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Ein Vierteljahrhundert Verkehrspolitik Diese Verkehrsminister prägten die vergangenen 25 Jahre

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, Hans-Peter Colditz Foto: Hans-Peter Koenig

Wer neun Verkehrsminister interviewt hat, kann allerhand berichten. Trans aktuell-Korrespondent Hans-Peter Colditz schreibt über die neun Minister, die 25 Jahre lang die deutsche Verkehrspolitik nachhaltig prägten.

Wenn man über die deutsche Verkehrspolitik im vergangenen Vierteljahrhundert schreibt, kommen einem zuerst die neun Ministerköpfe in den Sinn, die diese Politik in dieser Zeit erdachten, gestalteten und zu verantworten hatten – und haben. Der Autor dieses Beitrages hatte sie alle vor dem Mikrofon, zum Teil mehrfach. Da können Vergleiche nicht ausbleiben. Und die im Gedächtnis haften gebliebenen Leistungen und Fehlleistungen verbinden sich mit den Ministernamen.

Das gilt für den Ossi Günther Krause und seinen Nachfolger, den Wessi Matthias Wissmann, beide von der CDU. Das gilt auch für die fünf nachfolgenden Sozialdemokraten Franz Müntefering, Reinhard Klimmt, Kurt Bodewig, Manfred Stolpe und Wolfgang Tiefensee, die sich in nur sieben Jahren als Chef die Klinke des Bundesverkehrsministeriums in die Hand gaben. Und das gilt schließlich für Peter Ramsauer und Alexander Dobrindt von der CSU. Sie alle prägten auf ihre Art das riesige Verkehrsressort, Dobrindt tut es ja heute noch. Und nicht immer hatten sie dabei die berühmte "glückliche Hand", wahrlich nicht.

Der erste Nach-Wende-Verkehrsminister: Günther Krause

Schauen wir zunächst auf Günther Krause, der 1991 als erster Nach-Wende-Verkehrsminister ins Amt kam und das Haus leitete, als trans aktuell ein Jahr danach das Licht der Welt erblickte. Er hatte 1989 für den Osten den Einigungsvertrag unterschrieben, genoss das Wohlwollen von Kanzler Helmut Kohl (CDU) und galt als marktwirtschaftlicher, kreativer Repräsentant der neuen Bundesländer.

Mit etlichen Vorhaben aber scheiterte er. So konnte er eine überraschend von ihm ins Spiel gebrachte teilweise Autobahnprivatisierung genauso wenig durchboxen wie das Vorhaben, schwere Güter über weite Strecken zwangsweise der Bahn zuzuführen.

"Außenstelle Berlin" mit zunächst 230 Mitarbeitern aus dem früheren DDR-Verkehrsministerium

Dafür begründete er beflissen die "Außenstelle Berlin" seines Hauses, mit zunächst 230 Mitarbeitern aus dem früheren DDR-Verkehrsministerium, was im Bonner Hauptsitz kritisch beäugt wurde. Heute ist das umgekehrt: Hauptsitz Berlin, Außenstelle Bonn. Und er kümmerte sich um das "Direktorat Verkehr" der Treuhand AG. Sie galt als eine Art Geburtshelfer für die Entflechtung, Kommunalisierung und Privatisierung der ostdeutschen Verkehrswirtschaft. Bei manchem großen Deal – insgesamt wurden im Verkehrsbereich 500 Millionen Mark Verkaufserlöse erzielt und zwei Milliarden Mark Investitionen vertraglich gesichert – habe der Minister als "Hebamme" mitgewirkt, wurde immer wieder kolportiert.

Verbunden bleibt dieser Minister als mächtiger Streiter für die 17 Verkehrsprojekte Deutsche Ein-heit (VDE), die aufgelegt wurden, um die jahrzehntelange Teilung abzubauen, die Nord-Süd-Verbindungen zu ergänzen und Lücken im Verkehrsnetz zu schließen, vor allem zunächst in Ost-West-Richtung. Verbunden bleibt Krause schließlich mit etlichen, eher privaten Affären, die ihn im Mai 1993 letztlich zum Rücktritt zwangen.
Nachfolger Matthias Wissmann, der verkehrspolitisch heute als Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) Akzente setzt, wechselte damals vom Bundesforschungsministerium ins Verkehrsressort. Und legte dort mächtig los.

Schon 1994 brachte er die Bahnreform durchs Parlament. Mit ihr wurden Bundesbahn und Reichsbahn in die neue, privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG umgewandelt.
Das damit verbundene Ziel, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, verfehlte Wissmann jedoch – alle nachfolgenden Minister ebenfalls. Immerhin aber wurden private Bahnanbieter zugelassen. Und die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den  Schienennahverkehr mit dem Regionalisierungsgesetz für satte zwölf Milliarden Mark vom Bund auf die Länder übertragen. In Wissmanns fünfjährige Amtszeit fallen auch der Start der – damals zeitbezogenen – Autobahnbenutzungsgebühr für Lkw, die Steuerharmonisierung im Lkw-Bereich, die Liberalisierung der Kabotage und die Festlegung des "Zukunfts-Lkw" mit 18,75 Meter Länge und 40 Tonnen Gesamtgewicht.

Kanzler Kohl verliert 1998 die Wahl und Wissmann sein Amt

Gegen seinen Liberalisierungseifer wehrte sich das Güterkraftverkehrsgewerbe nach Kräften – unter anderem mit Straßensperren und Lkw-Konvois. Genutzt hat es beiden Seiten wenig: Kanzler Kohl verliert 1998 die Wahl und Wissmann sein Amt. Und das Gewerbe muss weiter für gerechtere Marktzugangsbedingungen kämpfen.
Es folgen sieben Regierungsjahre unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD), und mit ihm gleich vier SPD-Verkehrsminister. Ein bemerkenswerter Verschleiß. Franz Müntefering blieb nur ein Jahr, dann wurde er SPD-Generalsekretär. Auch Nachfolger Reinhard Klimmt war nicht mehr Zeit beschieden.

Als Präsident des 1. FC Saarbrücken stolpert er im Jahr 2000 über eine Fußball-Finanzaffäre und muss zurücktreten. Es folgt Kurt Bodewig – immerhin für zwei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl 2002.

 Die wichtigsten verkehrspolitischen Aktivitäten der drei lassen sich schnell zusammenfassen: "Münte" setzt vor seinem Wechsel ins Parteiamt noch rasch die "Pällmann-Kommission" ein, die später den viel beachteten  Grundstein für eine nutzerfinanzierte Verkehrsinfrastruktur legt. Klimmt kündigt viel an – unter anderem  ein Anti-Stau-Investitionsprogramm, die Verlagerung von Gütern auf Bahn und Schiff, die deutliche Förderung des kombinierten Verkehrs – und realisiert nichts davon.

Kurt Bodewig stößt schnell an seine Grenzen

Und auch der dritte Chef in nur zwei Jahren, Kurt Bodewig, stößt rasch an seine Grenzen. Mit der Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn scheitert er an den guten Beziehungen von Bahnchef Hartmut Mehdorn zum Bundeskanzler, und eine Ausschreibung für den Umstieg von der Lkw-Vignette zur elektronischen Maut klappt zunächst auch nicht. Erst im zweiten Anlauf kriegt er das noch hin, wenn auch mit irrealen Zeitvorgaben, die bereits die Basis für das spätere Maut-Debakel legen.

Nach der Wahl im Oktober 2002 wird überraschend Manfred Stolpe neuer Bundesverkehrsminister, als schicksalsergebener Parteisoldat, wie er es selber umschreibt. Da ahnt er noch nicht, was später sein Schicksal besiegeln wird. Denn das Desaster der Einführung der Lkw-Maut geht voll auf seine Kappe. Vom geplanten Start im August 2003 bis zum erfolgten Start im Januar 2005 klappt nur eins: die wiederholten Verschiebungen. Peinlich für ihn, blamabel für das Toll-Collect-Konsortium. Ein Untersuchungsausschuss droht, Rücktrittsforderungen werden laut. Der Regierungswechsel im November beendet das Ganze.

In der großen Koalition unter Merkel kommt Wolfgang Tiefensee zum Zug

In der folgenden großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird der Sozialdemokrat Wolfgang Tiefensee neuer Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Kein glücklicher Griff, wie sich herausstellt. Das Ressort mit dem größten Investitionshaushalt des Bundes bekommt er nur schwer in den Griff, obwohl er gleich vier Staatssekretäre auswechselt. Immer wieder verbindet sich der Name Tiefensee mit Vorwürfen und Pannen. Der von ihm entworfene Bahn-Börsengang wird von der eigenen Partei beerdigt. Die DB-Spitzelaffäre sowie umstrittene Bonuszahlungen für Bahn-Vorstände bleiben an ihm haften und runden das Bild ab.

Im Oktober 2009 kommt die schwarz-gelbe Koalition an die Macht, und im Bundesverkehrsministerium mit Dr. Peter Ramsauer ein CSU-Mann. Dem Bayer gelingt es nicht, eine klare verkehrspolitische Konzeption zu entwickeln, was auf viel Kritik stößt. Hinzu kommen Debatten um den Pannenflughafen BER, Stuttgart 21 und erneut um den Börsengang der Bahn, den er schließlich verhindert. Zugleich aber initiiert er den Feldversuch mit Lang-Lkw, bringt die Elektromobilität organisatorisch in Schwung und reformiert das Punktesystem für Verkehrssünder. Nicht so wahnsinnig viel für eine ganze Legislaturperiode.

Dobrindt löst Ramsauer ab

Das hat wohl auch CSU-Chef Horst Seehofer so empfunden, denn nach der Bundestagswahl 2013 löst Alexander Dobrindt Ramsauer ab. Schnell wird klar, was der neue Minister, jetzt neben Verkehr auch für digitale Infrastruktur zuständig, zuvorderst liefern soll – die Pkw-Maut. Und Dobrindt liefert. Nach viel Kritik im In- und Ausland sowie deftigem Streit mit der EU-Kommission stellt sie das Vertragsverletzungsverfahren ein.
Hartnäckig verfolgt Dobrindt ebenso die Ausweitung der Nutzerfinanzierung. Mit Erfolg auch hier, wie die Ausweitung der Lkw-Maut auf weitere 1.100 Kilometer Bundesstraßen, auf Lkw ab 7,5 Tonnen und ab 2018 auf alle Bundesstraßen belegt. Auch den Mautvertrag mit Toll Collect hat er verlängert. In Dobrindts Amtszeit fällt schließlich ein weiterer Meilenstein der Verkehrspolitik: die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft, die soeben gebilligt worden ist. So gesehen, wird seine Bilanz am Ende wohl die beste der neun Minister sein, die in den vergangenen 25 Jahren das verkehrspolitische Sagen hatten. Wer hätte das vor vier Jahren gedacht?

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