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Infrastruktur Stillstand in Sachen Straße

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Der Transportsektor droht zum Stiefkind der EU-Kommission zu werden – ein Gesetzespaket ist zur Initiative degradiert.

Ein Road Package, also ein Gesetzgebungspaket zum Straßentransport, ist von der EU-Kommission wohl nicht mehr zu erwarten. Die Rede ist in Brüssel jetzt von einer Straßenini­tiative. Doch auch um diese muss Verkehrskommissarin Violeta Bulc offenbar schwer kämpfen, das Thema Verkehr spielt in der Kommission derzeit keine große Rolle. Unter den zehn von EU-Präsident Jean-Claude Juncker festgelegten Prioritäten taucht es nicht explizit auf, und auch im Arbeitsprogramm für 2016 muss man Hinweise mit der Lupe suchen.

Große Gesetzgebungspakete gelten der derzeitigen Kommission als politisch inkorrekt, ist doch der erste Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans ausgezogen, den Wald an Verordnungen und Vorschriften zu lichten. "Weniger ist mehr", lautet die Devise und einige Abgeordnete des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament sahen bereits das gesamte Straßenvorhaben in Gefahr. Aber nach aktuellem Stand soll die geplante "Initiative" offenbar zehn Texte und eine Mitteilung umfassen, heißt es in Brüssel.

Das wäre sehr umfangreich. Es bleibt aber trotzdem die Sorge – gerade auch im Parlament –, dass bis zur Vorlage des Papiers Ende nächsten Jahres inhaltlich so einiges gekappt und zurechtgestutzt werden soll. Dafür kommen umstrittene Themen in Frage, die sich im Rat der Verkehrsminister womöglich als zu sperrig erweisen, Themen wie beispielsweise die Finanzierung von Infrastrukturen oder die externen Kosten.

Ein Vorteil der Initiative gegenüber einem Paket könnte aber sein, dass die einzelnen Bestandteile in unterschiedlichem Tempo vorangebracht werden können. Beim 4. Eisenbahnpaket hatte sich jüngst gezeigt, dass die Uneinigkeit der Mitgliedstaaten beim politischen Teil fast den von allen als notwendig erachteten technischen Teil verhindert hätte. Im eher lockeren Rahmen der Straßeninitiative könnte die Kommission drängende Themen wie Maut und Mindestlohn vorrangig behandeln.

Bulc hat wenig Spielraum

Grundsätzlich fragt man sich in Brüssel, welcher Stellenwert dem Transportsektor geblieben ist. Bulc sei sich selbst nicht sicher, wie groß ihr Spielraum ist, und habe sehr gekämpft, damit der Verkehr überhaupt im Arbeitsprogramm mit einigen Querverweisen auftauche, sagte ein Experte. "Sie befürchtet, dass es am Ende noch enger wird, als bisher angenommen." So habe man beim Luftfahrtpaket in Bezug auf die Sozialfragen zunächst an einen kompletten Vorschlag gedacht, dann aber sei es auf ein paar Klauseln in anderen Gesetzgebungstexten hinausgelaufen. Dies könne sich an anderer Stelle – beim Straßentransport – wiederholen, wird geargwöhnt.

Das Ringen um Positionen innerhalb der EU-Kommission, das nach außen hin wie ein Stillstand erscheint, löst mancherlei Befürchtungen, aber auch Aktivitäten aus, mit denen die Brüsseler Behörde zum Handeln überzeugt werden soll. Denn sie ist nicht nur die Hüterin der gemeinschaftlichen Gesetze, sie hat das Vorschlagsrecht. Kommt von ihrer Seite nichts, sind die Möglichkeiten für Veränderungen oder Verbesserungen der gegenwärtigen Verhältnisse stark eingeschränkt.

Anstöße kamen aus dem EU-Parlament. So fragte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, der deutsche Grünen-Abgeordnete Michael Cramer, was straßenseitig eigentlich geplant sei. Es scheine, als sollten Straßentransport-Initiativen in verschiedenen Strategien etwa zu Energieunion oder Binnenmarkt unterkommen. Im Namen der Koordinatoren bat Cramer um eine Präzisierung bei Themen und Zeitplan.
Eine Reihe von Abgeordneten aus fünf Fraktionen ist zudem der Meinung, dass bislang auf Kommissionsebene zum Thema CO2-Ausstoß beim Lkw nicht genug passiert sei. Es dauert ihnen zu lange, bis die Standards abschließend gesetzlich geregelt sein werden, und sie sehen in der  Eurovignette Potenzial, hier bereits jetzt etwas zu erreichen. Die Richtlinie müsse deshalb rasch überarbeitet werden, forderten sie in einem weiteren Brief an Kommissarin Bulc. 

Streckenbasierte Vignette als Favorit

Die 14 Parlamentarier, darunter als Initiator der deutsche So­zialdemokrat Ismail Ertug und der Christdemokrat Dieter-Lebrecht Koch, wollen zeitbasierte Vi­gnetten abschaffen und plädieren für eine streckenbasierte Variante. Durch diesen Umstieg werde das Fahrverhalten fairer berücksichtigt und damit auch externe Kosten wie zum Beispiel CO2- und andere Schadstoffemissionen sowie die Abnutzung der Straßen gerechter eingepreist. Der Brief wird auch als Signal an die Kommission gesehen, die Richtlinie nicht aus der Gesetzgebung zu streichen.

Die europäische Transportarbeitergewerkschaft ETF wiederum hat eine europäische Bürgerinitiative mit dem Namen Fair Transport Europe gestartet. Mit der Kampagne werden Maßnahmen gefordert, die  Sozialdumping verhindern und unlauteren Geschäftspraktiken von Transporteuren in  Europa einen Riegel vorschieben sollen. Kommen die erforderlichen eine Million Stimmen in sieben Mitgliedsstaaten zusammen, muss die Kommission eine Anhörung organisieren und formelle Maßnahmen ergreifen. Die Position der Gewerkschaften müsste der Kommission und ihrem Wunsch nach Schlichtheit entgegenkommen: Verlangt wird keine neue Gesetzgebung, sondern die wirksame Umsetzung der bestehenden.

Die Revision der Eurovignetten-Richtlinie liegt auch dem Deutschen Verkehrsforum (DVF) am Herzen. "Wir unterstützen die Europäische Kommission ­darin, wieder eine Zweckbindung der Einnahmen vorzuschlagen", sagte DVF-Geschäftsführer Thomas Hailer. Davon sollte sich die Behörde nicht abbringen lassen, auch wenn es gegenüber den Mitgliedstaaten schwer durchzusetzen sei. Das Geld müsse im Verkehrssektor bleiben. Auch der Übergang von einer zeitbasierten zu einer entfernungsabhängigen Vignette sei zu befürworten.

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