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Fahrer vor Gericht Unrecht schreit

Foto: Autobahnkanzlei/Tobias Eisenbrand

Diese Körnung erfordert eine Plane, waren die zwei Polizisten überzeugt. Micha sah das anders – und landete vor Gericht.

Der Richter gibt Micha* das letzte Wort. Der ergreift die Chance und explodiert förmlich. "Herr Richter, ich arbeite nun 30 Jahre in diesem Beruf und ich weiß, wovon ich rede. Diese Arroganz kommt immer häufiger vor. Sie haben es doch gerade selbst gesehen, wie der sich aufspielt. Und so jemand will unser Freund und Helfer sein?! Was Sie heute erlebt haben, das ist ein Teil unseres täglichen Lebens auf der Straße. Wir sind doch sowieso die Ärsche der Nation, schuften Tag und Nacht und werden dafür nur blöd angemacht." Er schaut mich traurig an. "Ist doch wahr", meint er leise und den Tränen nahe.
Es klingt ein bisschen wie eine Entschuldigung dafür, dass er sich hat hinreißen lassen. Aber was da abging, war wirklich harter Tobak. Um ein Haar wäre ich mindestens genauso explodiert.

Micha kannte ich bis zum Termin der Hauptverhandlung nur von unzähligen Telefonaten. Er ist ein freundlicher und engagierter Typ, der weiß, was er will: keine Punkte. Sein Fall ist sehr interessant. Man könnte meinen, er habe alles falsch gemacht: Er
hat sich auch genau so verhalten, dass sich die Beamten zwölf Monate später noch ­genau an ihn erinnern werden.

Beamte verlangten eine Plane

Angehalten wurde er vor einem Jahr, weil er Schüttgut der Korngröße 16/22 geladen hatte. Die ­Beamten meinten, er hätte da eine Plane darüberziehen müssen. Also verboten sie ihm die Weiterfahrt und behielten die Papiere ein – bis Micha auf fernmündliche Anweisung seines Chefs eine Plane darübergezogen ­hatte. Die blau-weißen Helfer standen unterdessen im Schatten des Lkw und rissen ­Witze. Micha hat’s gehört, aber ignoriert. Ich wäre geplatzt.

Fehlende Ladungssicherung

Einer der Beamten war gleich nach dem Anhalten zu Micha gegangen und hatte ruppig seine Papiere gefordert. Micha gab sie ihm anstandslos. Danach wurde ihm das ­Warum des Zwangsstopps eröffnet: fehlende Ladungssicherung. Die Stimmung passte sich schnell den Wetterverhältnissen an: heiß und trocken. Micha verteidigte sich. Das kann er auch, denn er hat Ahnung von Ladungssicherung. Der Beamte merkte, dass er im Unrecht war und versuchte, das mit Lautstärke zu verdecken. Er schrie Micha an, dass der ihm seinen Job nicht zu erklären habe. "Aber Sie tun genau das mit mir", war das Letzte, was Micha noch sagte. Danach schaltete er nämlich auf stur. "Wer nicht will, der hat schon", dachte er sich und als ihn der Beamte nach seinem Ausweis fragte, sagte Micha wahrheitsgetreu, dass der zu Hause liege. Mehr hat er nicht mehr gesagt und außerdem hatte er den Beamten seinen Führerschein ja schon gezeigt. Denen waren die persönlichen Daten also schon bekannt.

Bußgeldbescheid wegen mangelnder Ladungssicherung

Der Beamte brüllte ihn zum Schluss noch an: "Das wird teuer für Sie! Das sage ich Ihnen jetzt schon." Dann stolzierten beide zu ihrem Wagen und verließen mit quietschenden Reifen den Parkplatz. Micha schüttelte den Kopf. Ein paar Tage später erhielt er zwei gelbe Briefe. Ja, der Beamte hatte sich redlich bemüht, die Sache teuer zu machen. Einen Bußgeldbescheid bekam er wegen fehlender Ladungssicherung und einen weiteren wegen Verweigerung der ­Personalien-Angabe. Gegen beide Bescheide legten wir Einspruch ein. Das Verfahren nahm seinen gesetzlich vorgeschriebenen Lauf. Die beiden Akten wanderten über die Staatsanwaltschaft zum zuständigen Gericht. Da wurden die Akten zu einer gebunden, damit sie in einem Gerichtstermin abgefrühstückt werden konnten. Telefonisch bat ich Micha, ein paar von den Steinen zum Gerichtstermin mitzubringen, damit wir dem Richter zeigen können, von was wir reden.

Am Verhandlungstag treffen wir uns eine gute halbe Stunde vorher. Gleich nachdem Micha dem Richter seine Personalien genannt hat, greife ich ein und erkläre dem Richter mit dem Ariel-weißen gestärkten Manschetten­knopfhemd, dass der Verstoß gegen 111 OWiG schon verjährt sei. Außerdem hatte Micha Führerschein und Fahrzeugpapiere gezeigt. Die Beamten wussten genügend. Die diesbezügliche Anzeige ist pure Schikane.
Nun möchte ich aber auch zur Überplanung von Schüttgut etwas sagen. Der Richter schaut mich erwartungsvoll an. Ich erkläre, dass Micha schon seit 30 Jahren fährt und noch nie ein Problem mit seiner Ladung hatte. Auch diesmal gab es keinen Grund, ihn anzuhalten. Micha hat alles richtig gemacht, erkläre ich. Schüttgut geladen und das konisch wie in den Richtlinien gefordert. Ich überreiche die VDI2700. Die kennt der Richter komischerweise noch nicht. Außerdem sei auf dem Firmengelände ein Hinweisschild, auf dem steht: "Achtung. Unterhalb der Größe von 5 mm unbedingt abplanen." Im Umkehrschluss bedeutet dies, alles was drüber ist, eben nicht. Der Richter hört zu und bittet um eine Minute. Dann erklärt er, dass er ­gerne den Polizisten hören möchte.

Der Beamte erklärt erwartungsgemäß selbstsicher, dass er sich genau an die Situation erinnert. Sehr unfreundlich sei Micha gewesen und nichts habe er sich sagen lassen. Aber das kenne man ja mittlerweile bei denen, große Klappe und keine Ahnung. Er erklärt auf Nachfrage des Richters, dass er erst die Papiere forderte, dann eröffnete er dem Betroffenen, um welchen Vorwurf es sich handeln würde, und forderte ihn auf, auch die übrigen Personalien preiszugeben. So mache er das immer. Und natürlich habe er ihm erklärt, dass es gegen ihn eine An­zeige geben würde, wenn er die Personalien nicht nenne. Der Betroffene sei respektlos und stur gewesen. Da habe er als Staatsgewalt schon angemessen deutlich werden müssen. Dem Richter sieht man an, dass ihm dieser Staatshelfer peinlich ist. Er hat daher schnell keine weiteren Fragen und schaut mich an: "Ich denke, Sie haben noch Fragen", sagt er. Klar.

Ich frage noch einmal nach der Reihenfolge vor Ort. Der Beamte wiederholt es: erst angehalten, dann Papiere, dann Verstoß vorgeworfen. "Interessant", entgegne ich ihm. Sie wissen schon, dass Sie ihm erst hätten sagen müssen, wieso er angehalten worden ist. Er schaut mich verdutzt an. Nein, dies sei ihm nicht bekannt. Er mache es immer so. "Ja, was man immer so macht, ist nicht immer richtig." Ob das hier ein Lehrstunde würde, fragt er. "Nein, obwohl es ­sicher vonnöten ist", antworte ich.

Richtline für Schüttgut

Wie er zu der Aussage komme, dass eine Plane denn die richtige Ladungssicherung sei, will ich wissen. Ob es dafür irgendwelche Erkenntnisse gäbe. Er schaut mich an, aber es kommt kein Laut. Ich erkläre meine Frage. Nun bewegt sich der Beamte auf seinem Stuhl. Mit Sicherheit könne er dies natürlich nicht sagen. Aber es wäre bestimmt mit Plane sicherer als ohne. Ich will genau wissen, auf welcher rechtlichen Grundlage er Micha gezwungen hat, bei 35 Grad im Schatten die Plane aufzulegen. Das dränge sich auf, das wisse jedes kleine Kind, dass da eine Plane draufmüsse. Ich frage, ob ich das jetzt richtig verstanden habe, dass die Grundlage seines polizeilichen Handelns der Wissensstand von Kleinkindern sei. Der Beamte erklärt, er würde das hier jetzt abbrechen. Das findet der Richter gar nicht lustig. Ich frage weiter, ob er die Richtlinie für Schüttgut dabei habe. Nein, hat er nicht. Ich frage, ob er sagen könne, welche das sei. Nein, kann er nicht. Ich frage ihn, ob er die kennt. Nein, tut er nicht. Ich habe genug von seinem Wissen.
Der Richter verzichtet auf den zweiten Zeugen. Wir kommen zum Rechtsgespräch. Er schaut zu Micha und erklärt, er wäre bereit, 35 Euro auszuurteilen. Zwar ein Kompromiss, aber kein fauler. Keine Punkte stinken nicht. Wir nehmen an. Aber vorher hat Micha noch die Gelegenheit, sich zu äußern. Aber das hatten wir ja schon.

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