Seit vielen Jahren fährt Michael Marsberg* aus der Eifel im nationalen Fernverkehr, derzeit Baustoffe. Bei seiner letzten Firma war er rund anderthalb Jahre beschäftigt. Gegen Ende dieser Zeit gab es, so sagt Michael, immer wieder Ärger mit dem Disponenten. Eine schriftliche Zusammenfassung seiner letzten Arbeitswoche, die dem FERNFAHRER vorliegt, zeigt viel Stress und maximale Ausnutzung aller Lenk- und Arbeitsstunden. Irgendwann wurde es Michael zu viel, und so hat er zum Ende März 2017 gekündigt. Regelmäßig fuhr Michael Lkw-Reifen eines namhaften Produzenten, die vor Ort von einem ebenfalls namhaften Logistiker verladen werden.
Arbeitsverhältnis endet im Streit
Das sieht dann so aus: Der Fahrer bekommt kurzfristig die Tour und die Anzahl genannt, er muss an die Rampe setzen und dann, Zeit ist Geld, bereits die beiden Planen öffnen, um die einzelnen Stapel mit unterschiedlichen Reifengrößen zu sichern. Zeit, die Reifen zu zählen, bleibt ihm nicht. Den üblichen Satz "unter Vorbehalt" auf dem Lieferschein wiederum akzeptiert der Verlader nicht. Michael hat dennoch unterschrieben – bislang nie ein Problem. Fehlmengen wurden auf dem Lieferschein notiert, seiner Firma gemeldet und nachgeliefert. Der Lkw mit den angeblich 182 Lkw-Reifen war auch nicht verplombt. Normalerweise fuhr Michael auf direktem Weg zur Entladestelle, doch in dieser Woche war es anders: Er wurde zurück zur Spedition beordert, ein Umweg.
Dort machte man ihm den Vorwurf, er hätte ein Minus von 1.000 Paletten, was er anhand der Belege widerlegen konnte. Er tankte noch Adblue und fuhr nach Wörnitz für die neun Stunden Pause. Beim Entladen fehlten schließlich sechs Reifen. Es war nicht das erste Mal. Michael sagt, er habe es telefonisch wie immer gemeldet und nach der Rückkehr zur Spedition seine Mappe mit den Lieferscheinen ins Fach gelegt. Danach hat er das Gelände nie mehr betreten. Ein Arbeitsverhältnis, das im Streit endete. Er hat schnell eine neue Stelle gefunden, bei der er nun öfter daheim ist. Im Oktober bekam er eine Klage zugestellt: Der Unternehmer fordert einen Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung von 1.274 Euro. Und die basiert auf einem entscheidenden Satz: "Dieser Verlust ist nur so zu erklären, dass der Beklagte die Reifen unterschlagen/veruntreut und selbst anderweitig veräußert hat."
Arbeitgeber ist voll in der Beweislast
Michael kann es nicht fassen: Ein Reifen allein wiegt 80 Kilogramm, außer auf dem Platz und in Wörnitz hat er nicht gestoppt, was der Tacho belegt. Sechs Lkw-Reifen verschwinden zu lassen, bedarf einer gewissen Logistik und Hilfe. Der Gütetermin scheitert. "Der Lieferschein spricht zunächst dafür, dass er alle Reifen vollzählig erhalten hat", sagt Harry Binhammer. "Fakt ist auch, dass nicht alle Reifen beim Empfänger angekommen sind. Da der Lkw nicht aufgebrochen wurde, sind viele Szenarien möglich. Auch dass die Reifen entwendet wurden. Nachweisbar ist das eher nicht. Aber darauf hat sich der Anwalt des Unternehmers nun einmal festgelegt."
Grundsätzlich gilt: Bei Waren, die einem Arbeitnehmer anvertraut werden, stellt sich meist die Frage, inwieweit dieser für Fehlbestände überhaupt aufkommen muss. Im Falle, dass er nicht ausschließlich Zugriff auf die Waren hatte, scheidet meist schon in diesem Stadium eine Haftung aus. Hier gelten die üblichen Regelungen zur Arbeitnehmerhaftung. Bei einfacher Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer überhaupt nicht, bei grober anteilig. Und nur wenn ihm Vorsatz nachgewiesen wird, haftet er voll. Der Arbeitgeber ist hier allerdings voll in der Beweislast. "In diesem speziellen Fall verstehe ich den Arbeitgeber allerdings nicht. Es scheint mir, als ob er da nicht richtig beraten war oder gar ein Exempel statuieren will."
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Harry Birnhammer ist seit 1998 Anwalt für Arbeitsrecht. Wenn Sie ein Digitalabo von FERNFAHRER, lastauto omnibus oder trans aktuell haben, können auch Sie Ihre Fragen an unsere Experten stellen. Diese geben Ihnen dann eine persönliche und vertrauliche Erstantwort.