Feinstaubbelastung Was Umweltzonen wirklich bringen

Umweltzone, FF 3/2012 Foto: Kern, Techel

Seit vier Jahren gibt es Umweltzonen in Deutschland. Ihr Nutzen ist nicht nachzuweisen. Aber sie vermehren sich rapide. 

Ein Gespenst geht um in Europa. Es trägt die Namen Umweltzone oder Feinstaubfahrverbot. Und treibt sein Unwesen nicht nur in mittlerweile 51 deutschen Kommunen. Europaweit gibt es an rund 250 Orten die verschiedensten Restriktionen, die alle unter den Oberbegriff LEZ (Low Emission Zone) fallen. Seinen Anfang nahm all dies um das Jahr 2005, als die EU Obergrenzen für die Feinstaubbelastung definiert hatte. Worauf manche Stadt ganz große Augen machte. Allenvoran die in engem Talkessel gelegene schwäbische Metropole Stuttgart, über die der Literat Nikolas Lenau schon 1844 gesagt hatte, dass ihre Luft "nichts anderes als die Ausdünstung des Teufels" sei.

Gut 160 Jahre später war’s denn auch amtlich: Was die Feinstaubbelastung der Luft anging, stellte der Stuttgarter Messpunkt "Neckartor" regelmäßig einen unrühmlichen Rekord auf – an 160 Tagen war zum Beispiel 2004 der Grenzwert für Feinstaub an dieser besonders prekären Stelle im Stuttgarter Talkessel überschritten. Mehr als 35 Tage mit Grenzwert-Überschreitung sind gemäß EU-Regularien aber nicht zulässig.

Stuttgart duldet nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette

Ausgerechnet die Stadt der Kehrwoche hatte ein massives Schmutzproblem – und befand sich juristisch ohnehin in Zugzwang. Die Stadtväter rückten dem Menetekel mit einem Luftreinhalte-Aktionsplan zu Leibe, der zweierlei umfasste: Ein Lkw-Durchfahrtsverbot schob den Schwarzen Peter fix den nachbarlichen Gemeinden zu. Die Einführung einer Umweltzone machte Stuttgarts Straßen obendrein ab dem 1. März 2008 für Fahrzeuge ohne Plakette zur Tabuzone. Drei Monate vorher war Berlin schon mit ähnlichem Beispiel vorangegangen, München folgte rund ein halbes Jahr später. Aber auch eine Menge kleinerer Gemeinden richteten zum Schrecken von Besitzern älterer Fahrzeuge schnurstracks Umweltzonen ein. All diese Kommunen ziehen heute fast ausnahmslos die Schlinge enger und enger.

Jetzt, nur vier Jahre nach dem Start, werden auf Stuttgarts Pflaster gar nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette geduldet. Berlin sprang sogar gleich binnen gerade mal zweier Jahre von Stufe 1 (Verbot nur für Fahrzeuge ohne Plakette) auf Stufe 3 (nur noch grüne Plakette statthaft). Doch während dies in Berlin nur für bestimmte Kernbezirke gilt, verhängte Stuttgart das Feinstaubfahrverbot für das gesamte Terrain des Sprengels.

Trotz weniger Altfahrzeuge im Verkehr verbessern sich die Messwerte nicht

Fahrzeuge älteren Semesters macht das zu Aussätzigen. Sie haben vor der Zeit zu weichen. Und erfahren einen rapiden Wertverlust. In Berlin zum Beispiel waren Ende 2008 rund 13.000 Nutzfahrzeuge mehr von der Bildfläche verschwunden, als es dem natürlichen Schwund entsprochen hätte. Der Grund: Sie bekamen keine Plakette. Ob Kipper, ob Heizölbomber oder die Armada der Transporter von Handwerkern und Marktbeschickern: allesamt keine Kilometerfresser und dennoch haben sie zunehmend das Weite zu suchen. Der Nutzen dieser Umweltzonen aber ist beim besten Willen nicht nachweisbar. Zwar liegt es auf der Hand, dass mit weniger Altfahrzeugen im Verkehr auch weniger Schadstoffe in der Luft einhergehen.

Doch zeigt ein Blick auf entsprechende Messwerte aus Berlin oder Stuttgart beispielsweise, dass dies insgesamt keine nennenswerten Spuren hinterlässt. Zu stark speist sich der Feinstaub aus all den anderen Quellen, die in einer Großstadt angesiedelt sind. Um die 2,5 bis 3,0 Prozent Verbesserung bei den Feinstaubwerten hatten entsprechende Gutachten für die Umweltzonen theoretisch in Aussicht gestellt. Wie viel davon sich durch die Einführung von Umweltzonen bewahrheitet hat, das lässt sich aber gar nicht messen.

Abgase verursachen nur knapp 20 Prozent der Feinstaubbelastung

Tragen zur Feinstaubbelastung doch ebenso heiße Winde aus der Sahara bei wie salzwasserbelastete Brisen vom Meer her. Wenig Wind und Regen lässt die Belastung in den Städten zudem ebenso klettern wie europaweit ein kräftiger Vulkanausbruch im fernen Island. Generell hat das Klima insofern einen immensen Einfluss auf die Feinstaubbelastung, als in kalten Wintern eben ganz andere Feinstaubmengen die Kamine verlassen als unter milderen Bedingungen. Streusalz hat dann auch noch ein gewichtiges Wörtchen bei der Staubentwicklung mitzureden.

Den Blick einmal nur auf den vom Menschen verursachten Feinstaub verengt, entfallen selbst dabei nur ungefähr 20 Prozent auf den Straßenverkehr. Von diesen 20 Prozent geht wiederum grob gesagt die Hälfte auf Dieselemissionen zurück. Für den Rest zeichnen andere Dinge wie Reifen- und Bremsabrieb, aber auch Abgase von Ottomotoren verantwortlich. Ebenso ist klar: Die Umweltzone treibt bloß eine Verjüngung des Fahrzeugbestands voran, die ein paar Jährchen später ganz von selbst kommen würde. Da bleibt nicht mehr viel, was unterm Strich mit einem Fahrverbot für die – eh nur mäßig bewegten – sogenannten Stinker zu gewinnen wäre. Die Verlierer bei diesem Spiel sind ihre Besitzer: Rund 21 Prozent der leichten Nutzfahrzeuge und ungefähr 34 Prozent aller schweren Lkw in Stuttgart dürften vom Juli 2010 in Kraft getretenen Fahrverbot für die rote Plakette betroffen gewesen sein.

Trotz Plakette stieg 2009 die Feinstaubbelastung

Der Wegfall der gelben Plakette seit Januar 2012 bedeutet Hochrechnungen zufolge noch einmal den lokalen Knockout für 40 Prozent der leichten und knapp die Hälfte der schweren Nutzfahrzeuge. Das hat Folgen fürs Portemonnaie: "Wir mussten zwei Fahrzeuge austauschen, die sonst noch ohne Weiteres vier bis fünf Jahre gelaufen wären", sagt der mittelständische Stuttgarter Heizöl- und Brennstofflieferant Michael Maier. Die zusätzliche Belastung: rund 160.000 Euro. Dem Feinstaub aber ist es einerlei: 2009, also im zweiten Jahr des Fahrverbots für plakettenlose Gefährte, war nicht nur die Stuttgarter Durchschnittsbelastung höher als 2008, sondern auch die Zahl der Tage mit Grenzwertüberschreitung. Wobei nicht vergessen werden darf: Im Jahr 2009 wanderten im Zuge der Abwrackprämie Altfahrzeuge obendrein reihenweise auf den Schrott. Selbst der Bilanz für 2010 half’s wenig.

Denn das Jahr 2010 brachte schließlich nocheinmal erhöhte Werte und vermehrte Grenzwertüberschreitungen. Und das, obwohl die zweite Hälfte des Jahres schon ganz im Zeichen der Stufe 2 der Umweltzone stand (Einfahrverbot mit roter Plakette). Gewiss wären die Werte ohne den Ausschluss der Altfahrzeuge nicht besser geworden. Doch zog andererseits die Nachrüstung vieler Altfahrzeuge mit einem Partikelfilter eine zusätzliche Belastung durch Stickstoffdioxid nach sich, dessen gesundheitsschädigende Wirkung weit stärker nachgewiesen ist, als die immer noch umstrittene gesundheitliche Gefahr durch Feinstaub.

Die Jahresfeinstaub-Ersparnis verpufft zur Sylvesternacht

Das Errichten von Umweltzonen gleicht einer Spatzenjagd per Kanone. Millionen von Plaketten für jeweils fünf bis zehn Euro wanderten ihretwegen über den Ladentisch. In Flensburg feierte der neue Tatbestand des Umweltzonen-Schwarzfahrens Premiere. Allein in den Jahren 2008 und 2009 kam es schon zu rund 60.000 Einträgen mit jeweils einem Punkt im Zentralregister, fällig wurden ebenso viele Bußgelder zu 40 Euro. Wofür? Für eine Reduktion an Feinstaub, die anderweitig ohne viel Gedöns zu holen wäre.

So hat erst jüngst der ÖVK (Österreichischer Verein für Kraftfahrzeugtechnik) im Zuge einer eventuellen Einführung des Feinstaubfahrverbots für Graz errechnet: Um die gleiche Feinstaubreduzierung wie per Umweltzone zu erreichen, genüge "die Umstellung der Heizung von circa 15 unsanierten Mehrfamilienhäusern von Holz oder Kohle auf Fernwärme". In welchen Größenordnungen sich der Gewinn durch ein Feinstaubfahrverbot insgesamt bewegen würde, beschreibt das folgende Beispiel besonders drastisch: "Durch das Silvesterfeuerwerk", so zieht die Studie des ÖVK als plakatives Resümee, "wird eine größere Menge an Feinstaubpartikeln emittiert als die Umweltzone während des ganzen Jahres einspart."

Infos zum Feinstaub

Das Gemenge, um das es geht, heißt PM10. Gemeint sind damit all die Schwebestoffe unterhalb von zehn Mikrometer Durchmesser in der Luft, die wegen ihrer winzigen Gestalt besonders gut bis in die Lunge vordringen können. Für deren Gehalt in der Luft gilt seit 2005 EU-weit eine Obergrenze von 50 Millionstel Gramm pro Kubikmeter im Tagesdurchschnitt. Und mehr als 35 Mal pro Jahr darf dieser Grenzwert nicht überschritten werden. Wird diese Zahl überschritten, dann ist ein Luftreinhalte- oder Aktionsplan aufzustellen. Auch wenn diese Pläne keinerlei erkennbaren Nutzen bringen: Der Vorschrift ist damit Genüge getan.

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