Flüchtlinge in Calais Nur mit starken Nerven

Illegale Flüchtlinge Foto: Depardon, Dieckmann, Hub, Amnesty International

Die Flüchtlingssituation in Nordfrankreich spitzt sich weiter zu. Die Branche kann sich auch einen Armee-Einsatz vorstellen.

Wer mit dem Lkw nach England muss, braucht starke Nerven. Die Lage hat sich nicht entspannt in Nordfrankreich, wo Tausende Flüchtlinge alles versuchen, illegal an Bord eines Fahrzeugs zu kommen. Auf den Straßen Richtung Eurotunnel oder zu den Fähren hin herrscht dadurch ein kriegsähnlicher Zustand: Dort ist der Flüchtling der Feind des Fahrers, und der Fahrer ist der Feind des Flüchtlings. Der eine muss einen harten Job machen und der andere will seiner miesen Situation in einem der wilden Camps in Matsch und Kälte entkommen. Die Feindseligkeit zwischen beiden ist ein Kind der Angst, der Hilflosigkeit und Wut und gründet auf der Unfähigkeit der Politik, eine Lösung für die verfahrene Situation zu finden.

Aggressive Stimmung

Wohin das führen kann, hat kürzlich ein mehr als drei Millionen Mal angeklicktes Video im Internet gezeigt. Ein ungarischer Fahrer hat sich selbst dabei gefilmt, wie er mit seinem Lkw unter wüsten Beschimpfungen mehrmals auf eine Gruppe von Migranten zufährt. Den Flüchtlingen wiederum wird vorgeworfen, den Fahrern nach dem Leben zu trachten. Sie werfen Steine in Windschutzscheiben oder greifen mit Brechstangen oder Baseballschlägern an.

Von einem "wahren Albtraum" spricht der Chef des britischen Straßentransportverbands Road Haulage Association (RHA), Richard Burnett. "Die britische Regierung und die französischen Behörden können doch nicht darauf warten, dass erst ein Fahrer ums Leben kommt, bevor sie handeln", sagte er. Die Zahl der Flüchtlinge habe sich seit August verdoppelt und ihre Verzweiflung habe einen Punkt erreicht, wo sie vor nichts mehr zurückschreckten. Die Franzosen müssten ihre Armee zum Schutz von Fahrzeugen und Fahrern einsetzen, erklärt der Verband.

Militärischer Schutz für die Lkw möglich

Für den Einsatz der Armee hatte auch schon die Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart, plädiert. Inzwischen ist es auch für den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Prof. Dr. Karlheinz Schmidt, kein unrealistisches Szenario mehr, dass quasi jeder Lkw von einem Soldaten geschützt wird. "Da steht dann alle 20 Meter ein Posten. Das ist machbar", sagt er gegenüber trans aktuell. Allein die Präsenz bewaffneter Kräfte könne abschreckend wirken. Wären sie direkt vor Ort, könnten sie auch schnell ein von Flüchtlingen geentertes Fahrzeug isolieren und die Flüchtlinge wieder von Bord holen.

Ob Paris dazu bereit sein wird, ist mehr als ungewiss. Jedenfalls teilte das britische Innenministerium auf Anfrage mit, dass Frankreich seine Zusagen eingehalten und 300 zusätzliche Gendarmen und 160 Mann Bereitschaftspolizei in die Region verlegt habe. "Das ist ein Plus von fast 60 Prozent und es gibt Berichte, dass das eine unmittelbare Wirkung hatte", sagt Einwanderungsminister James Brokenshire.

In Calais soll abgesicherte Wartezone für Lkw entstehen

Von britischer Seite wird gegenüber trans aktuell betont, dass man sich der Probleme der Branche sehr bewusst sei und daran – auch gemeinsam mit den Franzosen – arbeite. So soll in Calais eine neue abgesicherte Wartezone für Lkw mit Ziel Großbritannien entstehen, die Platz für 230 Fahrzeuge biete. "Sie wird im Frühjahr 2016 fertig sein", sagt Brokenshire. Der britische Grenzschutz habe zudem die Zahl der Spürhunde verdoppelt. Zur Kenntnis genommen hat man auf der Insel auch, dass Frankreich Tausende neue Asylbewerberplätze außerhalb von Calais geschaffen habe. Hunderte Migranten hätten in der Folge bereits freiwillig die Region verlassen, so das Ministerium.

Das alles wirkt wie Pfeifen im Walde, denn inzwischen ist das Camp in Calais weiter gewachsen. Inzwischen sollen sich dort Medienberichten zufolge mehr als 6.000 Menschen aufhalten. Aber die beiden EU-Länder Großbritannien und Frankreich trennt mehr als eine Außengrenze, von einem konstruktiven gemeinsamen Ansatz sind sie weit entfernt. Die Erhöhung der Zäune durch die Briten habe bewirkt, dass ein Teil der Migranten in Richtung Dünkirchen abwandere und dort versuche, die Fähren zu entern, heißt es vom BGL.

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