Ein US-Start-up mit gerade mal 18 Mitarbeitern will die Lkw-Welt aus dem Stand heraus mit einer rein elektrisch angetriebenen Sattelzugmaschine revolutionieren.
Was die Lkw-Branche aktuell in den USA erlebt, kann man getrost als eine Art Elektro-Goldrausch des 21. Jahrhunderts bezeichnen. Start-ups, die einen riesigen Wirtschaftszweig mit seit vielen Jahrzehnten etablierten Playern von heute auf morgen auf den Kopf stellen wollen, sprießen wie Smoothie-Bars aus dem kalifornischen Boden. Nikola will mit seinen Brennstoffzellen-Trucks One und Two samt Fabelreichweiten von 1.300 bis 1.900 Kilometer 2021 an den Start gehen. Tesla-Chef Elon Musk kündigte bei seiner jüngsten Präsentation Ende 2017 die Markteinführung des mit einer sagenhaften Reichweite von über 800 Kilometer gesegneten E-Lkw Semi im Jahr 2019 an. Selbst der eigentliche Diesel-Spezialist Cummins will mit dem vollelektrischen AEOS, der mit einer Reichweite von 160 Kilometern angepriesen wird, noch 2019 den schweren Verteiler-Verkehr rund um die amerikanischen Großstädte revolutionieren.
Thor ET-One hat 160 Kilometer Grundreichweite
Die Ankündigung eines weiteren E-Lkw eines bis dato unbekannten Start-ups verwundert da schon kaum mehr. Doch was Thor Trucks mit dem ET-One auf die Räder stellen möchte, ist dann eben doch wieder eine kleine Sensation. Noch vor dem Tesla Semi soll der ganz ähnlich gezeichnete Truck die endlos scheinenden Highways der USA unter seine Räder nehmen. Wie sein Konkurrent verzichtet der ET-One dabei auf die US-typische Haube, seine Front steigt in einem steilen Winkel an. Zur Kühlung seines E-Antriebsstrangs weist der Thor Truck aber zumindest noch einen Grill samt Markenlogo auf. Der erste Prototyp der Klasse-8-Zugmaschine, die in den USA samt Trailer maximal 36 Tonnen wiegen darf, steht noch auf einem Navistar-Gerippe mit Dana-Achsen und E-Motoren aus dem Hause TM4. Später aber will das Start-up seine E-Lkw komplett in Eigenregie entwickeln.
In seiner Grundausführung kommt der ET-One laut Hersteller zunächst auf eine Reichweite von rund 160 Kilometer und soll damit 150.000 US-Dollar kosten. Wer satte 250.000 US-Dollar investiert, darf sich dagegen schon über eine Reichweite von 480 Kilometer freuen – möglich macht das eine modulare Lithium-Ionen-Batterie, die zwischen 400 und 800 kWh liefert. Auf Beschleunigungsangaben – wie sie Elon Musk bei der Präsentation seines Tesla Semi genüsslich vorgetragen hat – verzichtet Thor Trucks gänzlich. Nur so viel: Die E-Motoren leisten 300 bis 700 PS, ihr volles Drehmoment von bis zu 6.750 Newtonmeter soll dabei typischerweise schon aus dem Stand heraus anstehen.
Thor Trucks arbeitet an simplen Lösungen
Wie realistisch all diese Angaben, die Vision des nur 18 Köpfe zählenden und in Los Angeles beheimateten Teams von Thor Trucks ist, lässt sich schwer beantworten. Die junge Mannschaft aber ist in der Branche zumindest nicht unerfahren. Co-Gründer und CEO Dakota Semler wuchs in einer Speditionsfamilie auf und konnte schon im Alter von 14 Jahren erfolgreich einen Diesel-Lkw auf den Betrieb mit Pflanzenöl umrüsten. Senior Mechanical Engineer John Henry Harris kann auf Erfahrungen in der Batterie-Entwicklung bei Boeing und Faraday Future zurückblicken, Chief Product Officer Priyankar Balekai wiederum war schon für BYD Motors und Navistar tätig.
Mit seinem kleinen, aber feinen Team will Thor Trucks laut eigenen Angaben im Gegensatz zu Nikola oder Tesla "eine Lösung, die sofort einfach implementierbar ist" anbieten. Dies beginne mit dem Design der Batterie, die im Layout und in der Kühlung anders als die meisten anderen gestaltet sei. Die Batterie des Start-ups sei die mit der "höchsten Energiedichte auf dem Markt". Mit seinem einzigartigen Energieträger ist der ET-One laut Thor Trucks in Sachen Energieeffizienz und Kosten schon heute im Kurzstrecken- und Verteiler-Verkehr wettbewerbsfähig. Das Start-up spricht beim ET-One von 60 Prozent niedrigeren Wartungskosten und 70 Prozent niedrigeren Kraftstoffkosten im Vergleich zu einem herkömmlichen Diesel-Lkw.
Junges Unternehmen verzichtete bisher auf externe Investoren
Derartige Versprechen sind bei der Präsentation eines neuen E-Trucks in den USA schon fast Normalität. Gänzlich außergewöhnlich aber ist die finanzielle Situation von Thor Trucks. Auf externe Investoren konnte das junge Unternehmen bisher gänzlich verzichten, als CEO zahlreicher weiterer Firmen stemmt Dakota Semler die nötigen Investitionen alleine. Die Zukunft des Straßengüterverkehrs möchte Thor Trucks dann aber doch nicht ohne externe Unterstützung gestalten: Das Ziel sei es, mit OEMs und Flottenmanagement-Unternehmen "symbiotische Beziehungen" einzugehen. Und das klingt tatsächlich gar nicht unvernünftig.