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Feldversuch Der Gang nach Canossa

 Lang LKW Mercedes-Benz Actros 2545 Foto: Karl-Heinz Augustin

Bosch Siemens Hausgeräte und die schwäbische Spedition Schwarz aus Herbrechtingen setzen auf den Lang-Lkw. Die Ausnahmegenehmigungen für die beiden Fahrzeuge zu bekommen, gestaltet sich aber schwierig.

Pionierarbeit ist bisweilen schwer. Im Gespräch mit Manfred Brauckmann, Leiter des Lieferzentrums von Bosch Siemens Hausgeräte (BSH) in Giengen, und Thomas Schwarz, Geschäftsführer der Spedition Schwarz im benachbarten Herbrechtingen, ist den beiden ein gewisses Maß an Frust anzumerken. Seit Monaten bemühen sie sich um die nötigen Ausnahmegenehmigungen, um zwei Lang-Lkw einsetzen zu dürfen. Stattdessen tauchen immer neue bürokratische Hürden auf.

BSH ist der Hauptkunde von Schwarz. Auf die Lkw kommt daher vor allem die sogenannte weiße Ware, also Geschirrspüler, Kühlschränke und Co. Sperrige Produkte zwar, die aufs Gewicht bezogen aber keinen 40-Tonner auslasten.

Ein Nein der grün-roten Landesregierung aus Stuttgart

Ein Paradebeispiel für den Einsatz des Lang-Lkw, könnte man meinen. Wäre da nicht unter anderem das kategorische Nein der grün-roten Landesregierung aus Stuttgart. So fangen die Probleme schon vor der eigenen Haustür an. Denn in Baden-Württemberg werden die Lang-Lkw nur auf der A 7 geduldet. Zwischen dem Speditionshof und der Autobahn liegen gerade einmal 2,4 Kilometer – fast ausschließlich Bundesstraße.

Sollte es beim Nein der politisch Verantwortlichen bleiben, hat Schwarz schon einen Plan B in der Tasche: "Dann fahren wir mit zwei Lkw an die Rastanlage Lonetal und koppeln dort auf einen Lang-Lkw", sagt er. Das bedeute zwar rund zwei Stunden zusätzlichen Zeitaufwand sowie 43 Extra-Kilometer, aber die nehme er gerne in Kauf. Daher betrachtet er das Ganze eher als Pionierarbeit. Betriebswirtschaftlich lasse sich das Projekt zur Zeit jedenfalls nicht darstellen, erklärt er.

Eine Ausnahmeregelung zu bekommen, ist mit viel Arbeit verbunden

Hinzu kommen zahlreiche bürokratische Hürden, um dann ans eigentliche Ziel, etwa in einem Gewerbegebiet, zu kommen. "Meist fehlen bis zum Entladepunkt nur wenige Meter. Dafür eine Ausnahmeregelung zu bekommen, ist jedoch mit viel Arbeit verbunden", sagt der Spediteur. Drei mögliche Rundläufe hat er in der Schublade. Wobei er den Rundlauf vom Rasthof Lonetal nach Leinefelde und Hannover sowie wieder zurück favorisiert. Möglich sei auch die Route von Lonetal aus nach Bad Neustadt und retour. "Das wäre zumindest eine kurzfristige Lösung, bis die anderen Strecken freigegeben sind", sagt Schwarz gegenüber trans aktuell.

Weniger Begeisterung macht sich bei ihm bei der dritten möglichen Streckenführung breit. Die ginge vom besagten Rasthof über Leinefelde nach Bad Neustadt und wieder zurück. "Bei dieser Variante kommt es zu Leerkilometern von Leinefelde nach Bad Neustadt. Sie ist daher weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll", erklärt der Unternehmer. In jedem Fall würde man aber die Genehmigungen in Hannover möglichst schnell benötigen. "Unser Feldversuch scheitert bislang an 300 Metern bis zur Be- beziehungsweise Entladestelle", erklärt Thomas Schwarz.

Es bleibt bei 44 Tonnen für den Kombinierten Verkehr

Das ist zum einen dem langwierigen Genehmigungsverfahren geschuldet. Denn die erste Anlaufstelle sind die betroffenen Kommunen. Die Verantwortlichen dort haben sich aber oft noch nicht mit dem Lang-Lkw beschäftigt. "Wir bekommen da nach wie vor die Rückmeldung, dass man keine 60-Tonner wolle, die nur die Straßen kaputt machen", erzählt Schwarz. Dann müsse er jedes Mal aufs Neue erklären, dass es bei den 40 Tonnen beziehungsweise den 44 Tonnen für den Kombinierten Verkehr bleibt. Und dass die Fahrzeuge technisch so ausgerüstet sind, dass die Fahrt weder unsicherer noch schwieriger als mit einem "normalen" Sattelzug ist. "Durch die Konstruktion benötigen sie nicht einmal einen größeren Wendekreis", erklärt der Spediteur.

Gerne wird auch das Argument ins Feld geführt, dass damit lediglich der Bahn Kapazitäten entzogen würden. Da kann BSH Logistik-Leiter Manfred Brauckmann nur verwundert den Kopf schütteln. "Der Anteil der Schiene am Modalspilt liegt bei etwa 17,5 Prozent. Ziel von Bahnchef Rüdiger Grube ist es, diesen auf 30 Prozent im Jahr 2030 zu erhöhen", sagt er im Gespräch mit trans aktuell. Nun würden allerdings alle Prognosen von signifikanten Zuwächsen im Güterverkehr ausgehen. Das bedeute ein Plus bei allen Verkehrsträgern – unabhängig von deren prozentualem Anteil. "Fakt ist jedoch, dass die Schiene auf wichtigen Relationen bereits heute keine Kapazitäten mehr frei hat", sagt der BSH-Logistiker. So habe sein Unternehmen bereits vor langem um Laderaum Richtung Hamburg angefragt. "Wir haben sogar angeboten, quasi per Zuruf Sendungen auf die Schiene zu bringen", berichtet Brauckmann. Auf einen Rückruf warte er allerdings noch heute.

57 Prozent der Export-Güter gehen über die Schiene

Dabei braucht sich BSH in Giengen mit Blick auf den Kombinierten Verkehr ohnehin nicht zu verstecken: 57 Prozent der Export-Güter gehen über die Schiene. Insgesamt gesehen sind es immer noch rund 25 Prozent. Das kommt nicht von ungefähr. Denn das Lieferzentrum Giengen/Dillingen, liegt direkt an der Bahntrasse Aalen–Ulm. 2010 hatte BSH Logistik direkt am Standort ein eigenes Container-Terminal errichtet. Rund zwei Millionen Euro hat es gekostet. Eine Investition, die sich rechnen soll – und zwar in doppelter Hinsicht: zum einen ökonomisch, zum anderen natürlich ökologisch.

Apropos Umweltschutz: BSH fördert bei seinen Dienstleistern auch die Anschaffung von Euro 6-Lkw. Wer in diese Fahrzeuge investiert, bekommt einen besseren Platz beim Speditionswettbewerb von BSH. "Je besser die Platzierung in diesem Ranking ist, desto höher ist die Bonuszahlung, die der Dienstleiter von uns erhält", erklärt Manfred Brauckmann. Gleich 20 dieser Zugmaschinen hat allein die Spedition Schwarz bestellt. Zwei davon sollen die beiden Lang-Lkw-Kombinationen aus dem Hause Krone ziehen.

Eine Erweiterung des Zugangs zum Bahnnetz wird geplant

Doch zurück zur Schiene: Der Elektrogerätehersteller BSH plant bereits, den Zugang zum Bahnnetz zu erweitern. Umso weniger kann Brauckmann die Kritik am Lang-Lkw von Vertretern der Bahn nachvollziehen. "Streng genommen müssen wir doch froh sein, wenn wir die vor uns liegenden Kapazitätssteigerungen überhaupt bewältigen können. Da bleibt für alle Verkehrsträger mehr als genug zu tun", ist er überzeugt.

Natürlich sei der Lang-Lkw nicht die Lösung aller Probleme – aber zumindest ein möglicher Ansatzpunkt. Darin sind sich Brauckmann und Schwarz einig. "Wir brauchen viele kleine Bausteine, und einer davon ist der Lang-Lkw", erklärt BSH-Vertreter Brauckmann.

Doch bis der erst einmal fahren darf, braucht es viel Zeit: Der Weg, alle erforderlichen Genehmigungen zu bekommen, gleicht dem Gang nach Canossa. Denn die beschriebene Anfrage bei der Kommune ist nur der Anfang. Weiter geht’s über den Landkreis und den Landesverkehrsausschuss bis hin zur Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und dem Bundesverkehrsministerium. "Zu guter Letzt gibt anscheinend sogar noch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer seinen Segen", berichtet Schwarz.

Die Ausnahmegenehmigungen müssen im Bundesanzeiger veröffentlicht werden

Doch selbst, wenn alle Institutionen ihren Segen gegeben haben, heißt es nochmals abwarten. Damit die Ausnahmegenehmigungen offiziell werden, müssen sie erst im Bundesanzeiger veröffentlicht sein. Der wiederum erscheint nur alle paar Monate. Es handele sich um einen Spießrutenlauf, den viele Logistiker und Spediteure nicht ohne Grund scheuen, meint Schwarz. Das erklärt auch den eher dürftigen Zuspruch zum Feldversuch aus der Branche.

Lässt man die genannten Stolpersteine einmal außer Acht, hat das Konzept des Lang-Lkw für die beiden Unternehmen durchaus seinen Charme. 200 sogenannte Groß-Geräte-Einheiten (GGE) passen auf einen Jumbotrailer. Beim Lang-Lkw lassen sich mit einer Fuhre gleich 280 GGE befördern. "Das sind 40 Prozent mehr pro Lkw", rechnet Schwarz vor. Natürlich könne man das nicht eins zu eins als Gewinn verbuchen. Schließlich liege der Verbrauch dafür etwas höher. Auch sind die etwa 30.000 Euro für das Dolly zu berücksichtigen. Alles in allem rechnet der Spediteur mit einem Einspareffekt von 15 bis 20 Prozent. Der tritt allerdings nur ein, wenn es keine weiteren Einschränkungen mehr gibt.

Schwarz hält den Lang-Lkw auch aus einem anderen Grund für sinnvoll: als Antwort auf den Fachkräftemangel, der sich bei Speditionen mehr und mehr bemerkbar macht. Und auch der Beitrag zum Umweltschutz sei nachweisbar. Noch ein Grund, warum der Unternehmer die ablehnende Haltung der Landesregierung nicht nachvollziehen kann.
Bislang betrachtet Schwarz das Projekt deshalb eher als Pionierarbeit, bei dem sowohl die Spedition Schwarz als auch BSH drauflegen.

Der Verlader

BSH (Bosch und Siemens Haushaltsgeräte) ist mit seinen 40.000 Mitarbeitern nach eigenen Angaben Marktführer in Deutschland und Westeuropa sowie einer der führenden Unternehmen der Branche im globalen Wettbewerb. Das Joint Venture von Bosch und Siemens wurde 1967 ins Leben gerufen. Neben den Marken Bosch und Siemens gehören zehn weitere Marken, darunter Gaggenau und Neff, zum Konzern.

Die Spedition

Die Geschäftsführung der Spedition Schwarz liegt in den Händen der Brüder Thomas, Hans-Günther und Georg Schwarz. Der Sitz des Unternehmens befindet sich im schwäbischen Herbrechtingen. Innerhalb der Unternehmensgruppe, zu der auch Schwarz Logistik und Kareka gehören, stehen der Spedition mehr als 250 Fahrzeuge zur Verfügung. Entsprechend der Spezialisierung auf Volumentransporte handelt es sich dabei hauptsächlich um Jumbofahrzeuge.

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