BusBlog Leipziger Allerlei

Foto: Thorsten Wagner

Die lange erwartete Entscheidung über Einfahrverbote für Diesel in deutsche Großstädte ist gefallen – der D-Day für den Diesel ist da und war vorhersehbar. Gleichzeitig wird die Idee der Bunderegierung, kostenlosen ÖPNV nach Brüssel zu melden, als der Popanz entlarvt, der er ist. Elektrobusse werden es dank der Förderrichtlinien trotzdem schwer haben in Deutschland. Und was hat all das mit Kiruna zu tun?

Die Erwartungen bei Politik und Lobbyisten hatten sich derart aufgestaut, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Verkündung lieber Zeit für eine akribische Prüfung des Urteils gelassen hat. Heute wurde in einer Sprungrevision über die – je nach Perspektive – lange befürchtete oder lange ersehnte Einführung von Fahrverboten geurteilt.

Wie von der DUH mit ihren diversen Klagen beabsichtigt, musste das Bundesverwaltungsgericht bescheiden, dass die betroffenen Städte sehr wohl ohne weitere Grundlage Fahrverbote für Diesel verhängen können, wenn es deren Luftreinhaltepläne erfordern sollten. Was von vielen Auguren als D-Day für den Diesel aufgebauscht wurde, ist in Wirklichkeit der Startpunkt für ein wildes Durcheinander in deutschen Kommunen, da sich die Bundesregierung ja weigert, eine aussagekräftige blaue Plakette einzuführen und sich lieber weiter von der Automobilindustrie an der Nase herumführen lässt.

Eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung

Das Gerichtsverfahren ist verständlich. Denn die Politik war seit Jahren weitgehend untätig. Die Stickoxidrichtlinie als Immissionsgesetz gilt immerhin bereits seit 2010. Aus der ähnlich gelagerten Feinstaubhysterie der 2000er Jahre hat man anscheinend wenig gelernt und ist sehenden Auges in die gleiche Falle der Ignoranz getappt. Und so wundert es nicht, dass der zugegebenermaßen agitatorische, alternative Verkehrsclub VCD das Ergebnis so kommentiert: "Hochrichterliche Ohrfeige für die untätige Bundesregierung."

Bus als ausdrücklicher Teil der Lösung

Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (bdo) nutzte die Gelegenheit, um wiederum auf die positive Wirkung des ÖPNV hinzuweisen, dessen Anteil am Stickoxidproblem ohnehin nur rund vier Prozent betrage. "Busse tragen als öffentliches Verkehrsmittel entscheidend dazu bei, die Zahl der Pkw und damit auch die Menge der Abgase in den Innenstädten zu reduzieren. Busse sind daher mit Blick auf die Abgasbelastung durch den Verkehrssektor eben gerade nicht Teil des Problems, sondern ausdrücklich Teil der Lösung."

Präsident Karl Hülsmann appelliert daher an die Entscheidungsträger, die wichtige Rolle des öffentlichen Verkehrs mit Bussen anzuerkennen und sie von etwaigen Fahrverboten auszunehmen. Auch diese Möglichkeit hat der Leipziger Rechtsspruch eröffnet und so einem Flickenteppich namens "Leipziger Allerlei" Vorschub geleistet. "Insbesondere ein Ausbau der Angebote für Pendler im weiteren Umfeld von Städten ist wichtig, da mit diesen Berufstätige in die Lage versetzt werden, nicht mehr mit ihrem Privatwagen ins Zentrum fahren zu müssen."

Diese Idee hatten auch drei deutsche Bundesministerien, die in einer schriftlichen Vorschlagsliste an Brüssel den kostenlosen ÖPNV mit ins Spiel brachten. Das erste Treffen der fünf bass erstaunten Modellstädte war denn auch mittelmäßig ernüchternd, man prüft und rechnet erstmal gescheit. Hatten das die Ministerien denn nicht schon gemacht? Ach nein, man arbeitet ja nur geschäftsführend – also Dienst nach Vorschrift. Oder so.

Elektrobusförderung geht am Mittelstand vorbei

Der bdo hat mit einem Ruf nach Nachbesserung auf eine neue Förderrichtlinie der Bundesregierung zur Anschaffung von Elektrobussen den Finger in eine weitere Wunde der Busbranche gelegt. Die neue Richtlinie erhielt zwar die notwendige Zustimmung der EU-Kommission und sieht nun eine Übernahme von bis zu 80 Prozent der Investitionsmehrkosten – das sind meistens fünfstellige Summen – vor. Diese Regelung greife jedoch nur, wenn fünf oder mehr Fahrzeuge angeschafft werden. "Diese festgeschriebene Mindestabnahme überfordert die gut 4.000 kleinen und mittleren Busunternehmen in Deutschland, die einen Großteil der Fahrzeuge auf den Straßen betreiben. Von den gut 75.000 Bussen hierzulande werden mehr als 42.000 von privaten mittelständischen Unternehmen eingesetzt. Aufgrund ihrer Betriebsgröße können diese Betriebe die geforderte Mindestabnahme nicht stemmen", teilt der bdo mit.

Bietergemeinschaften existieren nur auf dem Papier

Die vorgesehene Möglichkeit der Bildung von Bietergemeinschaften existiere letztlich nur auf dem Papier, da sich in der Praxis kaum zu überwindende Hürden schon bei der Antragstellung auftürmten. In der Realität gehe die Förderrichtlinie damit am Großteil der Busunternehmen in Deutschland vorbei und der Effekt der Förderung bleibe weit hinter den Möglichkeiten zurück. Noch in einem Interview Anfang des Jahres hatte die bdo-Hauptgeschäftsführerin Christiane Leonard alternative Antriebe für Busse bei privaten Unternehmen als "reinen Idealismus" bezeichnet.

Der Appell des bdo an die Bundesregierung, das nun noch zu korrigieren, kann noch eine Weile einwirken, bis die deutschen Hersteller in großen Stückzahlen liefern können und bis sich die Bereitschaft der privaten Unternehmen vergrößert, in moderne Antriebe zu investieren.

Schon 1973 wurden Stadtbusse mit Katalysatoren ausgestattet

Und wenn man diese Zeit noch dazu nutzt, um ein wenig in der Historie zu recherchieren, trifft man auf Erstaunliches. Zum Beispiel auf Kiruna, einer Stadt nördlich des Polarkreises, wo es vom 12. Dezember bis Silvester überhaupt nicht hell wird und die komplett versetzt werden soll, um an das wertvolle Erz unter ihr zu gelangen.
Schon im März 1972 berichtete lastauto omnibus vom Genfer Salon angesichts des "in aller Welt dramatisierten Umweltschutzes" von einem FBW Omnibus, dessen Unterflurmotor mit einem sogenannten Kiruna-Gerät bestückt war, "einer kompletten katalysatorischen Nachverbrennungsanlage", die motornah untergebracht war. Schon seit einigen Jahren werde ein solches Gerät in den weltbekannten Magnetit-Eisenerzminen der schwedischen Stadt Kiruna untertage eingesetzt – daher der Name für den frühen Luftreiniger, der sich aber flugs wieder verloren hat. "Laienhaft muss man sich einen solchen Katalysator als einen großen Wärmetauscher vorstellen, der Schadstoffe zurückhält", bemühen sich die Kollegen vor rund 45 Jahren dem Leser das Konzept näherzubringen. "Das Abgasgerät ist schon bei verschiedenen Verkehrsbetrieben im Einsatz, und soll die ohnehin schon geringen Giftstoffe in den Abgasen noch weiter reduzieren", verkündet die Bildunterschrift vollmundig. Das sollte man einmal Besitzern von Euro-3- oder Euro-4-Bussen ohne SCR-System sagen, die würden sich verwundert die Augen reiben ob der Häme, der sie sich allenthalben gegenübersehen.

Kostendiskussion – damals wie heute

Und weiter: "Noch ist man nicht in der Lage, Abgase so zu reinigen, dass sie absolut frei von giftigen Bestandteilen sind, denn eine zufriedenstellende Lösung steht erst am Anfang einer neuen Entwicklung, wobei natürlich auch der Preis eine entscheidende Rolle spielt." Da fühlt man sich doch sofort an dieheutige Diskussion über die Kosten von Hardware-Nachrüstungen erinnert, die ganz langsam an Fahrt aufnehmen so wie in Paderborn, Aachen oder Berlin. Bis zu 20.000 Euro kostet eine Nachrüstung, allein es fehlen noch die Vorgaben der EU, um solche Nachrüstungen auch rechtlich wirksam zu machen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Shitstorm für Betreiber, die noch Dieselbusse ordern

Weder Daimler noch MAN sind bisher bereit, eigene Modelle, die noch keine moderne Abgastechnik an Bord haben, auf eigene Faust nachzurüsten. Wir erinnern uns: Auch in den 80ern taten sich die deutschen Hersteller mit dem Drei-Wege-Kat, einem weiterentwickelten "Kiruna-Gerät", eher schwer mit der zügigen Einführung. Immerhin setzte Mercedes im Nutzfahrzeug schon seit Euro 4 auf das SCR-System, das man mit dem Segen des VDA entwickelt und "BlueTec" getauft hatte (welcher Fahrzeugbesitzer möchte schon an die Herkunft der 32,5-prozentigen Harnstofflösung erinnert werden?).
Seitdem ist alles blau, was vorher grün war, und moderne Elektroautos kommen nicht ohne farbliche Markierung an den unmöglichsten Karosserieteilen auf die Straße. Doch was ist mit den MAN-Motoren, die sich bis zum freiwilligen EEV-Standard rühmten, ohne den bläulichen Wundersaft auszukommen? Man erinnere sich an den albernen Kulturkampf "AGR gegen SCR", der bei Euro-4-Einführung unter anderem mit dem Slogan "MAN PURE DIESEL" aufgeführt wurde.

Nun ja, ab 2020 können diese Busse ja dann durch lokal emissionsfreie Elektroversionen ersetzt werden – vorausgesetzt, das Depot verfügt über die entsprechenden Megawattstunden an Ladeleistung. So wird uns heute zumindest versichert.

Welcher Betreiber sich anno 2018 noch traut, größere Mengen von modernen Dieseln zu bestellen, wie zuletzt die Hamburger Hochbahn, sieht sich schnell einem viralen Shitstorm ausgesetzt. Der energiepolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Hamburger Senat, Stephan Gamm, kritisiert, "so verschafft sich der Senat viel Luft zur Inszenierung seiner Umweltshow." Alleine, wenn deutsche Hersteller noch nicht massenhaft lieferfähig sind, was soll man tun? Für große ÖPNV-Fuhrparks ist es keine realistische Option, exotische E-Busse anzuschaffen, deren Service in Deutschland nicht ausreichend gewährleistet ist.

Euro-6-Bus ist sauberer als so mancher Kleinwagen mit Schummel-Diesel

Aber ein derartiger elektromobiler Exorzismus ist fehl am Platze, zumal der Umstieg vom Individualverkehr auf den ÖPNV schon mit Euro-4- und Euro-5-Bussen einen erheblichen Nutzen für die Umwelt bietet, was sogar der grüne Verkehrsexperte Stephan Kühn uns gegenüber eingeräumt hat. Ein moderner Euro-6-Diesel ist ungleich sauberer, gerade wenn er mit SCR-System ausgerüstet ist. Lange Jahre hatte man aber die technischen Herausforderungen unterschätzt, wie sich schon im weiteren Verlauf des lastauto-Artikels von 1973 zeigt: "Eine andere Frage ist die, ob man beim Dieselmotor, im Gegensatz zum mehr Schadstoffe produzierenden Vergasermotor, überhaupt zu so aufwendigen Geräten gezwungen sein wird, nachdem begründete Hoffnung besteht, ihn auch mit normalen Mitteln umweltfreundlicher zu machen." Allein wie die aussehen könnten, verrieten die Kollegen leider nicht. Heute ist ein Dieselfahrzeug mit einer ausgewachsenen, hochwirksamen Chemiefabrik unterwegs – die macht allerdings den großen Bus sauberer als so manchen Kleinwagen mit Schummeldiesel.

Dass die Innenstadt der wichtigste Ort ist, um schnell etwas zu unternehmen, war auch schon anno 1972 erkennbar: "Wenn deshalb solche Abgasentgiftungsgeräte nur an Omnibusmotoren gezeigt wurden, dann geht daraus schon hervor, dass in dieser Beziehung in den Ballungsgebieten am ehesten etwas geschehen muss." Soweit – so evident. Nun darf man auf das Leipziger Allerlei gespannt sein, und wie sich dieses in den deutschen Städten Bahn brechen wird!

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