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Gotthard Alarm in den Alpen

Gotthard, Erdrutsch Foto: SBB

In der Schweiz herrscht höchste Not. Nach einem Felssturz bei Gurtnellen haben die Eidgenossen die Bahnlinie gesperrt. Das hat weitreichende Auswirkungen auf alle Verkehre.

Der Erdrutsch am Gotthard hat auf die alpenquerenden Verkehre erhebliche Auswirkungen. Es kann Ende Juli werden, bis die Strecke wieder voll betriebsfähig ist. Bis dahin fährt dort kein Güterzug, im Alpenraum könnte sich ein Verkehrschaos anbahnen. Die Schweizer fürchten eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Schiene auf die Straße.

Aus wenig mach mehr

Die Bemühungen, das Problem in den Griff zu bekommen, sind sofort auf Hochtouren angelaufen. Kurzfristig berichteten die Schweizer Bahnen (SBB), dass 40 Prozent des Güterverkehrs vom Gotthard über den Simplon abgewickelt werden könnten, auch zu Lasten des Personenverkehrs. Im italienischen Domodossola arbeitet der Zoll rund um die Uhr, um die von 115 auf 135 aufgestockten Güterzüge täglich von der Simplonstrecke abzufertigen.

"Aus wenig mach mehr" – nach diesem Motto habe die Schweiz zusätzliche Kapazitäten für den Schienengüterverkehr frei geschaufelt. Denn der Brennerpass steht wegen Sanierungsarbeiten als mögliche Ausweichstrecke nur einspurig – also eigentlich gar nicht – zur Verfügung. Der Gau für den Güterverkehr auf Schienen hätte in den geologisch instabilen Alpen ebenso gut die Straße treffen können. Nicht zuletzt deshalb fordern Experten, endlich eine koordinierte Verwaltung der sensiblen Alpenrouten zu verwirklichen.

Astag verlangt Nachtfahr-Bewilligungen

Als Reaktion verlangt der Schweizer Transportverband Astag nun neben pauschalen Nachtfahr-Bewilligungen ein Anheben der Gewichtslimite von 40 auf 44 Tonnen und eine Lockerung bei den Auflagen für Gefahrguttransporte im Gotthard-Straßentunnel. Er begründet dies mit der Notwendigkeit, die Versorgung in der Schweiz aufrechtzuerhalten. Auch müsse das Dosiersystem dort schwere Nutzfahrzeuge gegenüber dem Reiseverkehr bevorzugen. Angedacht werden solle, dass der Personenverkehr die Bergstrecken, etwa über den San Bernardino, den Simplon oder den Großen Sankt Bernhard, nimmt, während Lkw verstärkt durch den Tunnel fahren können.

Für solche Maßnahmen sah das Bundesamt für Straßen (Astra) zunächst keine Veranlassung.  "Derzeit versinken wir nicht in einer Lastwagenlawine", sagt ein Sprecher gegenüber trans aktuell. Auch für ein generelles Aushebeln des Nachtfahrverbotes gebe es keinen Grund. Der Tropfenzähler am Gotthard soll als Sicherheitsmaßnahme bestehen bleiben und wird für den Schwerverkehr bis zu einem Maximum von 150 Lkw pro Stunde offen gehalten.  "Das ist eine Größe, die wir praktisch nie erreichen", sagte der Sprecher.

Auf der Simplon-Passstraße werden zwei Baustellen aufgehoben

Verkürzt werden die nächtlichen Sperrungen für Bauarbeiten im Gotthard-Straßentunnel zwischen dem 11. und 28. Juni: Anstatt um 20 Uhr beginnen sie erst um 22.15 Uhr. Eine Verschiebung der Sperrnächte sei aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Auf der Simplon-Passstraße werden zwei Baustellen so weit aufgehoben, dass die Straße durchgehend zweispurig befahrbar ist. Generell habe der Straßentunnel genügend Reserven und sei imstande, pro Tag bis zu 6.000 Lkw zu bewältigen.

Um die verfügbaren Schienen-Transportkapazitäten optimal zu nutzen, haben die verschiedenen Kombi-
Operateure und Bahnunternehmen ihre Kräfte gebündelt: So kürzt zum Beispiel die Rola-Betreiberin R-Alpin
ihr Angebot über die Lötschberg-
Achse, damit mehr Züge für unbegleitete Sendungen fahren können, die zwingend auf den Schienentransport angewiesen sind.

Hupac steuert das Verkehrsvolumen

Das Unternehmen BLS Cargo stellt im Auftrag der Infrastrukturbetreiber SBB/BLS allen Bahnunternehmen Schiebedienste auf den Bergstrecken zur Verfügung. An den Grenzen setzt SBB Cargo International zusätzliche Rangierteams ein. Hupac steuert das Verkehrsvolumen so, dass eine maximale Auslastung der Züge erreicht wird. Auf der Rola haben Gefahrguttransporte Vorrang, um die Zunahme von Gefahrgutsendungen im Straßentransit einzuschränken.

Bis zu 150 Güterzüge befahren täglich die Gotthard-Strecke. "Jetzt stauen sich viele am Lötschberg, weil sie dort mit dem Personenverkehr zusammentreffen", stellt Martin Burkert, Vorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), fest. Dies führe dazu, dass einige Züge aus logistischen Gründen nicht umgeleitet werden könnten. Deshalb seien kurzfristige Maßnahmen vonnöten. "Dem Güterverkehr muss am Lötschberg absolute Priorität eingeräumt werden", verlangt der Gewerkschafter.

Der neue Gotthard-Basistunnel steht erst in vier Jahren zur Verfügung

Eine länderübergreifende Task-Force müsse her, um ein Umlenken von Gütern von der Schiene auf die Straße zu verhindern, fordert nicht nur Burkert, sondern auch Bahnunternehmen und Kombi-Operateure. Der neue Gotthard-Basistunnel steht schließlich erst in vier Jahren zur Verfügung, und im vergangenen Jahr wurden fast 27 Millionen Tonnen Güter auf der Bahn durch die Schweiz transportiert. Damit lag der Anteil der Schiene bei stolzen 64 Prozent, am meisten ging durch den Gotthard.

Handlungsbedarf sehen Bahnen und Operateure auch beim Baustellen-Management. International koordiniert müssten alle Alpenübergänge berücksichtigt werden, mit dem Ziel, bei unvorhersehbaren Ereignissen ausreichend Transportkapazitäten aufrechtzuerhalten. Für den Notfall müsse auch eine Verschiebung von  Bauarbeiten eine Option sein, so die Forderung des Kombi-Operateurs Hupac.

Zeitgleiche Bauarbeiten an mehreren zentralen Transitachsen, wie in diesen Sommer mit teilweisen Vollsperren der Simplon- und Brennerstrecken, seien ein untragbares Risiko. Notwendig sei ein international koordiniertes Infrastruktur-Management, besonders im sensiblen Alpenraum.

Die wirtschaftlichen Folgen

Noch sind die Folgen nicht völlig absehbar. Fest steht jedoch schon jetzt: Die Unterbrechung der Gotthard-Strecke auf der Schiene verursacht enorm hohe Kosten für alle Beteiligten der intermodalen Transportkette. Die Unternehmen der Bahnbranche, darunter auch der deutsche Operateur Kombiverkehr, rechnen mit Schäden in Millionenhöhe. Wesentlich höher seien jedoch die indirekten Kosten eines Vertrauensverlustes seitens der Kunden und einer möglichen Rückverlagerung auf die Straße, schreiben zum Beispiel die SBB. Deswegen sei der Ausbau und die Kapazitätserhöhung aller drei Transitachsen durch die Schweiz, namentlich der Lötschberg-, Luino- und Chiasso-Achse, ein absolutes Muss für die Verkehrsverlagerung.

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