele war es, den Verbrauch trotz der neuen Abgasvorschriften zu senken. So hat der Kunde die Möglichkeit, über den gesamten Lebenszyklus des Lkw mehr Geld zu verdienen. Aber dazu gehören neben dem Verbrauch auch höhere Zuverlässigkeit und höhere Serviceabdeckung. Hier haben wir unsere Fahrzeuge ebenfalls deutlich verbessert.

Wann werden Sie die Innovationen von Actros und Antos auf die weiteren Baureihen wie Kipper und leichte bis mittelschwere Fahrzeuge übertragen?

Euro 6 ist Pflicht ab 2014. Bis dahin werden wir alle Lkw-Baureihen komplett erneuert haben. Alle schweren Fahrzeug-Baureihen basieren dann auf unserem SFTP-Baukasten – dem Strategic Future Truck Program.

Wie haben sich die Absatzzahlen des neuen Actros in Euro 6 zu Euro 5 entwickelt?

Etwa ein Drittel verkaufen wir schon in Euro 6. Das ist mehr, als wir erwartet haben.

Wenn sich Euro-6-Lkw heute schon so gut verkaufen, bräuchten Sie doch eigentlich gar keine Mautspreizung mehr, oder?

Wenn ich eine Mautspreizung zugunsten von Euro 6 fordere, bin ich Vertreter der VDA-Sparte Nutzfahrzeuge, deren Vorsitz ich habe. Dort gibt es eine mit dem BGL abgestimmte Forderung. Da geht es mir gar nicht um einen Termin heute oder morgen. Wichtig ist Klarheit. Denn Sie können davon ausgehen, dass es eine Mautspreizung geben wird. Also ist es sinnvoll, sich abgestimmt und frühzeitig zu positionieren. So können wir vermeiden, dass es zu einer überspitzten Marktreaktion kommen wird.

Nach Euro 6 kommt eine CO2-Regulierung – wann genau rechnen Sie damit?

Das wird nicht ganz so schnell passieren. Auf eine solche Regelung könnten wir auch verzichten, denn das beste Regulativ sind unsere Kunden, die mit jedem neuen Lastwagen eine bessere Kraftstoffeffizienz verlangen. Nur so verdienen sie Geld. Das Wichtigste ist aber, dass die EU-Kommission berücksichtigt, dass Lkw höchst unterschiedliche Fahrzeuge sind und es nicht nur den Fernverkehrszug gibt. Ich kann deshalb nicht eine CO2-Regel über alle Lkw-Gattungen hinweg aufsetzen, wie das in anderen Segmenten möglich ist. Eine Fokussierung auf die wichtigsten und größten Segmente ist nötig. Eine Regulierung etwa von Entsorgungsfahrzeugen oder Betonmischern ist eher schwierig.

Was kann am Verbrauch noch gemacht werden?

Da gibt es schon noch Potenzial: Eine Vielzahl von Verbrauchern am Fahrzeug lassen sich lastabhängig regeln. Aerodynamik spielt eine Rolle, ebenso eine noch bessere Abstimmung einzelner Bauteile aufeinander wie zum Beispiel Motor, Getriebe und Achsen. Der konventionelle Dieselantrieb wird aber auch in den nächsten 20 Jahren die wichtigste Antriebsart für die Transportbranche bleiben. Alternative Antriebe wie Hybrid- oder Gasmotoren werden in Nischen eine Rolle spielen.

Was die Aerodynamik angeht: Sie zeigen auch aerodynamisch optimierte Komplettzüge und Verteiler-Lkw. Was hat es damit auf sich?

Mit einem aerodynamisch optimierten Aufbau sparen wir deutlich Kraftstoff und damit CO2. Es geht uns darum zu zeigen, dass wir nicht nur die Zugmaschine anschauen dürfen, sondern uns immer das Gesamtfahrzeug vornehmen müssen. Da sind mit überschaubarem Aufwand große Verbesserungen möglich. Die Nachteile im Gebrauch, die ein aerodynamischer Aufbau theoretisch mit sich bringt, muss es nicht geben, wenn man Abrisskanten und Spoiler praxisgerecht konstruiert. Hier reden wir von einem Potenzial von vier bis fünf Prozent weniger Diesel.

Aerodynamik wird also immer wichtiger?

Ja, das sieht man am neuen Actros. Stichwort: 2.600 Stunden im Windkanal. Wichtig ist jetzt, dass man die Auflieger und Aufbauten entsprechend gestaltet. Ich halte deshalb nichts von einer Diskussion über längere Zugmaschinen, sondern spreche von einem um 60 Zentimeter längeren Auflieger.

Apropos längere Lkw: Welche Chancen räumen Sie dem Feldversuch mit Lang-Lkw ein?

Die Längendiskussion ist in Deutschland sehr schwierig. Ich glaube, es ist einfacher, im Sinne einer verbesserten Aerodynamik eine Zustimmung zu einer moderaten Längenanpassung zu erreichen als zu 25 Meter langen Lkw, die zudem Gegenstand einer politischen Diskussion geworden sind. Das heißt nicht, dass ich Lang-Lkw ablehne, im Gegenteil. Doch die Politik und die Öffentlichkeit müssen sie auch akzeptieren.

Das heißt?

Dass ich mehr davon halte, über ein moderates Längenwachstum, zum Beispiel von 80 Zentimetern am Trailer, zu reden. Damit kann man die Aerodynamik erheblich verbessern und den CO2-Ausstoß deutlich senken.

Ist dann nicht die Verwirrung komplett, wenn wir einerseits den Lang-Lkw vorantreiben und andererseits über 80 Zentimeter mehr reden? Und was ist mit den Restwerten?

Ich glaube nicht, dass wir damit Verwirrung stiften. Eine Entwertung befürchte ich auch nicht. Wenn sich die Maßnahmen rechnen, stellen sie für alle einen Gewinn dar. Und keiner ist gezwungen, sie morgen gleich alle umzusetzen. Man bestellt seinen neuen Trailer, den man ohnehin neu beschaffen müsste, aerodynamisch optimiert und spart so Kraftstoff ein.

Die Spedition Elflein aus Bamberg ist seit Monatsbeginn mit einem Lang-Lkw für Ihr Haus unterwegs. Werden weitere Lang-Lkw im Dienste von Daimler folgen?

Dass wir dieses Engagement unterstützen, versteht sich von selbst. Wir hatten ja auch schon in Baden-Württemberg einen Lang-Lkw im Werkverkehr zwischen Untertürkheim und Sindelfingen im Einsatz. Sie werden auf politischer Ebene aber keine Unterstützung dafür bekommen, den Lang-Lkw flächendeckend einzusetzen. Damit bewegen wir uns auf schwierigem Terrain. Das zeigt nicht zuletzt die Verfassungsklage von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein.

Das heißt, Sie haben die Zuversicht verloren, dass der Feldversuch noch ein Erfolg wird?

Der Feldversuch mag ein Erfolg werden. Aber ich habe wie gesagt Zweifel, dass die Politik dem flächendeckenden Einsatz von Lang-Lkw zustimmen wird. Das sind aber die Entscheider, nicht wir. Als Hersteller habe ich keinen Vorteil, wenn zwei Lkw künftig das leisten können, wofür ich heute drei Fahrzeuge brauche.

Zur Person Andreas Renschler

Andreas Renschler (54) ist seit Oktober 2004 Vorstandsmitglied beim Fahrzeugbauer Daimler und Leiter des Geschäftsfeldes Daimler Trucks. Nach der Fachhochschulreife studierte er von 1979 bis 1983 Wirtschaftsingenieurwesen an der Fachhochschule für Technik in Esslingen mit dem Abschluss Diplom-Wirtschaftsingenieur. Von 1984 bis 1987 studierte er an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Betriebswirtschaftslehre. Dort machte er auch seinen Hoch schulabschluss als Diplom-Kaufmann. Im Jahr 1988 trat Andreas Renschler im Bereich Organisation und Datenverarbeitung in die damalige Daimler-Benz AG ein. Seitdem war er in unterschiedlichen Führungsfunktionen für den Stuttgarter Fahrzeugbauer tätig.

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