Flüchtlinge und Führerscheine Wider die Berufsehre

Schulung von Migrant bei Fahrschule. Foto: Johannes Roller

Radiointerview mit Folgen: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vorgeschlagen, dass Asylbewerber über ein Darlehensprogramm ihren Führerschein schneller umschreiben können sollen, denn überall in Deutschland würden Kraftfahrer gesucht. Altgediente Lkw-Fahrer sind nicht amüsiert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am 15. September in einem Radiointerview auf RBB  unter anderem beschrieben, wie sie Asylbewerber schneller in Arbeit bringen möchte. In der Tagespresse war dann Folgendes zu lesen: "Wir haben neulich im Kabinett diskutiert, dass das Umschreiben einer syrischen Fahrerlaubnis in eine deutsche 500 Euro kostet. Und natürlich hat ein Flüchtling nicht sofort 500 Euro. Also hilft da vielleicht ein Darlehensprogramm. Wenn man dann verdient, kann man diese 500 Euro zurückzahlen. Es werden überall Kraftfahrer gesucht." Ich habe mir sicherheitshalber das Interview einmal selber angehört. Und siehe da. Was in der allgemeinen Zitierwut völlig untergegangen ist, ist Merkels Nachsatz dazu: „Eine Lkw-Fahrerlaubnis kostet 3.000 Euro.“ In keiner mir bekannten Sekundärquelle taucht dieser Satz allerdings auf. Aber es macht eben den Unterschied aus. Denn kaum ist das unvollständige Zitat in der Welt, bricht unter deutschen Fahrern auch schon Empörung aus.

Verband der Berufskraftfahrer spricht sich entschieden dagegen aus

Als erstes spricht sich der der Bund Deutscher Berufs-Kraftfahrer (BDBK) in der Passauer Neuen Presse dagegen aus. "Wir sagen ganz klar Nein dazu", sagte der Vorsitzende des BDBK, Wolfgang Westermann, der auch Präsident der Bundesvereinigung der Berufskraftfahrverbände ist. Für den Beruf des Kraftfahrers benötige man eine gründliche und qualifizierte Ausbildung. "Man kann nicht jeden auf einen Vierzigtonner setzen und damit losfahren lassen", sagte er. "Damit löst man keine Probleme." Zwar würden Spediteure händeringend Fahrer suchen, doch handele es sich bei Berufskraftfahrern um hochqualifizierte Kräfte mit großer Erfahrung im Straßenverkehr.

Offener Brief an die Bundeskanzlerin

Wenig später kocht die Sache bereits auf Facebook hoch. Der offene Brief eines bereits aus dem Beruf geschiedenen Fahrers an die Bundeskanzlerin wird vielfach geteilt. Er schreibt, was offensichtlich viele deutsche Fahrer denken: Merkels Plan sei wider die Berufsehre des deutschen Lkw-Fahrers. In diesem Brief  heißt es unter anderem: „Wissen sie eigentlich wie abwertend und geringschätzig sie mit ihrem Vorschlag Lkw-Fahrer bewerten? Sie beleidigen damit alle Menschen, die im Transport-und Logistikwesen am Lenkrad eines Lkw sitzen.“ Das ist, ich kann es nicht anders sagen, beschämend. Auch weil der Autor sich nicht einmal fünf Minuten hingesetzt hat, um die führerscheinrechtlichen Bedingungen abzuklopfen.

Zunächst also die Fakten

Es ist unter anderem die Aufgabe der Fachpresse, wieder etwas Ordnung in das Chaos der Gerüchte und Vermuten zu bringen, das sich im Internet schnell verbreitet. Zunächst also die Fakten: In der deutschen Fahrerlaubnisverordnung (FeV) gibt es in der Anlage 11 eine Liste, von Ländern, deren Führerscheine umgeschrieben werden können. Syrien steht nicht darauf. Ob das die Bundeskanzlerin wissen sollte, bevor sie mit ihren Plänen – nach Gesprächen mit Vertretern verschiedener DAX-Konzerne – an die Öffentlichkeit geht, ist hier eine andere Frage. Wahrscheinlich wusste sie es nicht, denn um die Details kümmern sich in der Regel ihre Fachberater oder die Referenten der zuständigen Ministerien. Was ihr wohl ebenfalls niemand gesagt hat: Ein ausländischer internationaler Führerschein, also auch ein syrischer, wenn der überhaupt ausgestellt worden ist, berechtigt nach Begründung des ordentlichen Wohnsitzes nur sechs Monate zum nicht gewerblichen Führen von Kraftfahrzeugen, kann jedoch auch danach noch unter erleichterten Bedingungen in eine deutsche Fahrerlaubnis „umgetauscht“ werden.

Es geht um den Führerschein Klasse B

Und das heißt: Die deutsche Fahrerlaubnis für die entsprechende Klasse von Kraftfahrzeugen wird erteilt, wenn die theoretische und praktische Prüfung für diese Klasse ablegt wird. Die Bewerber müssen bei der praktischen Prüfung von einem Fahrlehrer begleitet sein. Nicht erforderlich ist lediglich eine Ausbildung in einer Fahrschule wie bei einem Ersterwerb einer Fahrerlaubnis. Am Ende entscheidet die lokale Behörde, ob der Theorieunterricht vielleicht entfallen darf. Praktiker halten das für unmöglich. Faktisch bieten Ausbildungsorganisationen bereits mehrwöchige Ausbildungen mit Sprachunterricht, Gabelstaplerkursen und Führerscheinerwerb an.
Im Folgeschluss heißt das weiter: Es geht hier bei Merkels Plan vordergründig um den Führerschein der Klasse B für Fahrzeuge bis einschließlich 3,5 Tonnen. Der Vorteil: Dafür sind in der Regel, wenn die Transporter keinen digitalen Tacho haben, weder der Eintrag des Code 95 in den Führerschein nötig, noch eine Fahrerkarte und auch keine Beschleunigte Grundqualifikation, die seit September 2009 alle Fahrer für Lkw über 3,5 Tonnen mit einer Prüfung vor der IHK ablegen müssen.

Prüfung in deutscher Sprache

Im deutschen Güterkraftverkehr gilt es jährlich rund 20.000 Stellen neu zu besetzen, denn bis 2020 werden rund ein Drittel der rund 800.000 Berufskraftfahrer aus Speditionen und Werkverehr im Ruhestand sein. Junge Leute kommen kaum noch nach. Im Schnitt werden pro Jahr etwas über 3000 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen, etwa 40 Prozent der Azubis schieden aber vor der Prüfung wieder aus. Um also für 3.000 Euro einen „richtigen“ Lkw-Führerschein zu erwerben, ist für jedermann eine mindestens 140-stündige Schulung notwendig, die mindestens dieselbe Summe kostet, und die mit einer Prüfung ausschließlich in deutscher Sprache vor der IHK stattfindet. Das ist für viele eine große Hürde.

Im vergangenen Jahr haben nach den Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) von den 15.481 zur Prüfung angetretenen Absolventen der Beschleunigten Grundqualifikation am Ende 13.142 die Prüfung überstanden, eine Quote von 84,89 Prozent. Die meisten Kurse wurden von der Arge oder der Arbeitsagentur bezahlt, um in der Regel arbeitslose Menschen in den Beruf zu bringen. Sollte als eines Tages auch ein anerkannter Asylbewerber diesen steinigen Weg gegangen sein, gäbe es keinen Grund, an seiner Qualifikation zu zweifeln.

Die Arroganz mancher Berufskraftfahrer

Was mich an der Debatte erschreckt, ist die Arroganz mancher Berufskraftfahrer. Viele der Älteren haben ihren Führerschein selber auf Staatskosten gemacht – nämlich bei der Bundeswehr. Manche zeigen sich auch immer noch resistent gegen die Modulschulungen, was sich auch an der aktuellen Kontrollstatistik des BAG  ablesen lässt.
Die Überheblichkeit spiegelt sich auch in den ständigen Kommentaren gegenüber Fahrern aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, die ständig irgendetwas kaputtfahren würden. Die Sorgen, dass deutsche Fahrer in einigen Transportunternehmen durch osteuropäische Billigfahrer ausgetauscht würden, stehen permanent im Raum und trifft in manchen Fällen wohl auch zu. Aber die Mehrheit der gut qualifizierten deutschen Fahrer ist eben nicht arbeitslos. Was stimmt ist, dass der Druck durch den Wettbewerb aus Osteuropa auf Frachten und Löhne stark gestiegen ist. Ein Problem ist dabei in ganz Europa gleich: Auf Grund der demografischen Falle werden in allen europäischen Ländern, auch in Deutschland, Leute auf Lkw gesetzt, die sich dort sehr schwer tun, aber eher Unterstützung nötig hätten als Häme. Arbeitslose und Umschüler zum Beispiel.

Gefahr der Ausbeutung

Nach besonnener Überlegung wird ein anerkannter Asylbewerber also, wenn überhaupt, mit seinem umgeschriebenen Führerschein und seiner Kurzprüfung eine Stelle als Kraftfahrer im Bereich der Kurier- und Paketdienste finden. Die Kritik, dass er dann Gefahr läuft, von unseriösen Frachtführern ausgebeutet zu werden, halte auch ich für durchaus gerechtfertigt. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Abwertende Äußerungen wie die eines Fahrers, dass man sich in Acht nehmen müsse, wenn diese Kameltreiber dann mit einem Transporter in der Stadt unterwegs seien, sind jedenfalls beleidigend und schaden dem Ansehen der deutschen Fahrer.

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