Historischer Vergleich Die Zähne der Zeit

Foto: Thomas Küppers 13 Bilder

ZF-Ecomat im MAN SL 200 und ZF-EcoLife im Solaris Urbino 12. Ein echter Meilenstein und ein aktueller Stadtbus gehen gemeinsam auf Probefahrt.

Zwischen diesen zwei Fahrzeugen liegen objektiv rund 35 Jahre Entwicklungszeit, gefühlt sind es aber Welten. Das fängt schon beim äußeren Eindruck an. Hochbeinig und kompakt wirkt der elf Meter lange Hochboden-Oldie der ersten Standardbus-Generation, geduckt und wie auf die Straße hingestreckt der aktuelle Niederflurbus aus Polen. Statt uns aber auf diese beachtliche Niederflurhistorie zu konzentrieren, sehen wir uns die nicht weniger eindrucksvolle Entwicklung der Getriebetechnik im Stadtbus näher an. Ist doch der mehr als 5.000 Mal gebaute MAN SL 200 aus dem Baujahr 1981 – seit Jahren in treuen ZF-Schulungsdiensten und 2012 aufs Feinste überarbeitet – einer der ersten Vertreter mit dem ZF-Ecomat-­Getriebe. Das wurde seitdem über 300.000 Mal gebaut und darf gerade langsam auf das verdiente Altenteil gehen.

Freilich gab es schon vorher diverse Konzepte der Techniker am Bodensee, um das Sortieren der Gänge im Bus einfacher und komfortabler zu machen. Einen ersten Schritt dazu stellte 1951 das sogenannte „Media-Getriebe“ dar, das unter der Regie des damaligen Technik-Vorstands Albert Maier entwickelt wurde. Basis des Media-Getriebes war ein über Lamellenkupplungen synchronisiertes Schaltgetriebe, das erstmals die Möglichkeit einer mechanischen Fernschaltung bot, was sich besonders beim Bus mit ­seinem hinten eingebauten Motor als vorteilhaft erwies.

Bedeutender Schritt im Jahr 1954

Bedeutender war jedoch der nächste Entwicklungsschritt, der bereits im Jahr 1954 realisiert wurde. Wesentlicher Unterschied des „Hydro-Media“-Getriebes 3 HM mit drei Gängen ist der Einsatz eines hydraulischen Drehmomentwandlers. Der Wandler ist so ausgelegt, dass die Leistung nur im ersten Gang hydraulisch übertragen wird, während sie in den beiden oberen Gängen durch Zahnradeingriff, also direkt, fließt – ein Prinzip, das noch heute grundlegend ähnlich, aber kaum mehr spürbar realisiert ist. Der Wandler ermöglicht dabei ein besonders ruckfreies, weiches Anfahren und Beschleunigen. Der Gangwechsel erfolgt zudem durch die Lamellenkupplungen ohne unerwünschte Zugkraftunterbrechung. In der ersten Vollautomatik lag die eigentliche Entwicklungsarbeit der nächsten Evolutionsstufe, des 2 HP 45-Planetenrad-Getriebes, das nun ganz auf den dritten Gang verzichtete und als „Busmatic“ vermarktet wurde.

Nicht nur das änderte sich schlagartig mit der neuen Automatikgeneration, dem Ecomat, der anno 1978 der Vollautomatik für den Stadtbus endgültig zum Durchbruch verhalf. Die Zahl der Gänge der neuen, modular konzipierten Schaltbox mit der Bezeichnung ZF 5 HP 500 steigerte sich und betrug nun vier bis hoch zu sieben Gängen. Zudem wurde die geringe Motorbremsleistung durch einen integrierten Retarder gewährleistet. Doch lassen wir die Technik live auf uns wirken, statt weiter in den Archiven zu kramen.

Fußbodenhöhe von 735 Millimetern

Nachdem wir die drei Stufen hinauf auf die damals gängige Fußbodenhöhe von 735 Millimetern erklommen haben, machen wir es uns im Cockpit gemütlich. Hinter dem Schwingsitz an der Wand findet sich prominent der Kasten für die elektronische Getriebesteuerung – ein Novum, das schnell (sogar vor den Pkw-Getrieben) zur Norm wurde und heute eine In-House-Kompetenz von ZF ist. „Gear-by-wire“ war also damals in Friedrichshafen schon kein Fremdwort mehr. Der MAN-Löwe fehlt zwar auf unserem zeittypischen cremefarbenen Bakelit-Lenkrad, das mit einer ZF-Lenkung des Typs 8065 verblockt ist, dafür finden wir umso mehr teilweise kryptische Schalter auf dem kompakten Armaturenträger. Mit einem dezenten, aber spürbaren Schütteln erwecken wir den 200 PS starken Sechszylinder MAN D2655 MUH mit ebenso dezenten 775 Newtonmetern an maximalem Drehmoment zum Leben: Hinter dem Wagen machen sich die damals noch fehlenden Abgasnormen entsprechend bemerkbar, auch wenn der Prospekt etwas von einer „Verbesserung der Abgaszusammensetzung durch das MAN-M-System“ fabuliert. Sodann muss noch die rustikale, aber unübersehbare Haltestellen- und Federspeicherbremse im Stil einer DB-Lokomotive gelöst werden und los geht es.

Zackiger älterer Herr

Der alte Herr geht gar nicht so zaghaft zu Werke, so der erste Eindruck. Die vordere Einzelradaufhängung – ja, die gab es auch bei MAN schon einmal – gibt sich redlich Mühe, trotz fehlender Servolenkung für ­Basis-Komfort zwischen Querrille und Schlagloch zu sorgen. Mit Nachdruck schiebt der rund 11,3 Tonnen schwere Stadtbus mit 44 neu aufgepolsterten Sitzen im ersten, elektro­hydraulisch gesteuerten Gang an. Nach rund 100 Metern folgt das unvermeidliche Absinken der Drehzahl mit einem vernehmlichen Jaulen, das deutlich das Schließen des Wandlers verkündet. Die nächsten Gangwechsel gestalten sich weniger operettenhaft, ja fast schon beiläufig. Flugs liegen 60 und 80 km/h an, von altersbedingter Trägheit heute keine Spur, auch wenn der Tachometer etwas verschämt nicht viel mehr als 50.000 Schulungskilometer zur Schau stellt. Jetzt aber den Retarder und dann die Trommelbremsen rundum aktivieren – der Kreisverkehr naht. Beim Bremsen und Wiederbeschleunigen im Rondell zeigt sich eine bauartbedingte Eigenart des Ecomat-Getriebes der ersten Generation (vier weitere sollen bis 2006 noch folgen): Ein allzu zaghafter Umgang mit dem Gaspedal ist nicht angesagt, die Mikroelektronik braucht eine feste Hand und klare Ansagen, sonst verschluckt sich das Räderwerk auch mal  an seinen feingeschliffenen Zähnen. Also: Klare Kante zeigen.

Zeitsprung: Vom erhöhten Schwingsitz der Busgeschichte steigen wir hinab in den Niederfluralltag der Jetztzeit, der uns schon allzu vertraut und kaum mehr wegzudenken ist. Das Fahrzeug ist um einen Meter in der Länge gewachsen, der Boden rückt aber der Fahrbahn nun auf rund 35 Zentimeter nahe, das ist nur noch halb so hoch wie im Standardbus-MAN. Der Solaris Urbino 12 steht zwar schon kurz vor der Ablösung, trotzdem ist der Solobus mit der asymmetrischen Frontscheibe ein erfolgreicher und bekannter Vertreter der Stadtbusszene: Die Firma ging immerhin aus dem polnischen Ableger von Neoplan hervor und schlägt sich redlich auf dem Weltmarkt. Gleiches lässt sich auch über die neueste Evolutionsstufe des ZF-Räderwerkes sagen, die seit 2007 auf den modernen Namen EcoLife hört und ­serienmäßig sechs Gänge bietet. Gepaart ist die Box hier mit einem DAF-Motor, der jedoch 328 PS und 1.400 Newtonmeter leistet und dank Euro-6-Norm kaum mehr zu riechen ist. Die Zeiten ändern sich eben – zum Glück. Direkt neben dem als einzigem Bauteil noch standardisierten VDV-Armaturenträger ist ein Monitor angebracht, der in Echtzeit alle Daten des Getriebes preisgibt. Also klemmen wir uns hinter das bekannte Steuer und lassen die moderne Niederflurwelt auf uns einwirken. Zu der gehört heute bei den allermeisten Herstellern auch die fein austarierte Einzelradaufhängung von ZF, die gerade auf 8,2 Tonnen aufgelastet wurde. Sanft und säuselnd setzt sich der Bus in Bewegung, das Handling ist ungleich Pkw-­artiger als im rohen MAN-Oldie. Kaum ist der Wagen in Bewegung, springt auf dem Monitor ein großes Symbol von Rot auf Grün, der hydraulische Wandler schließt, die Gänge werden nun direkt durchgetrieben, Zahnrad an Zahnrad. Im Gegensatz zum ersten Ecomat schließt der Wandler heute sehr schnell nach dem Anfahren, der Vorgang ist kaum zu merken, geschweige denn zu hören. „Nicht zuletzt bringt das spürbare Verbrauchsvorteile, aber auch ­einen deutlichen Geräuschvorteil“, erläutert Dr.-Ing. Harry Nolzen, Leiter der Abteilung Lastschaltautomatgetriebe in Friedrichshafen. Weitere Einsparungen bringt die topografie­abhängige Getriebesteuerung TopoDyn Life, die ebenso wie die sechs Gänge schon in der letzten Ecomat-Generation Einzug gehalten hatte – ZF spricht von fünf bis sieben Prozent.

Vielfältige technische Innovationen

An technischen Innovationen gibt es so viele, dass man sie hier nur knapp und kursorisch aufzählen mag: separat gekühlter Retarder, hauseigene Elektroniksteuerung, direkt und gekühlt am Getriebe angebracht und mit telemetrischer Auslesemöglichkeit; mögliche Eingangsdrehmomente bis zu 2.100 Newtonmeter, 40-prozentige Lebensdauersteigerung, erstmalig verbauter Turbinen-Torsionsdämpfer, ­erhöhte Temperaturverträglichkeit, optimierte Neutral­schaltung AIS bei Leerlauf und so weiter. All diese Finessen lassen sich in diesem Bus stellvertretend erleben. Und nicht nur in diesem, wir konnten in den letzten Monaten vermehrt Überlandmodelle mit dem Getriebe fahren, die alle ­eines gemeinsam haben: Ein perfekteres und komfortableres Zusammenarbeiten von Motoren und Kraftübertragung kann man selten erleben, sei es voll beladen auf der Real-Life-Teststrecke oder mal dynamisch im Testoval beim Hersteller. Kaum merklich in Gasfuß oder Gehörgängen flutschen die Gänge von eins hoch bis sechs. Die Spreizung von bis zu 12,6 trägt dazu bei, dass fast zu jedem Zeitpunkt der Strecke die ideale Drehzahl anliegt, was sowohl Motor als auch Geldbeutel des Betreibers schont.

Entscheidende Frage: Wo soll das alles nur hinführen? Dr. Nolzen verrät zumindest die Richtung, in die es geht: „Wir werden in Zukunft ganz klar noch höhere Drehmomente entwickeln, die dann auch für den Reisebus geeignet sind.“ Das macht in der Tat Sinn. Denn wer schon einmal einen US-amerikanischen Reisebus mit Wandlerautomatik gefahren ist, kann der Versuchung kaum widerstehen, sich dieses Getriebekonzept in allen Fahrzeuggattungen zu wünschen.

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