Fahrer vor Gericht Abstandsmessung

Ralf Grunert Foto: Autobahnkanzlei

Ausbremsende Pkw sind ein Grundübel bei der Abstandsmessung. Die Autobahnkanzlei muss es gleich dreimal erklären.

Gleich zu Hause, denkt Herbert*, da bremst ihn plötzlich ein knallgrüner Toyota aus. "Der spinnt doch!" 500 Meter weiter gibt der grüne Zwerg Gas und saust davon. Ein paar Minuten später passiert Chris* mit seinem Scania die gleiche Stelle auf der A 73. Kurz vor dem Tunnel setzt sich ein dicker Benz dicht vor ihn und verschwindet nach 500 Metern. "Blödes Spiel", denkt Chris. Dasselbe erlebt Frank* zwei Tage später. Wie aus dem Nichts taucht vor ihm ein kleiner gelber Fiat auf. Frank hätte sich fast hinstellen müssen, um den Flitzer vor seinem Laster zu sehen, so nah fährt der vor ihm. Frank bremst ab und versucht, Abstand herzustellen. Ein paar Sekunden später findet der Fiat-Fahrer dann das Gaspedal.

Alle drei, also Herbert, Chris und Frank, bekommen Bußgeldbescheide wegen des Mindestabstands. Jedem drohen drei Punkte und Bußgelder bis 120 Euro, abhängig von den Voreintragungen. Vor allen Dingen Herbert machen die Punkte zu schaffen, er hat schon ein paar. Sein Chef gehört zu denen, die Prämien für Punktefreiheit verteilen. Er war knapp davor. Dem Toyota-Fahrer würde er am liebsten ...

Die Messstelle scheint ihre Fehler zu haben

Irgendetwas an dieser Messstelle stinkt gewaltig. Immer mehr Fälle dieser Art landen von dort in unserer Kanzlei. Ein Job für Messstellenüberprüfer Ralf Grunert. Er fotografiert, filmt, zählt. Das Ergebnis ist erstaunlich. Über zehn Prozent der Lkw, die die Messstelle passieren, werden vorher von einem Pkw ausgebremst. Kurz vor der Messstelle warnt ein riesiges Schild vor einer "Radarkontrolle", und zwar kurz nach einer Tempobegrenzung auf 80 km/h. Pkw-Fahrer bremsen oft auf weit unter 80 ab. Das machen sie ohne Rücksicht auf der rechten Spur knapp vor den Lastern. Ralf Grunert filmt etliche Beispiele. Was da passieren kann. Unvorstellbar – und das alles nur wegen eines unglücklich aufgestellten Hinweises. Die Gerichtstermine für die drei Fälle sind hintereinander im 15-Minuten-Takt terminiert. Die Richterin geht von eindeutigen Fällen aus, sonst würde sie der Gerechtigkeit etwas mehr Zeit gewähren.

Obwohl die Fälle von Chris, Frank und Herbert auf den ersten Blick gleich aussehen, hat jeder Fall seinen eigenen Kick. Bei Chris ist das Video unvollständig. Es fehlen Einzelbilder. Frank musste kurz vor der Messung ein Ausweichmanöver machen. Herbert, na, der hat sogar einen Abstandsregulierer drin, der tüchtig reguliert hat, aber den Abstand auch nicht herzaubern konnte. Um neun Uhr soll es losgehen. Frank ist der Erste. 8.30 Uhr wollten wir uns treffen. Frank ist noch nicht da. Ich kann ihn nicht erreichen. Mist! Immerhin ist Herbert da. Sein Fall wird nun zuerst verhandelt. Chris hatte sich von Anfang an von der Anwesenheitspflicht befreien lassen. Wir gehen die Treppe hoch, endlich, Frank geht ans Telefon: Er ist in Frankreich, kutscht gerade durch die Pyrenäen: "Bin kurzfristig umdisponiert worden. Mein Chef kannte keine Gnade."Ich argumentiere, gestikuliere, belege mit Fotos und Videos.

Die Technik funktioniert nicht immer einwandfrei

Die Richterin zeigt sich beeindruckt. Aber sie will das Tatvideo sehen. Der Polizeibeamte ist nicht da. Die Richterin beugt sich vor, legt das Video ein. Nur ein Testbild ist zu sehen, das Video verweigert seinen Dienst. Man sieht, wie die Wut in der Richterin aufsteigt. Noch ein Versuch. Nichts geht. Wütend schaut sie zur Gerichtsschreiberin. Die zuckt mit den Achseln. Die Richterin greift zum Ordner mit den vorgefertigten Entscheidungen. "Die Mühe hätten Sie sich sparen können", sagt sie zu mir. "Ohne Video kein Beweis, ohne Beweis kein Bußgeld: Ich stelle ein." Schwein gehabt. Herbert fällt ein Stein vom Herzen. 9.15 Uhr. Jetzt geht’s um Frank. Den befreit die Richterin kurzerhand von seiner Anwesenheitspflicht. Ich lege mich für den punktefreien Frank ins Zeug. Und dabei bleibt es auch. Die Richterin nickt zu punktefreien 35 Euro.

Davor aber schnell noch ins Tatvideo reinschauen. Aber auch hier: Testbild. Genervt greift die Richterin zum Ordner und stellt ein. Das ging fix. Prima. " Herr Verteidiger," fährt sie fort, "wollen Sie nicht gleich sitzen bleiben? Wir schauen erst mal, ob’s im dritten Fall auch nur ein Testbild gibt." Gesagt getan. Testbild. Die Richterin greift zum Ordner ... Das, was hier passiert ist, ist nicht außergewöhnlich. Immer wieder entstehen völlig unerwartete Chancen. Das ist eben so bei monate- oder jahrelang dauernden Verfahren, an denen ganz viele Menschen beteiligt sind. Und auch die Technik arbeitet nicht immer fehlerfrei. Mittlerweile hat der französische Gipfelstürmer Frank den letzten Pass hinter sich gelassen. Ich schicke ihm eine SMS: "Verfahren eingestellt, Glückwunsch und gute Fahrt!" Chris fährt Nachtschicht, den ruf ich heute Abend an.

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