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Flüchtlinge im Arbeitsmarkt Chancen für beide Seiten

Spedition Fels Umzugshelfer aus Gambia Abdoulie Sowe mit Kollegen Foto: Spedition Fels

Logistiker berichten von ihren meist positiven Erfahrungen bei der Integration von Flüchtlingen im Unternehmen.

Flüchtlinge haben es oft schwer, im deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Fehlende Sprachkenntnisse oder schwierige Wohnbedingungen sind Hürden, die die wenigsten ohne Hilfe überwinden können.

Einige Unternehmer der vom Fachkräfte- und Fahrermangel betroffenen Transportbranche haben das Potenzial, das die Integration von Flüchtlingen bietet, erkannt. trans aktuell hat daher Beispiele zusammengetragen, die Chancen, aber auch Probleme aufzeigen.

Cornelia Hengeler, Leiterin der BTG-Niederlassung Kempten, suchte per Aushang im nahegelegenen Flüchtlingsheim nach zwei Lagerkräften auf 450-Euro-Basis. Dem Aufruf folgten viele, bei zwei jungen Männern aus Uganda stimmte die Chemie. Die bürokratischen Hürden waren kleiner als befürchtet, mühsam waren andere Dinge. Joseph Byarugaba, 33, und Ivan Katende, 25, sprachen zwar recht gut Deutsch, hatten aber zunächst weder Bankkonto noch Steuer-, Sozialversicherungs- und Versicherungsnummer – doch alles halb so schlimm. Katende fand eine Festanstellung, ein neuer Kollege aus dem Kongo kam ins Team.

"Es ist eine Win-win-Situation. Und helfen ist manchmal einfacher, als man denkt", sagt Hengeler und lobt ihre neuen Mitarbeiter als "sehr engagiert, achtsam mit dem Equipment, überpünktlich und kollegial". Es herrsche ein tolles Miteinander an dem kleinen Standort mit 14 Mitarbeitern.

Zwei Gambier bei der Spedition Fels

Auch die Umzugsspedition Fels aus Heidelberg hat sich früh informiert. Über das Landesprogramm Arbeitsmarkt und regionale Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen (Laura) in Baden-Württemberg und die Internet-Jobbörse Workeer sowie die Flüchtlingshilfe Schwetzingen fanden zwei Gambier zu Fels, die sechs Wochen Speditionsluft schnupperten.

Der 29-jährige Abdoulie Sowe ist als Umzugshelfer nun fest angestellt, berichtet Geschäftsführer Thomas Beck. Noch ist der Gambier, der einen Lkw-Führerschein seines Heimatlandes besitzt, von der Abschiebung bedroht. "Wenn er die Aufenthaltserlaubnis hat, kümmern wir uns um den  Führerschein", sagt Beck.

Die Motivation zum Engagement ist eine doppelte: "Wir haben eine gesellschaftliche und soziale Verantwortung. Und vom Jammern über fehlende Fachkräfte wurde auch noch niemand eingestellt", sagt Beck selbstkritisch mit Blick auf die Transportbranche.

Ganz ähnlich sieht das Volker Kindler, Personalleiter der Geis-Group aus Bad Neustadt a. d. Saale, der dem "generellen Mangel an zuverlässigen und engagierten gewerblichen Arbeitskräften" begegnen und Integrationsarbeit leisten will. Mit dem Ziel einer Festanstellung lernen seit Anfang 2016 meist rund zehn Praktikanten aus afrikanischen Herkunftsländern an mehreren Standorten für einige Wochen den Betrieb und die Abläufe im Lager kennen. Dazu gehöre der Umgang mit Scannern und Hubwagen, aber auch die Akzeptanz weiblicher Kolleginnen und Vorgesetzten. 

A.Hartrodt bildet zwei Syrer aus

Der Logistikdienstleister A. Hartrodt beschäftigt am Hauptsitz in Hamburg seit dem vergangenen Jahr zwei Flüchtlinge aus Syrien. Sie machen eine Ausbildung zum Speditionskaufmann und waren davor als Praktikanten im Unternehmen beschäftigt. Vier weitere Flüchtlinge absolvierten 2016 ebenfalls ein Praktikum.

Personalreferent und Ausbildungsleiter Martin Argendorf berichtet von positiven Erfahrungen: "Die Integration der beiden Männer fördert Interesse, Verständnis und Aufgeschlossenheit auf beiden Seiten."

Zum Beispiel geben die anderen Auszubildenden den jungen Syrern einmal die Woche Deutsch-Nachhilfe. Denn das große Problem sei nach wie vor die Sprache. Obwohl die jungen Männer schon zu Beginn ihrer Ausbildung Sprachlevel B2, also die vierte von sechs gelisteten Schwierigkeitsstufen im Europäischen Referenzrahmen, beherrschten, fällt ihnen vor allem die externe Kommunikation schwer. "Die betreuenden Mitarbeiter müssen jede E-Mail kontrollieren", berichtet Argendorf.

Das sei für die Männer im Alter von 27 und 29 Jahren anfangs so demotivierend gewesen, dass sie schon aufgeben wollten. Zudem hapere es in Sachen Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. "Aber solche Probleme haben wir auch mit deutschen Auszubildenden", sagt Argendorf. Probleme mit den Behörden gebe es dagegen keine.

Die beiden jungen Männer waren allerdings schon vor ihrer Ausbildung als Flüchtlinge anerkannt und im Besitz einer Arbeitsgenehmigung. Ist das nicht der Fall, kann ein hoher administrativer Aufwand entstehen, der im schlimmsten Fall mit der kurzfristigen Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers endet.

Noerpel aus Ulm beschäftigt sieben Flüchtlinge

Diese Erfahrung hat die Spedition Noerpel aus Ulm gemacht, die derzeit sieben Flüchtlinge beschäftigt. Sie arbeiten im Lager, im Umschlag und in der Werkstatt. Die Ausbildungsbeauftragte Sabrina Olbrich spricht von einer gelungenen Integration, allerdings falle es den jungen Männern häufig schwer, sich an die strukturellen Rahmenbedingungen anzupassen und die rechtlichen Bedingungen zu verinnerlichen.

Bei der Spedition Hellmann mit Hauptsitz in Osnabrück beginnt zum 1. August ein junger Mann mit afghanischen Wurzeln eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer, ein kaufmännischer Auszubildender aus Syrien befindet sich derzeit im ersten Lehrjahr. Im Januar absolvierten drei Flüchtlinge ein Praktikum. "Bisher waren alle Praktikanten und Azubis sehr engagiert, lernbereit, aufmerksam und dankbar für die Chance", berichtet Claudio Gerring, Personalleiter Deutschland bei Hellmann.

Noch am Beginn steht die Hamburger Drogeriemarktkette Budnikowsky, die keinen eigenen Fuhrpark, aber eine große Logistikabteilung hat. "In der Logistik gibt es auch immer passende Jobs, für die man nur angelernt werden muss. Da ist nicht zwingend eine Ausbildung oder fließendes Deutsch nötig, Grundkenntnisse schon", sagt Marcel Andruchiewicz, stellvertretender Logistikleiter.

Gemeinsam mit Logistik-Partnern lud das Unternehmen daher jüngst zu einem Infotag für Flüchtlinge in der Berufsvorbereitung ein. Nicht erfolgreich war der ambitionierte Versuch der Kooperation Elvis, rund 1.000 Flüchtlinge mit Jobgarantie unter Federführung der Bundesagentur für Arbeit einzustellen. Das Konzept samt "realistischem Kostenplan", Partnerschaft mit Bildungsträgern und IHK-Abschluss scheiterte laut Elvis-Vorstand Jochen Eschborn daran, dass die Bundesagentur für Arbeit nicht als Träger für die zentrale Steuerung bereitstand.

Flüchtlinge sollten zu Berufskraftfahrern ausgebildet und an ein Elvis-Mitgliedsunternehmen vermittelt werden – das Potenzial wurde also erkannt, gescheitert ist das Projekt leider dennoch.

Hindernisse überwinden

  • Sprache: 

Der Europäische Referenzrahmen für Sprachen gibt eine erste Orientierung bei Bewerbungen: Sprachanwendung elementar (Niveau A1 und A2), selbstständig (B1 und B2), kompetent (C1 und C2)

Seit Juli 2016 gilt die Verordnung über die berufsbezogene Deutschsprachförderung. Sie baut auf die Integrationskurse auf und bereitet arbeits­suchen­de Migranten und Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt vor. Die Teilnehmer müssen mindestens Niveau B1 beherrschen. Weitere Infos: bamf.de

  • Web Based Training (WBT):

Videos für arbeitsplatzbezogene Grundkompetenzen in verschiedenen Branchen, auch für die Logistik. Der Nutzer durchläuft einen typischen Arbeitstag und muss verschiedene Aufgaben bewältigen. Infos: Lernen-mit-evideo.de

  • Beschäftigung und Vergütung:

Praktika: Mindestlohnfrei sind Praktika zur Berufsorientierung, als Begleitung zur Berufs- oder Hochschulausbildung und Pflichtpraktika (Dauer maximal drei Monate)

Einstiegsqualifizierung (EQ): Vorbereitend für eine Ausbildung (Dauer sechs bis zwölf Monate). Ob der Interessierte für die Ausbildung infrage kommt, wird im täglichen Arbeitsprozess beobachtet. Die Arbeitsagentur vergütet den Einsatz

Ausbildung nach tariflicher Vergütung

Weitere Infos: 

  • Info-Portal für KMU zur Zusammenarbeit mit ­Geflüchteten: http://inarbeit.inqa.de
  • Das Netzwerk "Unternehmen integrieren Flüchtlinge" bietet Informationen zu Rechtsfragen, Praxis-Tipps und mehr
  • Dekra Akademie veranstaltet mit Partnern am 21. Februar in den Media Docks Lübeck eine Kontaktmesse. Flüchtlinge und Unternehmen aus Schleswig-Holstein können sich kennenlernen und über zahlreiche Aktionen und Hilfen informieren. Infos: dekra-akademie.de/Luebeck
  • Der Landesverband Bayerischer Spediteure (LBS) gibt im Februar einen neuen Leitfaden zu Flüchtlingen für Unternehmen heraus, Ende März erscheint der "IdA KompetenzCheck" (lbs-spediteure.de). Er vermittelt junge Flüchtlinge in Praktika, organisiert Infotage und berät Unternehmen.
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