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Erfinderische Polizisten Unfaire Billigmessanlage Marke Eigenbau

Autobahnkanzlei Foto: Autobahnkanzlei

Bei Kathrin kam Messtechnik in Eigenbaumanier zum Einsatz. Vor Gericht hat derlei Erfindungsreichtum allerdings keinen Bestand.

Es ist 15.30 Uhr: Ich sitze etwas genervt vor dem Gerichtssaal und warte auf den Aufruf. Kathrins* Bußgeldsache war eigentlich auf 15.00 Uhr terminiert. Die Tür zum Saal ist verschlossen. Auf dem Aushang neben der Tür findet sich keine Information bezüglich Verlegung oder Aufhebung des Termins. 15.40 Uhr: Ich werde unruhig. Irgendwas stimmt hier nicht. Weder die Geschäftsstelle noch der Richter sind telefonisch zu erreichen. Auf dem Gerichtsflur ist gähnende Leere. Es macht den Eindruck, als sei das Gericht auf Betriebsausflug.

Kurz vor 16 Uhr kommt mit tänzelndem Schritt und freundlichem Lächeln der Richter an. Er begrüßt mich, entschuldigt sich kurz – unangenehm scheint ihm das Ganze kein bisschen zu sein. Kann passieren. Ich brenne darauf, die Angelegenheit zu verhandeln. Das Messverfahren ist mehr als dubios. Die Stunde auf dem verwaisten Gerichtsflur habe ich genutzt und die Akte nochmals durchgeackert. Meine Zweifel, die ich an diesem Billigmessverfahren habe, bestätigen sich jedes Mal, wenn ich das dürftige Aktenmaterial in die Hand nehme. Außerdem: Ein konkreter Tatvorwurf ist der Akte nicht zu entnehmen.

Zu dichter Überholvorgang wird als Abstandverstoß gewertet

Im Bußgeldbescheid findet sich lediglich der Gesetzestext. "Sie hielten als Führer des Lastkraftwagen (zulässige Gesamtlast über 3,5 Tonnen) bei einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h auf einer Autobahn den Mindestabstand von 50 Meter zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein." Danach folgt die Paragrafenkette – keine Abstands- und keine Geschwindigkeitsangabe. Die Gerichte tolerieren das. Zu Unrecht, meine ich. Kathrin hatte bereits selbst um Übersendung des Videos gebeten, um zu erfahren, um was es denn konkret geht. Das ist ihr nicht zugeschickt worden. Geht auch nicht. Es gibt nämlich kein Video. Außerdem wird das nie an den Betroffenen selbst versandt. Als Beweismittel ist im Bußgeldbescheid auch nur ein Foto angegeben. Das befindet sich in mieser Qualität in der Akte.

Man sieht verschwommen eine Tunnelausfahrt, rechts auf dem Bild das Heck eines Autotransporters und dahinter Kathrins Lkw. Vor dem weißen Randstreifen stehen, direkt rechts von der Autobahn, zwei Leitkegel. Die Sitzung beginnt. Ich trage das Vorspiel zum sogenannten Abstandsverstoß vor. Kathrin wurde unmittelbar vor dem Tunnelausgang von einem anderen Lkw überholt. Es handelt sich um den Autotransporter auf dem Foto. Der hat sich am Ende des Überholvorganges knapp vor Kathrin gesetzt. Zaubern kann sie auch nicht. Sie kann weder sich noch den vor ihr fahrenden Lkw wegbeamen. "Solche Fälle werden gemeinhin nicht zur Anzeige gebracht. Was kann denn Kathrin für das Verhalten des Kollegen", sinniere ich. Eine Vollbremsung mit ihrem 40-Tonner – mit Bierkisten beladen – kann von ihr bei Gott nicht erwartet werden.

Beweisführung mit zwei Pylonen und einer stinknormalen Kamera

Der Richter nickt verständnisvoll. Er ruft den Polizeibeamten auf. Dieser betritt den Gerichtssaal. Der Richter will das Messverfahren erklärt haben. Der Polizeibeamte holt weit aus. Seinem Kollegen und ihm sei des Öfteren aufgefallen, dass im Tunnel zu nah aufgefahren wird. Das sei richtig gefährlich. Deswegen hätten sich die beiden entschlossen, etwas zu tun. Zwei Tage haben sie 15 Meter rechts vom Tunnelausgang gestanden. Dort sind riesige Betonplatten im Boden. Die sind 25 Meter breit. Zwei Betonplatten ergeben also, wenn sie dicht nebeneinander liegen, die obligatorischen 50 Meter Sicherheitsabstand. In die vorderen Ecken der Platten hatten sie die Pylone gestellt. Die Distanz zwischen beiden sei 50 Meter, also "relativ geeicht", erklärt der Beamte mit wichtigem Blick. Sie selber hätten dann wie gesagt 15 Meter nach hinten verrückt gestanden. Ich stutze. "Relativ geeicht" – was ist das denn? Geeicht oder nicht geeicht.

Dazwischen gibt es nichts. Ich blicke zum Richter. Der schüttelt zurückhaltend, aber erkennbar mit dem Kopf. Mit einer normalen kleinen Digitalkamera hätten sie dann Fotos gemacht, erläutert der Beamte weiter. Auf denen sei deutlich zu erkennen, wenn die Fahrzeuge den Abstand nicht eingehalten hätten. Man bräuchte nicht immer super teure Messgeräte. Das sage er schon immer. Das ginge auch mit zwei Markierungen, hier Pylonen, und einer stinknormalen Kamera.

Bußgeldfrei wegen Billigmessanlage

Der verdutzte Richter möchte wissen, ob ich noch Fragen habe. Die habe ich natürlich. Ich möchte wissen, ob die Beamten denn in den Tunnel hineinschauen konnten. Nein, das konnten sie natürlich nicht. Ich frage, wie sie denn dann die Beobachtungsstrecke gewährleisten konnten. Eine Beobachtungsstrecke bräuchten sie nicht. Das sei doch alles klar. Wenn der Abstand nicht stimmt, dann stimme er eben nicht. Der Richter hält den Polizeibeamten vor, dass Kathrin knapp vor dem Tunnelausgang überholt worden sei. Der Polizeibeamte geht in die Offensive: "Das sagen ja nun alle." Ich platze fast vor Wut und frage den Beamten, ob er damit sagen möchte, dass meine Mandantin lügt. Ich verbitte mir das. Der Beamte macht einen Rückzieher. Der Richter befreit ihn aus dem Zeugenstand. Den Ausgang des Verfahrens von der Zuschauerbank anzuschauen, das tut er sich nicht an. Die diesbezügliche richterliche Einladung lehnt er kopfschüttelnd ab und verlässt eilig den Saal. Der Richter schaut mich irritiert an. Er bittet um meinen Antrag. Ich verwehre mich eindeutig gegen die Messtechnik in Eigenbaumanier.

Wirtschaftlich mag das ja hoch lukrativ sein. Bei einem solchen Messverfahren ist bereits ein Bußgeldbescheid mit 80 Euro kostendeckend, was die Anschaffung der kompletten Messanlage anbelangt. Fair ist dieses Messverfahren aber nicht. Immerhin seien viele Abstandsvergehen auf das Verhalten des Vorausfahrenden oder Überholenden zurückzuführen. Ich erläutere, dass dieser wichtige Aspekt bei der Billigmessanlage völlig außer Acht bliebe. Hier würde nur Belastendes festgestellt. Für Entlastendes habe man kein Auge. Das seien keine neutralen, sondern einseitige Ermittlungen. Der Standort der Polizisten biete keine Möglichkeit, zu beobachten, was unmittelbar vor der Messstrecke geschehen sei. Der Grund für den vermeintlichen Verstoß blieb also unberücksichtigt. Ich rege eine Einstellung an. Das Gericht überlegt nur kurz und verkündet dann die punkte- und bußgeldfreie Einstellung des Verfahrens. Kathrin informiere ich noch vom Gerichtsflur aus per Handy. Sie freut sich. Auch der Richter hat womöglich gleich nach dem Verfahren telefoniert – nämlich mit dem Vorgesetzten der erfindungsreichen Beamten.

Kleine Fälle

Zu hohes Tempo durch verdecktes Schild

Der Mandant von Autobahnanwalt Peter Möller soll in einem kleinen Vorort von Arnstadt 22 km/h zu schnell gefahren sein, konkret 52 km/h. Thilo* ist sich keiner Schuld bewusst. Er schwört Stein und Bein, dass da kein 30er-Schild war. Er hat schließlich Augen im Kopf und den Punkt will er nicht kassieren. Vor dem Verhandlungstermin fährt Messstellenüberprüfer Ralf Grunert für Rechtsanwalt Möller zum Tatort. Auf den ersten Blick sieht es bescheiden aus. Das 30er-Schild steht gut erkennbar ein ganzes Stück vor dem Messfeld. Ralf guckt genauer hin. Direkt dahinter befindet sich die Einfahrt zu einer Lkw- und Landmaschinenreparaturwerkstatt. Kurze Zeit später spielt sich ab, was Thilo beim ersten Gespräch berichtet hat: Kurz vor dem Blitz habe er einen stehenden Lkw überholt. Ralf rechnet eins und eins zusammen: Der Lkw konnte nicht unmittelbar auf das Grundstück einbiegen und musste warten. Dadurch verdeckte er das 30er-Schild und Thilo durfte davon ausgehen, dass er 50 fahren darf. Mit entsprechenden Fotos bewaffnet geht Rechtsanwalt Möller in den Gerichtssaal. Der Messbeamte ist freundlich. Er will das geschilderte Szenario nicht ausschließen. Außerdem hatte er das 30er Schild während der Messung nicht im Auge. Thilo noch viel weniger und was man nicht sehen kann, darf ja wohl nicht Grundlage eines blöden Punktes sein. Die Richterin stellt das Verfahren mit etwas Zähneknirschen ein. Autobahnanwalt Möller hält das Ergebnis für gerecht und ist da mit Thilo einer Meinung.

AG Arnstadt Az.: 633 Js 201353/15 3 OW

Keine Punkte wegen besonderer Umstände

Hagen ist Inhaber einer kleinen Thüringer Spedition. Manchmal muss er selbst noch fahren. Eigentlich ist das, gibt er ehrlich zu, der angenehmere Teil seines Jobs. Dieses Rumdisponieren und Unternehmerspielen liegt ihm nicht so. Er sitzt lieber hinter dem Lenkrad und hat seine Ruhe, meint er lächelnd. Fürs Büro gibt es andere. Bisweilen aber wird das Fahren zum Ärgernis. So war das auch Anfang Februar. Er hatte gerade in der Nähe von Eisenach abgeladen, als sein Feuerwehrmelder piepte. Hagen ist nicht nur Spediteur und Fahrer, sondern auch stellvertretender Feuerwehrkommandant in seinem Ort. Im Februar musste er den Chef vertreten, weil der in Urlaub war. Hagen machte, dass er nach Hause kam, um beim Einsatz zu helfen. Er malte sich im Kopf aus, was da alles passiert sein konnte. Es kam, wie es kommen musste: Hagen konzentrierte sich nicht genug, beschleunigte zu früh vor einem Ortsende und bekam kurz drauf ein Foto. Der Punkt, den er neben einer Geldbuße dafür erhalten soll, ärgert ihn massiv. Noch nie hatte er einen und nun ausgerechnet in der Situation. Rechtsanwalt Möller erläutert in der Verhandlung, dass hier ein zu berücksichtigender besonderer Tatumstand vorläge. Das angemessene Bußgeld müsse unter der Punktegrenze von 60 Euro liegen. Der Richter stellt noch ein paar Fragen. Gemeinsam stehen Hagen und Rechtsanwalt Möller Rede und Antwort. Nach einer halben Stunde hat die Justiz ein Erbarmen: 55 Euro, kein Punkt.

AG Eisenach Az.: 330 Js 4129/16 1 OWi

Fernfahrertelefon

Rechtsanwalt Peter Möller sitzt am Fernfahrertelefon und steht euch mit Rat und Tat zur Seite. Hier ein Auszug von individuellen Fragen der Kollegen – und die Antworten des Juristen.

Gesine*: Wie kann es sein, dass im Zeitalter perfekter Technik fehler­hafte Bußgeldbescheide erlassen werden?

Möller: "Die Frage ist nicht ohne. Ich denke, dass die Basis jeder Messtechnik menschliches Handeln ist. Irgendwer muss die Dinger erfinden und bedienen. Dabei werden Fehler gemacht. Außerdem laufen die Geräte ja nicht alleine zur Messstelle, die sie sich vorher selbst ausgesucht haben. Bei Aufbau und Auswahl des Messortes kann es zu Fehlern kommen. Irren ist eben menschlich. Ob ich allerdings in einer Welt, die von perfekter Technik gelenkt wird, leben möchte, müsste ich in Ruhe überdenken."

Anton*: Lässt sich bei einer Fahrt mit Alkohol am Steuer noch was retten?

Möller: "Das ist so eine Sache. Es gibt schon Fälle, da muss man sich wehren, weil der Strafbefehl ungerecht ist. Ich hatte erst kürzlich vor einem Amtsgericht eine Trunkenheitsfahrt. Da kamen am Ende sechs Monate weniger Sperrfrist raus und der Blutalkoholwert wurde deutlich reduziert. Aber eine allgemeinverbindliche Antwort gibt es hier nicht."

Kalle*: Stimmt es, dass man bei Unfallflucht den Schaden, den die Versicherung ausgeglichen hat, an diese zurückzahlen muss?

Möller: "Tatsächlich ist das so, dass im Falle rechtskräftiger Verurteilung wegen Unfallflucht die Versicherer den Täter in Regress nehmen. Aus der Nummer rauszukommen ist schwierig. Sinnvoller ist es, sich vorher zu verteidigen. Vieles, was anzeigt wird, entpuppt sich im Nachhinein als gar keine Straftat. Bei Unfallflucht gibt es viele negative Folgen: Punkte, Geldstrafe, gegebenenfalls Führerscheinentzug und Versicherungsregress. Das sollte man im Auge haben und sich an einen Anwalt wenden, der sich mit Verkehrsrecht auskennt. Wer mit dem Tatvorwurf Unfallflucht konfrontiert wird, bei dem sollten die Alarmglocken läuten."

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FERNFAHRER Titel 8/2016
FERNFAHRER 08 / 2016
4. Juli 2016
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4. Juli 2016
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