Die Achsen des Bösen Der Lkw als Waffe?

Foto: Jan Bergrath

Der Anschlag von Nizza mit einem Lkw war schrecklich. Wir in Westeuropa müssen wohl mit der ständigen Gefahr durch Terroranschläge leben. Nun nutzt eine Gewerkschaft den Terrorakt, um für BAG-Kontrolleure eine bessere Eigensicherung zu fordern. 

Keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, ich bin jetzt nicht plötzlich einer dieser neuen Terrorismusexperten, die gerade wie Phoenix aus der Asche aufsteigen. Mein Fachgebiet ist immer noch Transport und Logistik. Dennoch: Angesichts der vielen dramatischen Ereignisse, die derzeit das Weltgeschehen beherrschen, fällt es mir mitunter schwer, beim Thema Nutzfahrzeug zu bleiben. Und manches, was ich hier schreibe, erscheint angesichts der weltpolitischen Entwicklungen und des unermesslichen Leids der betroffenen Menschen unwichtig. Das Sozialdumping etwa, das mittlerweile einen Teil der internationalen Logistik prägt und den deutschen Transportunternehmer immer weiter in die Enge treibt, verblasst angesichts der Flüchtlingskrise und des Putschversuchs in der Türkei mit allen seinen noch nicht absehbaren Folgen. 

Die schreckliche Realität von Nizza

Über den Terror, der die westliche Welt derzeit heimsucht, berichten andere Medien. Ich müsste mich also dazu nicht auch noch äußern. Mir fällt es derzeit schon schwer genug, im Zusammenhang auf die nun wissenschaftlich erwiesene erhöhte Unfallgefahr durch ultraleichte Gliederzüge das in der Branche fest verankerte Wort "Mautkiller" zu nutzen. Aber nachdem am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, ein Attentäter einen gemieteten Elftonner nutzte, um bei einem Feuerwerk auf der weltbekannten Strandpromenade in die feiernde Menge zu fahren, dabei 84 Menschen tötete und viele andere verletzte und traumatisierte, wird plötzlich in vielen Medien der Lkwals Waffe thematisiert. Da kann ich nicht schweigen.

Sperren gegen mögliche Nachahmungstäter mit Nutzfahrzeugen

In den derzeit von Terrorakten regelmäßig heimgesuchten Ländern des Mittleren Ostens etwa sind Transporter und Lkw schon lange ein Mittel, um Sprengstoff zu transportieren und explodieren zu lassen. Einen Lkw selber zu nutzen, um gezielt Menschen zu überfahren, ist jedoch eine neue Dimension des Grauens. In einer schnellen Reaktion, um die Besucher des nur wenige Tage nach Nizza weiter stattfindenden Großfeuerwerks "Kölner Lichter" offensichtlich zu beruhigen, berichtete die Lokalpresse, dass man natürlich an den Zufahrtsstraßen zur Feiermeile sofort Sperren gegen mögliche Nachahmungstäter errichtet habe. 

Die Show muss weitergehen. Denn fast im selben Atemzug zur Täterbeschreibung in Nizza und dem Hintergrundbericht zu irgendeinem, der kaum noch zu unterscheidenden Anschläge im Irak, schilderte der Regionalsender WDR 2, wie präzise der Sprengmeister seine über vier Tonnen schweren Raketen und Bomben auf einem gecharterten Frachtschiff in Stellung bringt. Als Argument heißt es dann immer wieder, die westliche liberale, aufgeklärte Gesellschaft dürfe sich nicht durch einige fundamentalistische und verblendete Gotteskrieger in ihrem Lebensstil stören lassen. 

Wer wegschaut, macht aus dem Lkw tatsächlich eine Waffe

Verteufelt wurde das Nutzfahrzeug schon immer. Doch angesichts der vielen Lkw-Unfälle am Stauende, die unser westliches Autobahnnetz derzeit wie eine Plage heimsuchen, und besonders beim Blick auf dieses Foto eines dramatischen Unfalls auf der A 1 bei Köln kommt mir unweigerlich das sprachliche Bild von den Achsen des Bösen. Deshalb muss ich das als Fachautor auch einmal klipp und klar sagen: Mit der Zerstörungskraft des 80-fachen seines Eigengewichts ist der Lkw, der außer Kontrolle gerät, weil der Fahrer, statt nach vorne zu schauen, seinen Blick Facebook oder der Pokémon-Suche (siehe PDF am Ende des Artikels) auf dem Smartphone zuwendet, tatsächlich eine potenzielle Waffe. 

Bei diesem Unfall auf der A 1 bei Hamburg , dessen Umstände noch nicht geklärt sind, war er es allemal. Gestandene Lkw-Fahrer haben mittlerweile bei Stau selber Angst vor der drohenden Gefahr im Heck. Es liegt allein in der Verantwortung eines jeden Lkw-Fahrers, durch volle Konzentration auf den Verkehr, jederzeit die Kontrolle über den Truck zu behalten.

Die geschürte Angst der Bevölkerung vor dem Lang-Lkw

Der Lkw ist ein Nutzfahrzeug. Ohne ihn würde die Volkswirtschaft kollabieren. Aber schon acht Meter mehr Länge lassen den sinnvollen Lang-Lkw in den Augen von Schienenverfechtern, Umweltverbänden und einiger Medien zum Monstertruck werden. Und obwohl es zuhauf Bilder gäbe, die den sinnvollen Einsatz dieser überlangen Fahrzeugkombinationen etwa im Kombinierten Verkehr zeigen, taucht immer wieder dieses uralte und bedrohliche Foto eines Mercedes Actros auf. Insider wissen, dass der Lang-Lkw seinerzeit anstandslos um einen Kreisverkehr gefahren ist, aber durch die bewusst gewählte Optik und den zufällig dort vorbeifahrenden Streifenwagen wird Gefahr suggeriert. Und nicht nur das: Ohne Sinn und Sachverstand berichten die Kollegen über eine Umfrage, die unter anderem von der Allianz pro Schiene in Auftrag gegeben wurde. Mein Kollege Carsten Nallinger hat sich die Mühe gemacht, die suggestiven Fragen zu entschlüsseln. Aber das zählt alles nicht – Hauptsache, das Feindbild in den Redaktionen der "richtigen" Medien stimmt. 

Missgriff einer Gewerkschaft

Zurück zum Terror: Den größten Vogel bei der Aufarbeitung des Anschlags von Nizza hat die Güterverkehrspolizei des Bundes in der Gewerkschaft der Polizei (GdP-GVP) in einer Pressemeldung abgeschossen. Zwar beklagt sie darin den feigen Anschlag und gedenkt der vielen Toten. Aber der Vorsitzende der GdP im BAG, Mario Märgner, wiederholt aus aktuellem Anlass eine alte Forderung. "Wenn, wie in Nizza geschehen, ein Lkw als Waffe zum Einsatz kommt, wird der Zusammenhang zwischen abstrakter Bedrohung und den täglichen Lkw-Kontrollen des Bundesamtes für Güterverkehr besonders deutlich." Die Kolleginnen und Kollegen der BAG-Kontrolldienste würden täglich ohne Schutzmaßnahmen Fahrzeuge wie das, das beim Anschlag in Nizza zum Einsatz gekommen ist, kontrollieren. Es sei also jetzt der richtige Zeitpunkt, darüber nachzudenken, wie die tatsächliche Bedrohungssituation für die Kontrolldienste des BAG auf den deutschen Bundesfernstraßen aussieht und welche Sicherheitsmaßnahmen endlich zum Schutz der Kolleginnen und Kollegen ergriffen werden, argumentiert Märger, In dem beigefügten Konzept steht dann, dass die Gewerkschaft die BAG-Kontrolleure mit Schusswaffen ausstatten möchte. 

Drohende amerikanische Verhältnisse

Das BAG selbst möchte dieses Ansinnen lieber nicht kommentieren. Und das ist auch gut so. Denn zu Ende gedacht müssten nach dem Messer- und Axt-Angriff eines 17-jährigen schnell radikal islamisierten Flüchtlings in einem Regionalzug bei Würzburg dann bald auch die Zugbegleiter nach Schusswaffen rufen. Kurz danach bewaffnen sich auch die Lehrer aus Angst vor Amokläufen. Dann wären wir in absehbarer Zeit bei US-amerikanischen Verhältnissen. Da ist mir die Einstellung des CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach doch lieber, der gerne sagt, rein statistisch sei die Gefahr, in Deutschland bei einem Terrorakt ums Leben zu kommen geringer als bei einer Fahrt über die A 3 in einen Unfall verwickelt zu werden.

Die theoretische Konsequenz von Nizza

Gerade wir in Deutschland fürchten uns davor, dass Gesetze mit kaum absehbaren Folgen erlassen werden. Im Falle der Konsequenzen von Nizza würde das vielleicht sogar bedeuten: Jeder, der fortan einen Lkw mietet, müsste nicht nur ein polizeiliches Führungszeugnis, sondern auch noch ein psychologisches Gutachten vorlegen und bei der Abholung mit einen Eid auf die Bibel schwören, es nur zu hehren Zwecken der Güterbeförderung zu nutzen; Flottenbetreiber müssten in Zukunft alle Lkw, die sie haben, am Wochenende auf einem gesicherten Gelände abstellen, damit sie kein Terrorist entwenden kann. Fahrer, die ihre Lkw am Wochenende mit nach Hause nehmen, müssten in Zukunft darauf verzichten, wenn sie ihn nicht rund um die Uhr bewachen wollen.

Zurück zu den Problemen des Straßengüterverkehrs

Ob das BAG nun seine Kontrolleure in Zukunft bewaffnen will oder nicht, wird sich zeigen. Dass ein Fahrer mit Vollgas im Rahmen eines Terroraktes in eine BAG-Kontrolle rast, scheint auf Grund der eher geringen Öffentlichkeitswirkung unwahrscheinlich. Und ob Pfefferspray wirklich ein adäquates Mittel ist, wenn ein Fahrer laut wird und wegen des Verdachts der illegalen Kabotage seine Frachtpapiere nicht rausrücken will, ist auch fragwürdig. Zurück also zu den echten Problem des Straßengüterverkehrs: Angesichts der vielen dramatischen Ereignisse, die derzeit das Weltgeschehen beherrschen, ist etwa untergegangen, dass das BAG seine neue Kontrollstatistik 2015 auf der eigenen Homepage veröffentlicht hat. Sie belegt einmal mehr, dass zwar mehr Lkw aus dem Ausland kontrolliert, die meisten Verstöße jedoch von deutschen Fahrern begangen wurden. Nach Auskunft der Pressestelle ist bei den Kontrollen jedoch in mehr als 60 Jahren kein Kontrolleur zu Schaden gekommen. 

Liebe Leserinnen und Leser, mit diesem Blog verabschiede ich mich vorübergehend in eine kurze Sommerpause.

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